Lass Gott aus dem Spiel. Harald Lüders
hinter seinem etwas überdimensionierten Chefschreibtisch. Er trägt ein tailliertes dunkles Hemd, das seine Halbschwergewichtsfigur zur Geltung bringen soll. Und zur Feier des Tages hat er sich schon am frühen Nachmittag einen Jack Daniels auf Eis gegönnt.
Das Gespräch mit Carl Steinhoff hätte nicht besser laufen können. Fünf Millionen, was für eine sensationelle Aussicht. Die Tatsache, dass zwischen ihm und diesen fünf Millionen immer noch eine Moschee und der alte Steinhoff stehen, lässt ihn kalt. Endlich eröffnet sich ihm die Chance, auf die er seit Langem gehofft hat.
Während seiner Zeit bei der Polizei konnte er mit Informationen ordentlich Kohle machen. Er hatte nie ein schlechtes Gewissen dabei, Leute wie die Hells Angels standen ihm immer näher als liberale Politiker ohne Eier in der Hose. Aber die Polizeizeit liegt schon weit zurück. Da er merkt, wie sein Einfluss nachlässt und der Respekt, der ihm entgegengebracht wird, abnimmt, ist es jetzt für ihn höchste Zeit, seine Altersvorsorge zu sichern. Die paar Wohnungen, die Benno im Viertel besitzt, reichen nicht aus, um seine goldenen Träume zu finanzieren. Dass sich Carl Steinhoff jetzt komplett in seine Hände begibt, ist seine Chance. Er wird sie nutzen.
Er braucht einen Profi, einen Mann für die ganz harten Jobs. Und am besten wäre es, wenn dieser Jemand möglichst wenig Ahnung von den Frankfurter Verhältnissen hätte. Wenn es sich rumspricht, um welche Summe hier im Viertel gespielt wird, kommen die Leute auf die komischsten Ideen.
Benno Stiller hat einige Absagen bekommen, noch beunruhigt ihn das nicht. Er hatte als Erstes eine rechte Motorradgang aus Mannheim angerufen, aber bei dem Thema Moschee bekamen die Kuttenträger lange Zähne. Allenfalls ein Brandanschlag sei drin. Als Benno Stiller den Mannheimern erklärte, dass daran nicht zu denken sei, sagten sie ab. Jeder denkt bei Brandstiftung sofort an ein Immobiliengeschäft, ist doch leicht zu verstehen. Besonders wenn kurz danach das Gebäude verkauft wird. Nein, Bennos Gedanken gehen in eine ganz andere Richtung. Es muss etwas sein, das um ein Vielfaches schlimmer ist als ein Feuer. Benno weiß nur zu gut, wie die Polizei tickt. Wenn von Anfang an ein bestimmter Verdacht im Raum steht und ein bestimmtes Dezernat mit den Ermittlungen betraut ist, dann segelt die ganze Ermittlung in eine Richtung und alle anderen Möglichkeiten bleiben außen vor.
Benno kennt die Frankfurter Polizei gut, er fürchtet das Morddezernat und das Wirtschaftsdezernat. Die beiden muss er außen vor halten.
Da klingelt sein Handy.
»Benno hier«, er steckt sich eine Zigarette an. »Mensch, super, dass du zurückrufst. Drago, ich brauche einen absolut zuverlässigen Freiberufler für einen Job in Frankfurt, vielleicht werden es auch zwei Jobs. Wird auf Bundesliganiveau bezahlt.«
Er lacht, hört dann schweigend seinem Bekannten aus Belgrad zu. »Echt, da war der dabei? Okay, Drago, der wäre perfekt. War der in letzter Zeit im Knast oder hatte sonstigen Ärger mit Polizei oder Diensten? Check ihn bitte und melde dich. Danke, hast einen gut.«
Benno mag Jugos wie Drago. Sind harte, verlässliche Typen, die auch mal ein verschärftes Verhör wegstecken. Die sind von Hause aus eine so heftige Gangart gewöhnt, die finden die deutsche Polizei eher niedlich.
Da fällt ihm Bill Costello ein. Ein undurchsichtiger Ami, ein Geschäftsmann, dem man nachsagt, er habe Verbindungen sowohl zur Mafia als auch zu amerikanischen Diensten. Für Benno Stiller eine klare Empfehlung. Ein Mann mit vielfältigen Kontakten ist genau das, was er jetzt braucht. Er erreicht nur die Sekretärin, macht ein Treffen für den nächsten Tag um 21 Uhr in Fleming’s Bar aus.
Benno gießt sich ein neues Glas Jack Daniels ein, legt Eiswürfel nach. Er lächelt friedlich, träumt von einem neuen fetten Motorboot, mit dem er die Damenwelt an der Marina von Palma de Mallorca beeindrucken wird.
Äußerlich wirkt David McCallan völlig entspannt, als er das Büro des Directors of Operations verlässt. Der Boss hatte ihn nach der internen Präsentation im Beisein des Vizechefs der CIA noch in sein Büro gebeten, in dem er dem Agenten McCallan unmissverständlich klargemacht hat, dass er aufhören soll, seine unmittelbaren Vorgesetzten für dumm zu verkaufen. Der Direktor hat McCallan vorgerechnet, dass er bisher gut 1,8 Millionen Dollar ohne Genehmigung in ein offiziell nicht existentes Projekt gesteckt hat. Schließlich machte er McCallan klar, dass Einsatzbefehle für sogenannte PMOOs, Paramilitary Operation Officers, also für die hochausgebildeten Einzelkämpfer des CIA, nur vom Direktor, aber auf keinen Fall von McCallan angeordnet werden dürften.
Nach diesem Anpfiff aber hatte der Direktor ihm seinen Respekt für die Zähigkeit, den Mut und die Ausdauer ausgedrückt, herausragende Eigenschaften, mit denen McCallan seinen Plan vorantrieb.
Als McCallan dann nach dem gut halbstündigen Gespräch alleine auf dem Gang steht und erst einmal Luft holt, wird ihm klar, wie knapp er gerade gewonnen hat.
Verdammt, schon seit gut zehn Jahren verfolgt er einen Plan. Er will sich an Afghanistan rächen, er hasst das Land und die verfluchten Taliban aus tiefster Seele. Zu viel Grausames hat er hier erlebt. Zwei Mitglieder eines von ihm geleiteten CIA-Kommandos, beides seine Freunde, wurden gefangengenommen und erst Wochen später gefunden, geblendet und mit üblen Folterspuren am ganzen Körper. Er hat verwüstete Dörfer gesehen, hat Türen von Häusern eingetreten, nur um in ihnen Leichen von Frauen und ihren Kindern zu finden. Und er fühlt sich bis heute schuldig für einen von ihm angeforderten Bombenangriff, bei dem der Pilot mit den Zielkoordinaten durcheinanderkam und ein befreundetes Dorf angriff – mit fürchterlichen Folgen. Eine offizielle Untersuchung wurde eingestellt, 32 Tote wurden unter »Kollateralschaden« abgelegt. Aber er hat das verdammte Dorf immer noch im Kopf. Seitdem lässt ihn ein Gedanke nicht mehr los: Wir dürfen nicht mit technischer Überlegenheit von oben angreifen und viel zu oft die Falschen treffen, wir müssen, wie die Taliban, von innen kommen.
Und dann, vor über zehn Jahren, begegnete er einem kleinen hochbegabten Waisenkind in der amerikanischen Schule in Kabul.
Als er mit dem tief traumatisierten Jungen sprach, wusste er plötzlich, wie es gehen könnte – mit auf lange Strecken angelegten Operationen, der hohen Schule der geheimen Arbeit. David McCallan nahm den Jungen unter seine persönlichen Fittiche, um mit ihm an seinem Meisterwerk zu feilen.
Immer noch tief in Gedanken versunken, betritt er jetzt die Operationszentrale seiner Einheit, stellt sich hinter Agent Roger Taylor, der grüblerisch zwei Monitore beobachtet. Auf dem einen Bildschirm flirren körnige und unscharfe Bilder einer afghanischen Berglandschaft, auf dem anderen sieht er ein gestochen scharfes Satellitenbild der Stadt Frankfurt am Main, Germany. Taylor dreht sich auf seinen Stuhl herum. »David, wie ist es gelaufen, können wir durchstarten?«
»Verdammt, Roger, eine echt gute Frage. Aber du solltest mittlerweile wissen, dass die CIA klare Antworten hast. Wir haben ein vorläufiges Go, mit Einschränkungen zwar, aber wir haben ein Go! Wir können Gelder ausgeben, wir haben einen eigenen Etat, allerdings ist die Zeit der vollständigen Eigenständigkeit vorbei. Sie haben uns eingefangen, aber den langfristigen Plan bestätigt. Wir haben sogar bedingten Zugriff auf 20 Mann Special Forces, wenn es zurück in die alte Heimat Afghanistan geht.«
Roger Taylor, ein begeisterungsfähiger junger Mitarbeiter, sieht einen grandiosen Sieg für McCallan und sein streng geheimes Projekt. Er strahlt seinen Chef an, macht breit grinsend ein Victoryzeichen.
McCallan beschwichtigt: »Kein Grund zu feiern, Roger. Alle Einsätze von PMOOs und alle Einsätze, bei denen in verbündeten Ländern Menschen zu Schaden kommen könnten, bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Director of Operations. Das ist besonders für unseren deutschen Plan schlecht. Da werden wir tricksen müssen, unser Mann braucht einen Erfolg, einen großen Erfolg. Dann kann er bald zurück in die Heimat. Mit Gefolge und großem Tamtam. Wir werden Afghanistan einen neuen Helden schenken, an dem die Taliban nicht vorbeikommen. «
McCallan lässt sich erschöpft in einen Sessel fallen und bittet den Kollegen, ihm einen Kaffee zu bringen. »Und, Roger, dann bestellen Sie bitte eine sichere Leitung und holen mir den Frankfurter Station Chief ans Telefon. Danke.«
Mitch hat Erwins 14 Kladden in zwei Plastiktüten gepackt und ein Taxi gerufen. Er hat keine Lust, mit diesem Gepäck in der U-Bahn zu sitzen. Er ist immer noch völlig überrascht über Erwins Reaktion. Das Gespräch