Lass Gott aus dem Spiel. Harald Lüders
Versorgung der Welt. Aber wir können nicht mehr warten, der Zug fährt sonst ohne uns ab. Gib endlich deine Einwilligung.«
Der Alte hustet trocken, steckt sich trotzdem eine Zigarette an. »Ich weiß, was du willst. Erzähl mir nichts von Pflegerinnen und Medizin für mich, du willst dir einen Batzen Geld krallen und dich dann an die Côte d’Azur absetzen. Nein, mein Kleiner. Du bist ein heimatloser Geselle, ich aber habe hier mein Leben verbracht, und ich werde hier sterben. Dieses Haus hat mein Großvater gebaut, mein Vater hat es mir vererbt, und ich werde es an dich vererben und nicht irgendwelchen jüdischen Bankern verkaufen. Wenn du was gegen die Verluste tun willst, dann investiere – und bringe das Hotel auf Vordermann!«
Carl Steinhoff schlägt sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Okay, Vater, dann lass uns wenigstens eine kleine Lösung angehen. Die Moschee im Hinterhof muss weg. Ich will keine Muslime, die hier ständig rumhocken und wer weiß was ausbaldowern.«
Der Alte steht mühsam auf, tapert zu seinem Schreibtisch, zerrt heftig an einer klemmenden Schublade, zieht dann eine Klarsichthülle hervor, in der ein Vertrag steckt. »Der Mietvertrag läuft noch gute drei Jahre. Ich sehe keinen Grund, vorher zu kündigen, das sind ordentliche Leute, die haben immer pünktlich bezahlt. Ich mag die Kopftuchfrauen auch nicht, Erwin tobt regelmäßig, wenn er welche sieht. Aber der Gemeindechef, mit dem ich den Vertrag gemacht habe, besucht mich regelmäßig und zeigt mir seinen Respekt. Die Muslime ehren das Alter, da kannst du dir eine Scheibe von abschneiden. Die bleiben noch drei Jahre. Wenn ich tot bin, kannst du gerne kündigen.«
Der Alte lässt sich erschöpft in seine Kissen sinken, hustend steckt er sich die nächste Zigarette an.
Carl Steinhoff fixiert seinen Vater. »Ist das dein letztes Wort, alter Mann?«
»Ja, mein Sohn, ich bin zu alt für Witze.«
Carl Steinhoff steht abrupt auf, dreht sich um und verlässt grußlos die Wohnung. Schon draußen in dem großen Treppenhaus fischt er sein Handy aus der Tasche. »Benno, leg los. Sofort.«
»Ganz ruhig, bin längst dabei. Denk an den Vertrag.«
Enis hat in alten Fotos und Notizbüchern gekramt und nach längerem Suchen die Adresse von Ayse, der Frau seines vor Kurzem an Krebs gestorbenen Bekannten, gefunden. Er hat angerufen, ein nicht ganz leichtes Gespräch hinter sich gebracht, am Ende aber die Handynummer ihres Sohnes Ahmed bekommen. Er hat Ayses dringende Bitte im Ohr, mal ein längeres Gespräch mit dem Jungen zu suchen. Sie ist besorgt über Ahmeds zunehmende Religiosität. Seit dem Tod des Vaters kapsele er sich ab, verbringe Stunden vor dem Computer, vernachlässige seine Freunde und die Schule, halte zu Hause zunehmend radikaler werdende Reden gegen das gottlose Leben seiner Mutter. Enis hat versprochen, sein Bestes zu tun, obwohl für ihn Ahmed nur ein Türöffner ist und er nicht wirklich vorhat, den Ersatzvater zu spielen. Er weiß, der Junge hat eine schlimme Zeit hinter sich, die Krebsdiagnose des Vaters war wie ein Blitz aus heiterem Himmel gekommen. Den Vater ein halbes Jahr leiden zu sehen, war für den damals Sechzehnjährigen sehr hart gewesen.
Enis hat kurz danach den Jungen angerufen und Ahmed in ein Gespräch über den verstorbenen Vater verwickelt – worauf sie sich in einer Shishabar in Höchst verabredet haben.
Enis bringt zu dem Treffen mit dem blassen Jungen, der gerade versucht, sich einen Bart stehen zu lassen, einige Bilder mit, auf denen Enis und Ahmeds Vater zu sehen sind. Die Bilder sind ein wunderbarer Eisbrecher. Enis spürt, wie sehr dem jetzt Siebzehnjährigen der Vater fehlt.
Dann kommt er zur Sache, erzählt, dass er bei der öffentlichen Predigt neulich Ahmed im engeren Kreis um Ibrahim gesehen habe. Als die Rede auf Ibrahim kommt, wird Ahmed lebendig. Er schwärmt von Ibrahim, der noch so jung sei, aber doch schon so klug, ja weise. Ahmeds Augen funkeln, alle Schüchternheit fällt von ihm ab, er redet sich in Rage.
»Er verlangt viel von uns, er lehrt uns, dass es Richtig und Falsch gibt und nichts dazwischen. Viele haben Angst vor ihm, meine Mutter hält ihn für einen Radikalen, aber ich habe mich entschlossen, ihm zu folgen, er ist ein Gesegneter. Sei doch ehrlich, was soll der ganze Stress hier mit Schule oder Lehre, ist doch alles für die Katz. Die richtig guten Jobs sind eh für Deutsche reserviert. Ich habe keinen Bock mehr auf diese Spiele. Ich will lernen, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Ich will mich reinigen, will den Weg Gottes gehen. Vielleicht folge ich Ibrahim eines Tages in seine Heimat, wenn wir, so Allah will, dort einen gottgefälligen Staat aufbauen.«
Enis denkt an Ahmeds Mutter, lässt sich seine Gefühle aber nicht anmerken. Er gibt sich beeindruckt, sagt, er würde Ibrahim gerne kennenlernen, ein Interview mit ihm führen. Ahmed reagiert zurückhaltend und enttäuscht, dass Enis sich nur aus journalistischen Gründen für den Prediger interessiert. Er glaubt nicht, dass Ibrahim mit der Presse redet. Aber er verspricht, sich für Enis einzusetzen, einen Kontakt herzustellen.
Benno Stiller sitzt in seinem Büro und spielt nervös mit seinem Handy. Das Gespräch mit Costello ist nicht wie erhofft verlaufen. Insgeheim hat er mit einer anderen Reaktion gerechnet. Costello hat entweder kein Interesse, ihm einen ausgemusterten amerikanischen Kämpfer zu besorgen, oder er hat momentan einfach keinen an der Hand. Den Hinweis mit den Drohungen gegen die Moschee, da ist sich Bruno sicher, wird er an die Amerikaner durchreichen, und die werden pflichtschuldig die Deutschen informieren. Wenn es so weit ist, wird also ein Aktenvermerk auftauchen, dass Geheimdienstkreise schon lange vor einem Anschlag gewarnt haben.
Gut so.
Geheimdienste klingen nach Politik, nicht nach Immobiliengeschäften.
Bennos Büro ist in einer großen Wohnung in der Kaiserstraße, im dritten Stock. Gedankenverloren tritt er ans Fenster, beobachtet das Gewusel auf der Straße unten.
Im Hinterkopf tickt bei ihm immer noch die Sorge über die Ermittlungen der Frankfurter Polizei wegen des Toten in seiner vermieteten Wohnung. Er kann jetzt wirklich keine Polizeiaufmerksamkeit gebrauchen. Natürlich wusste er, dass er die Wohnung an Dealer vermietet hatte, aber hier im Viertel zahlt niemand so viel für eine Wohnung wie Dealer, die ihre Ruhe haben wollen. Warum zu Teufel sich dann einer eine Kugel gefangen hat, war im unklar. Aber egal. Benno will jetzt in Ruhe den Steinhoff-Job durchziehen und dann mit ein paar Millionen auf dem Konto in den Süden verschwinden.
Sein Handy schrillt, er schüttelt sich, nimmt das Gespräch an. »Mensch, Drago, super, dass du so schnell zurückrufst, mit dir habe ich noch gar nicht gerechnet.«
Benno hört konzentriert zu, die Verbindung ist nicht die beste. »Echt, da war er dabei. Krass. Nein, nein, stört mich überhaupt nicht, im Gegenteil, dann hat er keine Probleme mit dem Objekt.« Benno lacht ein wenig angestrengt. »Was sagst du? Der Mann ist schon in Frankfurt? Drago, du bist ein Zauberer. Ich schulde dir was, ich schulde dir einen fetten Gefallen. Und deine zehn Prozent Provision, ist doch klar. Wie kann ich ihn treffen? Hast du eine Nummer?«
Benno kramt nach einem Blatt und notiert. »Ja, den Laden kenn ich. Hat einen großen Garten. Rödelheim, ja klar. Was, jetzt gleich? Okay, sag ihm, ich bin in einer halben Stunde bei ihm. Wie erkenne ich den Mann? Okay, er heißt Branko und hat eine Tätowierung auf der Hand, ein Kreuz, in jedem der seitlich offenen Rechtecke ein umgedrehtes C. Das Serbenkreuz. Alles klar. Drago, besten Dank, Bruder. Das werde ich dir nicht vergessen.«
Benno schaut auf seine Uhr. Er wird sich beeilen müssen. Der Typ ist nicht dumm, er zwingt Benno zur Eile und stellt so sicher, dass Benno nicht mit Überraschungen um die Ecke kommt. Benno stürzt zu seinem Wagen, zerreißt den Knollen unter dem Scheibenwischer und braust los. Er muss eine Jugo-Gartenkneipe in Rödelheim finden.
Rödelheim liegt am Stadtrand, gut gewählt, der Mann darf auf keinen Fall im Bahnhofsviertel gesehen werden. Dragos Ansage klang vielversprechend. Ein Veteran aus den jugoslawischen Kriegen. War mit seinem Kommandanten Arkan erst in Bosnien, dann im Kosovo auf Moslemjagd. Während der Fahrt ruft Benno einen kroatischen Freund an, um sich nach diesem Arkan zu erkundigen.
Mit seiner Frage löst er einen Wutanfall aus, mit dem er nicht gerechnet hat. »Benno, du Arsch, was fragst du mich nach Arkan? Ich bin Kroate, hast du das vergessen? Arkan war in Belgrad ein elender Verbrecher und wurde dann zum Schlächter für Milosevic. Er hatte eine Einheit, bewaffnet bis