Lass Gott aus dem Spiel. Harald Lüders
und Bilder von Satelliteneinspielungen zu sehen sind.
»Hallo, Jungs. Mike und Roger kommen mit mir, nehmt bitte die nötigen Unterlagen mit, wir präsentieren heute Operation Troja.«
Die drei verlassen das Büro, marschieren über endlose Gänge und betreten dann einen mittelgroßen, bereits halb gefüllten Konferenzraum. Einige Minuten später betreten der Chef des Directorate of Operations und der Vizechef der Agency den Raum. Die wöchentliche Lagebesprechung des stellvertretenden CIA-Chefs beginnt, heute soll es um neue, ungewöhnliche und langfristig angelegte Operationen mit hohem Risikopotential gehen.
Gegen Ende des Meetings wird Agent David McCallan zur Präsentation gebeten. Er erhebt sich, ist nervös, für ihn geht es heute um viel. Jahrelang schon treibt ihn dieser Plan um, der Tag heute soll den Durchbruch bringen. Wenn er Erfolg hat, kann das Programm endlich legalisiert werden, dann endlich kommt er an dringend benötigte Gelder.
»Mr. Deputy Director, Ladies and Gentlemen, ich darf Ihnen die Operation Troja vorstellen. Wir haben den Namen Troja gewählt, weil es im Kern dieser Operation, wie seinerzeit bei dem berühmten Pferd, um ein vergiftetes Geschenk geht. In der großen Runde hier stelle ich nur die allgemeinen grundlegenden Gedanken vor, danach in kleiner Runde werde ich Details und den aktuellen Stand präsentieren. Ich bin der festen Überzeugung, in Afghanistan, in Syrien, im Irak und in anderen nahöstlichen Gegenden werden wir nur dann erfolgreich sein, wenn wir lernen, so zu kämpfen wie unsere Gegner. Wir alle wissen, was asymmetrische Kriegsführung ist, wir alle haben schon darunter gelitten, haben viel amerikanisches Blut bezahlt. Es ist Zeit, über diese Methoden nachzudenken, sie selber anzuwenden, sie gegen den Gegner zu richten. Der Gegner arbeitet variantenreich, schickt Selbstmordattentäter oder sogenannte Inghemasijun: Kämpfer, die bewaffnet in unsere als gesichert geltenden Stellungen eindringen. Sie unterscheiden sich von einem Selbstmordattentäter grundlegend. Der Inghemasijun wird am Ende vielleicht sterben, aber er muss es nicht. Er muss nur den Kampf möglichst lange durchhalten, die Meldungen einer lang anhaltenden Operation erschüttern die westliche Öffentlichkeit am meisten. Militärische Anlagen können Ziele sein, aber vor allem weiche Ziele schmerzen den Gegner. Der Kampf um das Taj Mahal Hotel in Mumbai dauerte Tage und hielt die Welt in Atem. Bisher waren es immer wir, die unter solchen Operationen zu leiden hatten. Wie häufig ist es den Taliban gelungen, uns in unseren eigenen Stellungen anzugreifen. Wie oft haben scheinbar loyale afghanische Soldaten plötzlich auf unserer Bagram Air Base das Feuer auf unsere Jungs eröffnet – mit zum Teil fürchterlichen Opferzahlen.«
McCallan blickt in die Runde, bemerkt mit Freude, dass sowohl der Vizedirektor als auch der Chef des DO fasziniert zuhören.
»Jetzt naht die Zeit, in der wir diese Art zu kämpfen gegen unsere Feinde einsetzen können. Wir haben ein Programm gestartet, dass uns am Ende des Tages eine Einladung zu einem Meeting der Führungsebene der Taliban bescheren wird. Und wir werden dieses Meeting angreifen. Entweder am Boden oder wir werden dem Drohnenkommando die Koordinaten übermitteln und dann von oben angreifen.«
McCallan erntet ungläubige Blicke und leises Lachen. »Wie zum Teufel wollen Sie an die Koordinaten eines geheimen Treffens der Taliban-Führung kommen? Das ist noch nie gelungen – sonst hätten wir doch längst ein paar Drohnen rübergeschickt.«
McCallan lächelt kühl. »Wir stellen gerade ein Paket zusammen, das für die Taliban so interessant sein wird, dass wir eine Einladung auf Büttenpapier mit Goldrand bekommen werden.«
Wieder raunt die Runde ungläubig.
»Ich werde Ihnen die Details gerne in kleinerer Runde vorstellen. Die Vorbereitungen sind recht weit gediehen.« McCallan lächelt den Vizechef höflich an, wirft dann einen eisigen Blick in die Runde.
Gut die Hälfte der Anwesenden erhebt sich, man wartet, bis sich der Raum gelehrt hat, dann fordert der Deputy Director McCallan auf fortzufahren.
Mitch ist schon früh auf den Beinen, er streift durch das Viertel. Als er an einem der Laufhäuser vorbeikommt, staunt er über einen durchgestylten Mann im Nadelstreifenanzug, der schon morgens um halb zehn das Bordell betritt. »Mann, Mann«, wundert er sich, »morgens um halb zehn, der Typ muss einen gewaltigen Druck haben.«
Einen Moment überlegt er, dem Mann einfach mal zu folgen, aber da sieht er Erwin auf sich zukommen, der einen derangierten Eindruck macht. »Hallo, wir haben uns gestern gesehen, als die beiden Türken Sie niedergeschlagen haben. Wie geht es Ihnen denn? Mein Name ist Mitch Berger, ich bin Journalist, arbeite über das Viertel hier, hätten Sie Lust, einen Kaffee mit mir zu trinken und ein paar Minuten zu reden?«
Erwin betrachtet Mitch wie einen Geist. »Warum nicht, wenn es zu dem Kaffee einen Schnaps gibt?«
Mitch nickt, und so lassen sie sich gleich hier neben dem Laufhaus in einem schäbigen Laden nieder. Erwin schafft es, zwei Kaffee und einen Underberg zu bestellen. Mitch mustert sein Gegenüber, sieht die immer noch geschwollene Lippe, die glanzlosen Augen, die hängenden Tränensäcke, die schütteren Haare. Erwin nimmt die kleine Flasche Underberg, kippt sie auf ex, ignoriert seinen Kaffee, hält die kleine Flasche hoch und bestellt noch eine.
Mitch nickt ihm zu. »Warum hast du die Alte mit dem Kopftuch eigentlich so angemacht? Du musstest doch damit rechnen, dass der Leute zu Hilfe kommen würden.«
»Das mit dem Rechnen ist nicht meine Stärke. Außerdem hasse ich diese Weiber mit ihren Tüchern und Schleiern, so läuft man in Deutschland nicht rum, das ist doch immer noch unser Land.«
Erwin setzt die kleine Flasche hart auf dem Tisch ab, schaut Mitch herausfordernd an. In diesem Moment verlässt der Typ im Nadelstreifen das Bordell, zieht im Rausgehen seine Krawatte gerade, dreht nach links, Richtung Mainzer Landstraße, der Bankenallee. Mitch schaut ihm fassungslos nach.
Erwin stutzt. »Kennst du den Kerl nicht? Den musst du kennen, wenn du über das Viertel schreiben willst: Das ist Brian, ein Banker, der kommt jeden Tag mindestens viermal hierher. Kannst die Uhr nach stellen. Und wenn er zu seiner Bummszeit einen Termin in seiner Bank hat, dann holt er die Nummer nach. Er steht auf Dicke, hat drei Weiber da drin, die er immer wieder besucht, alle drei haben ganz schön was auf den Rippen und mittlerweile ordentlich was im Portemonnaie. Der spinnt, aber das ist halt sein Ding, geht mich nichts an. Und warum interessierst du dich für das Bahnhofsviertel? Willst du schreiben, wie schön bunt hier alles ist, wie toll sich alle verstehen?«
Mitch schlürft seinen labbrigen Kaffee, bestellt einen neuen, obwohl ihn Erwin mit seiner aggressiven Kaputtheit nervt. »Na klar, läuft doch auch alles ganz gut, wenn du nicht gerade Nutte oder Junkie bist.«
Erwin schüttelt sich. »Oder Deutscher. Wir haben hier nichts mehr zu melden, wir sind eine winzige Minderheit, dabei ist das hier verdammt noch mal unser Land. Warum müssen die ganzen frommen Weiber ausgerechnet hier im Bahnhofsviertel rumkriechen? Irgendwann übernehmen die das alles hier, dann werden die Bordelle zugemacht, die Bars geschlossen, und wir können alle beten gehen. Und die blöden Deutschen schauen zu und staunen plötzlich, wie schnell das gegangen ist.«
Mitch kratzt sich am Kopf, überlegt, ob er kontern oder Erwin einfach weiter fluchen lassen soll. Mitch will kapieren, wie Erwin tickt, also hält er den Mund und bestellt noch einen Kaffee und für Erwin den dritten Underberg, was dessen Mitteilungsbedürfnis noch weiter antreibt. »Ich habe neulich von dieser Rasta-Rakete gelesen, von dieser Kapitänin, die jetzt alle so lieben. Die meint, wir müssten auch alle Neger, denen es zu Hause zu heiß wird wegen dem Klima, die müssten wir auch alle aufnehmen. Und jeder, der im Wasser liegt, den muss sie rausholen und hierher bringen. Die Frau spinnt doch. Willst du in diesem Land noch ein paar Millionen Schwarze mehr haben? So viele Dealer braucht kein Mensch. Was soll das, warum alle zu uns? Warum hilft mir kein Amt? Kein niemand, aber den Schwarzen und den Moslems stecken sie es hinten rein.«
Mitch wird langsam, aber sicher sauer. »Du brauchst doch kein Amt. Du hast doch den alten Steinhoff, der hilft dir doch, oder?«
»Lass den Steinhoff aus dem Spiel, er ist ein guter Kerl, der keinem mehr was tut. War früher ein harter Junge, aber das ist lang her.«
»Und was ist mit Benno Stiller? Auch ein Freund von dir?«
Erwin