Still schweigt der See. Tina Schlegel
Erkennungszeichen, wie die Vier im Übrigen auch.«
Auweiler schlug mit der Faust auf den Tisch und murmelte: »Verdammt. Können wir die Seite nicht dichtmachen? Ich will so einen Mist nicht in meiner Stadt!«
Zimmermann tippte mit einem Stift auf die Leinwand. »Das ist das Internet, Herr Auweiler. Wir können hier gar nichts dichtmachen. Das ist der neue Informationskrieg um Meinung, ganz einfach. Seit dem Wahlkampf von Trump und dann von der AfD ist das gang und gäbe.« Er nahm ebenfalls einen Schluck Wasser. »Im Übrigen ist das nur ein verschwindend kleiner Auszug und noch nicht einmal mit dem härteren Vokabular. Wir haben Undercover-Leute in einigen rechtsradikalen Troll-Netzwerken. Mit Kollege Sito wollte ich ohnehin heute sprechen, denn wir sind uns einig, dass etwas geplant wurde. Wir haben immer wieder sogenannte Marschbefehle entziffern können, das C18 beziehungsweise 318 tauchte an unterschiedlichen Stellen auf. Es steht für eine neonazistische und terroristische Vereinigung. Bei uns längst verboten. Erst dachten wir, es geht um die Klimaschutzdemo«, Zimmermann tippte auf seinem Laptop, »und um diese Sibylle.« An der Wand war unter den Zeilen ein Scheiterhaufen zu sehen, darauf Sibylle Hundhammer. Zahlreiche Kommentare feierten die angekündigte Hexenverbrennung mit Lach-Smileys und applaudierenden Händen.
Zimmermann räusperte sich, kratzte sich am Mundwinkel und redete dann weiter. »Aber jetzt müssen wir das natürlich im Hinblick auf die Geiselnahme erneut überprüfen. Es geht eben auch um Waffen. Die Seite hier gehört zum Beispiel einer Gruppe, die sich ›Die Naturbewahrer‹ nennt, wobei es freilich nicht um die Natur im Hinblick auf Umweltschutz geht, sondern vielmehr um den vermeintlich natürlichen deutschen Lebensstandard, wie er eben aktuell praktiziert wird. Wir beobachten die Gruppe schon eine Weile, die sich der AfD und den Identitären verbunden fühlt. Im Darknet haben wir außerdem gerade in der letzten Woche eine Zunahme der Aktivität feststellen können. Wir wissen auch von Waffenkäufen, können aber die IP-Adressen nicht zurückverfolgen, weil die natürlich alle über eine VPN-Adresse, also ein virtuelles privates Netzwerk, ins Netz gehen. Wir wissen nicht, ob die sogenannten Marschbefehle im Zusammenhang mit der heutigen Geiselnahme stehen, aber ich gebe Kollege Sito recht: Wir müssen es in Betracht ziehen.«
Ruger stand der Mund offen. »Weshalb zum Teufel erfahre ich erst heute und hier davon?«
Zimmermann schnaubte. »So kann man das nicht sagen. Wir plädieren seit Ewigkeiten dafür, diese Gruppierung unter Beobachtung des Verfassungsschutzes zu stellen oder wenigstens Razzien zu genehmigen.« Er wirkte für einen Moment resigniert, sein linkes Augenlid zuckte, dann fuhr er fort: »Wissen Sie, seit Jahren ist ein Kollege bei den Rechtsrockfestivals unterwegs. Immer wieder berichtet er von schweren Verstößen, von Aufrufen zu Gewalt und Mord, von Lobeshymnen auf Hitler und so weiter und so fort. Noch immer gibt es kaum nachhaltige Reaktionen. In Thüringen hat sich jetzt mal was getan, da hat die Polizei durchgegriffen bei den sogenannten Versammlungen mit rechter Musik. Wir Netzbeobachter und Beobachter der rechten Szene sagen schon lang, dass man die Erlebniskultur der Neonazis endlich unterbinden muss, denn genau dort werden Gelder und Anhänger akquiriert.«
»Wir sind aber nicht in Thüringen«, wandte Ruger ein.
»Nein, sind wir nicht, aber die Neonazi-Szene ist international vernetzt. Einer der wichtigsten Netzwerker Europas sitzt nun mal in Deutschland. Ich sage das nur, weil Sie nicht überrascht sein müssen, falls die hier so groß auflaufen.«
»Was Sie da sagen, Herr Zimmermann, wir sprechen also von einem möglichen Terrorakt? Hier bei uns?«, fragte Jäger.
»Denkbar.« Zimmermann griff wieder an seine Fingergelenke, verzichtete aber auf weiteres Knacken.
»Solange auch bei der AfD so ein Müll gepostet wird, ist es eben schwierig. Und unter uns: Ich bin mir auch nicht immer sicher, wie viel Rückhalt die wirklich haben. Außerdem gilt die Versammlungsfreiheit für diese abscheulichen Konzerte. Ganz einfach. Fragen Sie beim Verfassungsschutz nach. Meinungsfreiheit eben. Die AfD sitzt im Bundestag. Sagen Sie das also den Politikern!«, verteidigte sich Ruger. Der Staatsanwalt verschränkte die Arme. »Immerhin haben wir das Netzwerkdurchführungsgesetz seit Anfang 2018.«
»Ja, schön, haben wir. Hat ja aber im Grunde nichts daran geändert, dass immer noch nur das verboten ist, was vorher auch schon verboten war.« Zimmermann blätterte in seinen Unterlagen. »Jetzt brauchen wir nur noch mehr Kräfte, die sich darum kümmern.«
Ruger machte eine ausschweifende Handbewegung. »Ja, dann schauen Sie nur mal zu Facebook. Die haben ein paar hundert Mann in einem Büro in Berlin sitzen, die sich Tausende von Kommentaren anschauen sollen, die gemeldet wurden. Wir kommen den bösen Idioten einfach nicht hinterher.«
»Lassen Sie uns bitte bei der Sache bleiben«, forderte Polizeipräsident Jäger. »Reden wir von Terrorverdacht, ja oder nein?«
Zimmermann kaute auf seiner Unterlippe. »Es war nicht leicht, Undercover-Leute in die rechtsradikalen Netzwerke einzuschleusen. Jeder braucht eine eigene rechtsradikale Vita, muss aktiv auftreten und so weiter. Das sind Hierarchien, man muss sich hoch–«
»Terrorverdacht, ja oder nein?« Jäger trat unruhig von einem Bein auf das andere. Seine Stirn lag in tiefen Falten.
Zimmermann stöhnte und schüttelte den Kopf. »Noch haben wir keine konkreten Anhaltspunkte.«
Auweiler atmete erleichtert aus, dann zeigte er mürrisch auf die Leinwand. »Was passiert denn da gerade?« Vor ihnen poppten immer weitere Kommentare auf, und immer wieder war Sibylle Hundhammer auf einem Scheiterhaufen zu sehen.
»Wir befinden uns hier in einem Troll-Netzwerk. Das sind solche Tagesbefehle, ausgegeben von den Rangoberen in diesem Netzwerk: ›Stört in folgenden Frontabschnitten, also etwa bei Facebook, Twitter und YouTube, ab zwanzig Uhr.‹ In diesem Fall«, Zimmermann zeigte auf den Verlauf, »geht es um die Seite unserer Stadt ab neun Uhr dreißig.«
Ruger nickte. »Das ist ein großes Problem, das ist mir durchaus bewusst. Aber es gibt klare Vorgaben, wann etwas gelöscht werden muss.«
»Klare Vorgaben schon«, sagte Zimmermann, »aber fließende Grenzen, wann etwas wirklich gegen Paragraf 130 des Strafgesetzbuches verstößt und wann die Volkshetze eben nicht greift.« Er scrollte ein wenig nach oben. »Hier haben wir zum Beispiel 19/8, das steht für ›Sieg Heil‹, und hier steht ›Adolf is back‹ in den Zahlen 192.«
»Volksverhetzung«, korrigierte Ruger und verschränkte die Arme.
»Wie dem auch sei. Das Schlimme ist doch, dass durch diese komprimierten Hasskommentare der Eindruck entsteht, das wäre eine riesige Gruppe, die die Klimademo und unsere Stadt bedroht. Darum geht es doch, oder? In Wirklichkeit aber ist dieser Hass von einer kleinen Gruppe nur gut organisiert«, sagte Busch.
»Exakt«, sagte Zimmermann.
Auweiler hielt sich die Hand an den Hals, als wolle er einen Krawattenknoten lockern, aber da war keiner. Busch stand auf und schenkte ihm Wasser nach.
»Solange wir keinen Beweis haben, dass die Marschbefehle mit der Geiselnahme zu tun haben –«, begann Ruger, doch Goffer fiel ihm ins Wort.
»Und dann? Irgendwann feststellen, dass die in den Troll-Netzwerken längst alles organisiert haben?«
»Meine Herren, bitte, dafür ist nicht die richtige Zeit«, versuchte Jäger, die Runde zu beruhigen. Er fuhr sich mit einer Hand durch seinen Bart.
»Richten Sie hier sofort einen Ticker für das Intranet ein. Ich will, dass alle immer in der Zeit sind. Da soll auch alles zur Demo kommen, aber sonst eben nichts.«
»Ist erledigt.« Zimmermann tippte, dann erschien der Newsticker zur Geiselnahme. »Das andere richtet ein Kollege gerade ein.«
»Können wir die Friday-Leute nicht einfach absagen?«, fragte Auweiler und wippte mit seinem Stuhl. Es quietschte wieder, und er sah entschuldigend in die Runde. »Ich meine, wo jetzt das Wort Terror schon ein paarmal gefallen ist.«
»Herr Zimmermann sagte es bereits, wir haben keinen hinreichenden Beweis«, sagte Sito und sah zu dem Monitor, der die aktuellen Nachrichten übertrug.
Die anderen folgten