Lass Gott aus dem Spiel. Harald Lüders

Lass Gott aus dem Spiel - Harald Lüders


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Sekunde nach und tippt dann eine WhatsApp.

      Mitch Berger an Canan Aydin 22:14

      Liebe Frau Aydin, der Kollege Reinhardt, den Sie genannt hatten, ist ja nur für Presseanfragen zuständig, dies aber ist eine private Anfrage. Ich würde Sie liebend gerne in den nächsten Tagen mal auf einen Kaffee treffen. Gibt es da eine Chance? Lg, Mitch Berger.

      Mitch schaut in den nächtlichen Park, dann auf sein Handy. Als er nicht mehr mit einer Antwort rechnet, vibriert sein Handy.

      Canan Aydin an Mitch Berger 22:37

      Lieber Herr Berger, Enis hat mich schon gewarnt, dass Sie sein Handy geklaut hätten. Wahrscheinlich eine ziemlich dumme Lüge, er wird die Nummer rausgerückt haben. Immerhin ist es gut, dass Sie Ihre Anfrage nicht über den Kollegen Reinhardt geschickt haben, wäre peinlich. Ein Kaffee ist ein Kaffee ist ein Kaffee. Wenn das klar ist, dann gerne.

      Ich melde mich bei Ihnen. Lg, Canan Aydin.

      Mitch ballt die Faust und eilt beschwingt nach Hause.

      Der Mann betritt die langen, verwinkelten, dunkelrot beleuchteten Gänge des großen Laufhauses in der Elbestraße, als wäre es sein Wohnzimmer. Er tätschelt einer Schwarzen im Vorbeigehen den Hintern, gibt Carmen aus Kolumbien flüchtige Küsse auf beide Wangen. Die meisten Männer betreten das Haus leicht unsicher, möchten dabei nicht gesehen werden. Das Problem hat dieser Besucher nicht, er baut seinen massigen Körper jetzt vor den dunklen Scheiben des Verwalterzimmers auf, klopft donnernd an. Die Tür wird einen Spalt geöffnet, ein noch größerer Kerl, der vor einer Wand voller kleiner Monitore sitzt, hebt die Hand. »Hi Benno, Zeit, dass du dich mal wieder blicken lässt.«

      Benno Stiller klatscht den Verwalter ab, er kennt Kalle seit Jahren aus alten Tagen, als dieser mit seiner Hells-Angels-Weste aufgeregte Freier ganz schnell wieder auf Betriebstemperatur runterkühlte. Kalle trug damals die berühmt-berüchtigte Kutte des Hells Angels Charter Westend, dekoriert mit den Abzeichen »1%er« und »Red Light Squad«, die ihn als einen im Rotlichtmilieu arbeitenden Outlaw kennzeichneten. Bei Ärger mit Freiern oder konkurrierenden Zuhältern sorgte die Kutte sofort für Respekt. Er trägt sie nicht mehr, seit der Charter vom hessischen Innenminister verboten wurde. Zu der Zeit war Benno noch Polizist und entschieden gegen das Verbot. Er und viele andere Polizisten sahen in den Angels Verbündete gegen chaotische Jugogangs und Invasoren aus Albanien. Also hatte Benno den Angels oft nützliche Tipps gegeben. Razzien gegen von den Angels geführte Betriebe endeten meistens als Schlag ins Wasser. Die Rocker schuldeten ihm dafür den einen oder anderen Gefallen, freie Frauenauswahl im Laufhaus gehörte dazu. »Hast du was Neues zu empfehlen?«, fragt Benno.

      Kalle nickt, beugt sich vor zu seiner Monitorwand. Alle Zimmer sind zum Schutz der Frauen überwacht. Sollte ein Freier durchdrehen oder auf nicht vereinbarten Sadospielchen bestehen, ist Kalle oder ein ähnliches Kaliber in weniger als einer Minute vor Ort – und dann hat der Freier ein Problem. Kalle zeigt auf einen Monitor in der obersten Reihe. Eine noch sehr junge Frau räkelt sich auf dem Bett, betrachtet irgendeine amerikanische Serie auf ihrem Laptop. Sie trägt einen knappen Bikini, der ihre makellose Figur betont. »Das ist Joyce, kommt angeblich aus der Karibik, hat einen französischen Pass und sieht ziemlich scharf aus. Zwei Treppen hoch, sag ihr, die Nummer geht aufs Haus.« Benno nickt, bedankt sich. »Alles klar, Kalle, heiter weiter.«

      Benno kommt an einer Harley Davidson vorbei, die blank geputzt hinter Glas am Eingang zum Treppenhaus steht. Benno wird wehmütig, als er das Bike betrachtet, er kennt den Besitzer des guten Stücks. »Ist doch ein super Ende für die Mühle«, hatte der damals verkündet, »lebenslänglich im Puff, es gibt Schlimmeres.«

      Benno ist unruhig, er muss immer noch an die türkische Kommissarin denken, die voll arrogant vor ihm gestanden war und ständig von einem toten Dealer in einer seiner Wohnungen geredet hatte. »Kann ich was dafür, wenn sich meine Mieter umbringen?«, hatte er gefaucht. Die Polizistin hatte mit zwei Fingern auf ihre Augen und dann auf Benno gedeutet. Sie würde ein Auge auf ihn haben. Und genau das kann er jetzt überhaupt nicht brauchen. Er hat nichts mit dem plötzlichen Ableben dieses toten Dealers zu tun. Klar wusste er, dass er die Wohnung an Dealer vermietet, aber die bezahlen halt eine saftige Miete, ohne zu murren. Aber ein Toter? Davon war nie die Rede. Benno braucht jetzt keine Kommissarin im Nacken, er will jetzt endlich Geld machen, Carl Steinhoff richtig Geld abnehmen. Und jetzt will er seinen Spaß.

      Benno grinst die Damen an, die ihre Brüste zeigen, als sie ihn erkennen. Er steht jetzt vor dem Zimmer von Joyce. Er tritt ein, knallt die Tür hinter sich zu, beginnt seine Hose aufzuknöpfen und fordert Joyce auf, ihm einen zu blasen.

      Die Frau starrt ihn an, macht mit der linken Hand die Geste für Geld. Benno schüttelt den Kopf. »Geht aufs Haus, Kalle zahlt die Nummer.« Joyce blickt ihn verständnislos an, wiederholt die Geldzählgeste und murmelt: »Blasen dreißig Euro, erst zahlen.«

      Benno blickt sie wütend an. »Leck mich am Arsch, du Schlampe.« Er holt ansatzlos aus, trifft Joyce mit der Rückseite der flachen Hand auf den Mund. Sein Siegelring reißt ihr die Oberlippe auf, die junge Frau geht weinend zu Boden, hält sich den blutenden Mund. »Leg Eis drauf, Schlampe«, faucht Benno Stiller und stürmt die Treppen nach unten.

      Vor dem Ausgang hat sich Kalle aufgebaut. »Verdammter Idiot, du sollst sie ficken und nicht schlagen. Die Kleine fällt drei Tage aus, wer zahlt mir das?« Benno greift in die Hosentasche, holt zusammengerollte Scheine hervor, nimmt zwei 500er und drückt sie Kalle in die Hand. »Sollte reichen, nichts für ungut. Ich hab ein wenig Stress, bin jähzornig. Du kennst mich, sorry.«

      Draußen auf der Straße holt er Luft, steckt sich eine Kippe an und flucht laut.

      Er schaut auf die Uhr, noch ein bisschen Luft bis zu seinem Date.

      Erwin ist nach dem ersten Tiefschlaf wieder hellwach. Er blickt auf die Uhr an seinem Handgelenk, gerade mal eine Stunde geschlafen, die ganze Nacht noch vor sich. Wenn Erwin etwas hasst, dann sind es schlaflose Nächte. Er tastet suchend nach der Wasserflasche an seinem Bett, nimmt einen tiefen Schluck und erhebt sich mühsam. Er läuft unsicher zu dem Klappfenster, blickt in den hitzeflirrenden Abend, der die Nordseite des Hauptbahnhofs tiefblau umhüllt. Er hört Polizeisirenen, den üblichen Soundtrack der Nacht.

      Er wischt sich den Schweiß von der Stirn, läuft zum Schreibtisch und greift nach der Kladde Nummer 2, beginnt zu lesen.

      Eigentlich langweilt mich das Schreiben, weil man nur langweilig über ein langweiliges Leben schreiben kann. Wo soll ich anfangen? Vielleicht bei der Einsamkeit? Ich kann keinen Freund finden, mich keiner Clique anschließen. Spricht mich ein Mädchen an, dann steigt eine Woge aus Nervosität und hoffnungsvoller Erregung in mir auf, die mich verstummen oder stottern lässt. Zu Hause fiel es niemand auf, dass kein einziger Freund mal nachmittags vorbeikam. In dieser Zeit war Mutter zweimal in der Psycho-Klinik. Vater erzählt, wie gut er sich um sie gekümmert hat. Wie gerne würde ich ihm die Fresse polieren, immer wieder in sein feistes Gesicht schlagen.

      Meine Wut frisst mich von innen auf.

      Ich habe mich durch die Oberstufe gequält, der Alte schlug mir jede schlechte Note um die Ohren. Selten ging ich mit Klassenkameraden weg. Ein Klassenbesäufnis wurde zu einer Katastrophe, es hagelte Witze über mich. Torkelnd machte ich mich danach auf den Nachhauseweg, in der Linken eine Bierflasche. Kurz vor unserer Straße krachte ich gegen einen völlig schräg geparkten Porsche 911. Ich fluchte laut und schmetterte, ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken, die Bierflasche in die Frontscheibe des Wagens. Die Scheibe zersplitterte in tausend Stücke, ich lachte laut und fühlte mich erleichtert.

      Erwin legt die Kladde zur Seite, erhebt sich leicht schwankend, öffnet die Tür zum Kühlschrank, flucht laut, im Getränkefach herrscht gähnende Leere. »Scheiße, ich muss noch mal runter.«

      Benno Stiller schlendert durch die Elbestraße, spuckt verächtlich einem bettelnden Junkie vor die Füße, betrachtet erstaunt eine soeben frisch eröffnete Weinbar gleich neben dem ausgebaggerten Loch, wo bis vor Kurzem die Pik-Dame war. Jetzt steht er vor dem Steinhoff-Block, klingelt an dem riesigen, über und über mit Graffiti besprühten Flügeltor. Ein Summer ertönt, er tritt ein und läuft durch die verfallenden Gänge des großen Blocks, seine Schritte hallen


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