Ich bin der Sturm. Michaela Kastel

Ich bin der Sturm - Michaela Kastel


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aussehen würde. Schlafend, nackt, an Armen und Beinen gefesselt.

      »Bitte gehen Sie jetzt. Ich möchte mich gerne ausruhen.«

      »Ich glaube nicht, dass du das willst.«

      »Was?«

      »Wie viel?«

      »Ich verstehe nicht.«

      Er lacht. »Komm schon. Ich meine, du bist doch … oder etwa nicht? Jetzt sag schon, wie viel? Sagen wir, zwei Stunden, und ich erlasse dir den Zimmerpreis?«

      Etwas passiert. Die Angst, sie ist plötzlich nicht mehr da. Dafür Wut. Höllenzorn. Dieses widerliche Arschloch.

      »Raus hier.«

      »Jetzt spiel hier nicht das verschreckte Mäuschen. Okay, eine Stunde.«

      »Hau ab, du Drecksau!«

      »Ernsthaft? Du willst das Zimmer wirklich bezahlen? Sorry, aber du siehst nicht aus wie jemand, der so ein Angebot ausschlagen sollte.«

      »Sofort raus hier! Los, raus! Verschwinde!«

      »Schön, dann zahl dein verkacktes Zimmer eben selbst, du Schlampe. Morgen früh um acht bist du draußen, oder ich schmeiße dich und deinen verlausten Rucksack auf die Straße.« Er geht.

      Ich werfe die Tür zu, drehe den Schlüssel, presse mich dagegen, wie manisch. Die Schritte auf dem Gang entfernen sich. Einige Zeit bleibe ich so stehen, mit dem ganzen Körper gegen die Tür gestemmt, und lausche, ob er zurückkommt. Es bleibt still.

      In zwei Minuten bin ich angezogen. Der Rucksack ist geschultert, die Lippen sind versiegelt. Überrascht glotzt er hinter seinem Empfangsschalter hervor.

      »Bis acht ist es noch ein Weilchen, Schätzchen! Kein Grund, sich zu hetzen.«

      »Fick dich.«

      Die Männer auf den Sofas lachen. Ich marschiere in die Kälte und drehe mich nicht mehr um. Dann eben zurück in die Nacht. Das Geld soll er behalten. Soll er ersticken daran.

      11

      »He, du, Kleine. Ist alles in Ordnung? Brauchst du Hilfe?«

      Ich stehe an der Straßenecke, unter dem offenen Mantel zittert mein ganzer Körper. Seit Stunden bin ich der Kälte und der Finsternis ausgeliefert. Es ist kurz vor drei Uhr nachts. Um drei Uhr nachts kommen die Dämonen raus. Wäre ich doch in diesem Hotel geblieben. Jetzt habe ich keine Wahl mehr. Ich brauche ein Dach über dem Kopf.

      »Hast du eine Wohnung?«, frage ich.

      Der Mann im Auto runzelt die Stirn. »Was soll die Frage?«

      »Wenn du mich mit zu dir nimmst, darfst du alles mit mir machen, was du willst.«

      »Was?«

      »Du hast mich schon verstanden.«

      Er mustert mich schweigsam, entriegelt die Tür und winkt mich zu sich ins Wageninnere. »Steig ein, ich fahr dich aufs nächste Polizeirevier.«

      Ich weiche zurück. »Nein! Keine Polizei! Ich hab nichts getan!«

      »Dann eben ins Krankenhaus. Hier draußen erfrierst du doch.«

      »Auch nicht ins Krankenhaus! Bitte! Ich brauche bloß einen Schlafplatz, mehr nicht. Nur für ein paar Stunden, dann bist du mich los.«

      »Es gibt dafür Anlaufstellen, ich kann dich auch dorthin bringen, wenn du willst.«

      »Nein, du verstehst nicht. Ich kann dort nicht hin. Ich muss … ich muss über Nacht nur irgendwo unterkommen, das ist alles. Gleich morgen früh bin ich wieder weg, ich schwöre es! Bitte!«

      »Kleine, nimm’s mir nicht übel, aber ich lasse dich sicher nicht einfach so zu mir in die Wohnung.«

      »Bitte!«, wiederhole ich. Er muss mich für verrückt halten, aber er hat ein gutes Herz. Man sieht es in seinen Augen, die mich auf die gleiche mitleidige Art anschauen wie Jiris. Er ist kein Teufel, kein gehörntes Monster, das nach meinem Blut trachtet. In einer Stadt, wo hinter jeder Ecke die Verdorbenheit lauert, ist es immer noch die sicherste Alternative, zu diesem Fremden in den Wagen zu steigen.

      »Nur für diese eine Nacht«, sage ich. »Bitte nimm mich mit. Ich brauche sonst nichts, ich will nur mitkommen, okay?«

      »Du hast doch nichts ausgefressen, oder?«

      Ich schüttle den Kopf, er überlegt. Schließlich nickt er, und ich steige ein.

      »Gehört der Rucksack da dir?«, fragt er, während er Gas gibt.

      »Ja.«

      »Wirklich? Nicht geklaut?«

      »Bist du Polizist, oder was?«

      Er antwortet nicht mehr. Über die gelbe Ampel rast er drüber. Ich lehne den Kopf an die Scheibe und schließe die Augen. Ich bin so müde. Die Musik aus den Boxen höre ich kaum. Wir fahren um die Kurve. Dann wird er langsamer. Eine Garageneinfahrt. Der Motor geht aus. Die Musik verstummt, und er beugt sich zu mir herüber. Wortlos löst er meinen Gurt.

      »Wohnst du allein?«, frage ich.

      »Klar, sonst würdest du jetzt immer noch an der Straßenecke stehen. Komm jetzt, wir müssen in den vierten Stock.«

      Er steigt aus. Ganz plötzlich ist die Angst wieder da. Kann ich ihm tatsächlich vertrauen? Sie sind überall. Sie haben Späher, mischen sich unter die Leute. Er könnte doch zu ihnen gehören, auch wenn er nicht so aussieht.

      Er wartet, sein Gesicht verfinstert sich.

      »Du kannst meinetwegen auch im Auto pennen«, sagt er und steckt die Wagenschlüssel ein. »Wenn du doch nicht mitkommen willst.«

      »Nein, nein. Schon gut. Ich komme mit nach oben.« Ich steige aus dem Wagen und folge ihm.

      12

      Es ist eine Dachgeschosswohnung. Fenster und Tür sind mit Brettern vernagelt. Er hat mich eingesperrt, hier in dieser Wohnung. Auf dem Untersuchungstisch liegt ein Messer. Er wird mich damit aufschneiden. Mir Arme und Beine abnehmen wie dem kümmerlichen Ding auf der Trage nebenan. Alles hat er ihr abgesägt, bloß der Torso liegt noch da. War das einmal Fairy? Die Tür zur Küche öffnet sich. Dort steht er und rührt in einem Topf. Pfeift ein Liedchen, während die Suppe brodelt, in der er mich kochen wird. Er langt mit dem Kochlöffel in den Topf und zieht ein tropfendes Haarbüschel heraus. Schlürfend probiert er die Brühe.

      »Fehlt noch Salz«, sagt er.

      Eine Erschütterung schleudert mich umher. Hände, die mich packen und schütteln. Stöhnend reiße ich die Augen auf.

      »So, Kleine, ich muss dich jetzt leider rauswerfen. Es wird Zeit.« Er steht in Hemd und Krawatte am Bett und schlägt meine Decke zurück. »Tut mir wirklich leid, aber ich muss noch die Bettwäsche wechseln, bevor ich aufbreche, also mach mal ein bisschen zackig.«

      Erneut ein Schlürfen. Aber es ist keine Suppe, bloß Kaffee in einem Becher. Die ganze Wohnung duftet danach.

      »Hast du schlecht geträumt?«, fragt er, während ich mich aufsetze. »Du hast im Schlaf geredet.«

      »Mir geht es gut.«

      Er nickt, betrachtet mich nachdenklich und geht dann in die Küche zurück, um den Becher in den Abwasch zu stellen.

      Verschlafen suche ich meine Kleidungsstücke zusammen. Die Unterwäsche, die Jeans, den Pulli, den ich schon seit zwei Tagen trage. Das Laken ist komplett durchgeschwitzt. Er hat mir das Bett überlassen, während er mit der ausziehbaren Couch vorliebgenommen hat. Solche Güte ist beinahe verdächtig. Ich frage, ob ich das Badezimmer benutzen kann. Er nickt. Ich dusche schnell und ziehe mich an. Als ich rauskomme, steht er mit ein paar Zwanzig-Euro-Scheinen vor mir.

      »Hier, ich glaub, die kannst du gut gebrauchen.«

      »Du musst mir nichts geben, ehrlich. Ich komme schon klar.«

      »Versprich


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