Missbrauch mit dem Missbrauch. Rainer Bertram
schlimmer ist es, dass sie „so einen“ Partner hat, der noch dazu kritisch gegenüber der einzig wahren Partei ist. Von Binz aus fahren wir weiter nach Selin an den Strand. Die beiden Frauen setzen sich auf die Brückenterrasse zum Kaffee. Ich bleibe mit den Kindern erst einmal am Strand, weil die beiden lieber im Sand buddeln als auf einem Stuhl zu sitzen. Ab und zu winken die Mamas, werfen uns Kusshändchen zu und genießen die Sonne.
Später gehe ich mit den Kindern hoch und dann erst einmal weiter auf die Landungsbrücke bis zur „Nemo-Tauchglocke“. Als wir von der Glocke zurücklaufen, kommt mir meine Partnerin entgegen, strahlt mich an und lässt sich erzählen was wir da denn alles gesehen haben. Unser Sohn erzählt wie immer technisch und das Mädchen mehr das Erlebte.
„Was würdest du ohne deinen Papa machen, was der dir alles zeigen kann“.
Wir sitzen noch eine Weile zu fünft auf dem Terrassenteil zusammen, lachen, scherzen, planen den nächsten Tag. Später auf der Rückfahrt, die sie verschläft, sehen ihre Freundin und ich einen Erlebnis-Bauernhof. Wir können ihn in den nächsten Tagen besuchen. Den Abend prägen wieder Beziehungen und Haus. Doris fragt mich nach meiner Tätigkeit und wie lange ich noch arbeiten müsse. Ich antworte was Alter und Arbeitszeit betrifft sehr verschwommen. Für mich völlig überraschend antwortet Christel was mein Alter angeht das erste Mal ehrlich. Später in der Küche spreche ich sie darauf an, dass ich nicht wisse was sie vorher zu ihrer Freundin gesagt habe und mich deshalb nicht äußere. Meine Partnerin und ich verstehen uns bei diesen Fragen bisher blind und sind aufeinander abgestimmt. Deshalb wundere ich mich, dass sie plötzlich mein richtiges Alter angibt und auch erklärt, dass ich in Pension gegangen bin. Bis dahin hat sie mich überall und auch vor ihrer Familie fünf Jahre jünger gemacht.
Eine peinliche Wendung nimmt das Gespräch, als die Freundin über den vermissten Jungen auf Amrum erzählt. Bei diesem Thema wird sie hysterisch. Sie spricht ständig von dem armen missbrauchten Kind. Als die Todesursache des Jungen einen Tag später bekannt wird, reagiert sie noch hysterischer. Die Gespräche werden langsam etwas nervig. Es ist ja zu ertragen, dass die Freundin wie sie sagt, in regelmäßigen Abständen zu ihrer Wahrsagerin geht. Ich kann notfalls auch so mancher Geschichte über Geister, übersinnliche Wahrnehmung und Telepathie etwas abgewinnen. Aber so hysterisch auf eine Meldung zu reagieren, die noch nicht einmal richtig ist, geht mir schon gegen den Strich. Aber wir sind im Urlaub, und in einigen Tagen sehen wir uns wieder nur in längeren Abständen. Verwundert bin ich jedoch über die Reaktionen meiner Partnerin. Die Frau, die alle Probleme nüchtern, systematisch und planvoll angeht, die nur wenig dem Zufall überlässt, stimmt ein in diesen esoterischen „Unsinn“. Heute muss ich annehmen, dass sie wusste, dass die Freundin vorläufig ihre wichtigste Verbündete sein würde. Später, wenn man den Partner erst mal in polizeilicher Obhut hat, kann man ja wieder mehr Sinn für Realismus zeigen.
Dienstag, den 03.07.2012
noch 72 Stunden
Auch an diesem Morgen beherrscht der Tod des Jungen auf Amrum das Gespräch. Obwohl das Kind beim Spielen zu Tode kam, thematisiert die Freundin das Problem. Die Frage der Freundin, was ich mit Menschen tun würde, die Levin Gewalt antun, habe ich so beantwortet wie ich denke. Für das, was ich diesem Menschen antun würde, ginge ich ins Gefängnis. Nach langem Frühstück, ausschweifenden Gesprächen, fahren wir zum Einkaufen und danach zum Strand. Die Kinder spielen wunderschön am Wasser, wir können relaxen und machen aus, dass wir am letzten Abend hier essen wollen. In dieser Nacht fühlen wir, meine Partnerin und ich uns beim Schlafengehen endlich mal wieder frei. Sie sagt mir wie sehr sie mich liebe und dass es ihr Leid tut, es nicht immer so zeigen zu können. Im Rückblick auf ihre Reaktion auf meine Frage, ob sie früher ein schlimmes Erlebnis hatte, gewinnt eine Beobachtung zu ihrem Schlafverhalten, die ich seit einigen Monaten mache, eine andere Bedeutung. Zuerst habe ich beleidigt reagiert und einen anderen Mann hinter ihren „Träumen“ vermutet, zumal sie auch Namen rief. Nach einigen Malen habe ich sie morgens damit konfrontiert. Sie reagierte empört und wollte nicht darüber reden. Schlafforscher der Universitäten in Stanford und Minneapolis haben solche Verhaltensmuster untersucht und der Schlafforscher Schenck von der „University of Minnesota“ veröffentlichte im Fachmagazin „Sleep“ Theorien zur Erklärung. Oft können sich die Betroffenen an nichts mehr erinnern. Mit diesem Wissen konnte ich mit ihrem Verhalten umgehen, zumal sie das mittlerweile wohl selbst auch schon einige Male bemerkt hatte.
Mittwoch, den 04.07.2012
noch 48 Stunden
Die Freundin geht wie fast jeden Morgen mit den Kindern Brötchen holen. Die Tochter hat eine weitere Nixe bekommen. Die Kinder gucken KiKa. Obwohl Christel und ich den Fernsehkonsum der Kinder nicht gutheißen, lassen wir es zu. Nach den nervtötenden Gesprächen der letzten zwei Tage immer wieder über das Thema Sex und dessen Gefahren in allen Bereichen und Lebenslagen kann ich aber nicht umhin diabolisch zu der Wassernixe eine kritische Bemerkung zu machen. Nach all dem Gerede der letzten Tage über Sex und noch einmal Sex reitet mich ein wenig der Teufel. Obwohl es allein ihre Sache ist, was sie ihrer Tochter kauft und es mir nicht wichtig ist, äußere ich, dass diese Billigausgabe einer Barbiepuppe einfach zu sexistisch ist. Natürlich finden beide Frauen meine Haltung als realitätsfern. Sie finden nichts dabei und lachen mich aus. Mir sind die Antworten eigentlich egal, aber das ständige Diskutieren in den letzten Tagen über Sexualität ist mir so auf die Nerven gegangen, dass ich nicht im Traum daran denke, von meinem Standpunkt zu weichen. Heute und bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass alle Gespräche zu Sexualität und kindlicher Entwicklung von der Freundin ausgehen. Sie ist es eigentlich gewesen, die über die Sexualität der Tochter sprach. Sie machte ihre eigenen sexuellen Erfahrungen mit ihrem Partner, den sie als impotent beschreibt zum Thema. Ich denke, dass sie bei Christel die richtige Saite anschlug oder gerne in ihrem Auftrag handelte. Doris Steinel leidet seit Jahren darunter, dass wir mit Levin eine glückliche Dreiergemeinschaft sind, während sie ständig wechselnde Partnerschaften hat. Das wird mir später durch eine ehemalige Freundin von ihr auch bestätigt. Ihre Darstellung, dass alle ihre Freunde der letzten zwei Jahre impotent gewesen seien, kann ich eh nicht glauben. Diese Bemerkung von ihr amüsiert mich – natürlich nur im Stillen. Wenn die Wochenendbekanntschaften alle impotent waren, muss ich dann an das Wunder Hanni glauben und eine Kerze anzünden? Als wir nach Hiddensee fahren wollen, zeigt sich, dass wir zu wenig Zeit haben würden. Wir beschließen zu dem Erlebnis-Bauernhof zu fahren. Unser Sohn und seine kleine Freundin toben sich im „Tobeland“ aus, die beiden Frauen gehen shoppen. Bepackt mit den Jacken, Provianttaschen beider Frauen und
den Jacken beider Kinder lasse ich mich in einem Liegestuhl fallen, der vor diesem riesigen Spielbereich für Kinder steht. Irgendwann tauchen beide Frauen auf, lassen ihre gekauften „Schätze“ zurück und stürzen sich erneut in die Abteilung für Marmelade und sonstigen Leckereien. Das anschließende große Bedauern über meine tragende Rolle nehme ich lächelnd zur Kenntnis, denn wenn ich ehrlich bin, hat es mehr Spaß gemacht für einige Minuten die Augen zu schließen und dann dem Gewusel in diesem Labyrinth aus Gängen, Stufen, Leitern und Rutschen zuzuschauen. Nach einiger Zeit verlassen wir den großen Laden und gehen ins Freigelände. Sohnemann geht mit mir rutschen, klettern, Feuerwehr erkunden, wir fahren Traktor, gehen in den Streichelzoo etc. Die Kinder fühlen sich wohl. Unser Sohn hat beim Spielen wieder mal vergessen, dass er zur Toilette muss. Die Mama geht ihn sauber machen und er muss ohne Unterhöschen, nur in der normalen Hose nach Hause. Im Haus angekommen, wollen beide Kinder wieder KiKa gucken. Eine der Frauen stellt ihnen den Fernseher an. Ich lese in meinem Buch und schaue mit halbem Auge ab und zu auf den Bildschirm. Aus meiner Sicht sendet der Kanal nicht immer nur qualitative Beiträge. Aber wir sind im Urlaub. Langsam geht mir das Thema Sex wirklich auf die Nerven. Jede Bemerkung und sei sie kindlich noch so harmlos, wird von den beiden Frauen aufgegriffen, hinterfragt und diskutiert. Man könnte fast meinen, dass sie einen Kreuzzug gegen die Freizügigkeit in Film, Presse und Gesellschaft begonnen haben. Die Diskussion der beiden Frauen ist so überflüssig wie ein Kropf. Ob die Trickfiguren in dem Film angezogen sind, muss nicht im Nachhinein diskutiert werden. Dann hätten sie sich dazu setzen sollen. Es geht um Kika mit Filmen für Kleinkinder. Das sage ich auch und beende für mich das Thema mit dem Hinweis,