Lass Gott aus dem Spiel. Harald Lüders

Lass Gott aus dem Spiel - Harald Lüders


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Haupthaus samt dem Hotelflügel im heutigen Bahnhofsviertel einen riesigen Wert hatte. Es war einen Pool voller 500-Euro-Scheine wert, und nur der Alte stand zwischen ihm und dem Geld.

      Wieder stärker hinkend, überquert er jetzt die Gutleutstraße und betritt die perfekt gestylte Lobby des Designhotels Roomers. Er verschwindet kurz auf der Herrentoilette, um sich frisch zu machen. Sein Spiegelbild gefällt ihm nicht. Der Schweißfilm auf der Stirn stört ihn und die Tränensäcke, die noch größer zu werden drohen. Die kleine Warze links von der Nase wird er sich weglasern lassen. Er trinkt einen Schluck Wasser aus dem Hahn, schreitet dann so energisch wie möglich durch die Lobby zum Aufzug. Er kennt die CCB-Suite 116 nur zu gut.

      Zur selben Zeit verlassen in Frankfurt-Höchst zwei bärtige junge Männer, locker westlich gekleidet mit Jeans und Turnschuhen, das alte Postamt, in dem die Arbeiterwohlfahrt Integrationskurse für Flüchtlinge anbietet. Sie überqueren die Hauptstraße, laufen am vorderen Eingang des Asia-Markts vorbei und klopfen an der Tür der kleinen Lagerhalle.

      Notdürftig hat man hier versucht, dem Raum das Aussehen einer Moschee zu verleihen. Er ist mit Teppichen ausgelegt, aber an den Wänden fehlt jeglicher Schmuck. Eine einzige Kachel zeigt in arabischen Schriftzeichen den Namen Gottes, sie schmückt die Stirnseite des Raums.

      Ibrahim steht etwas abseits, sein hageres Gesicht wirkt nachdenklich, und seine tiefliegenden Augen sind nach innen gerichtet. Immer wieder treffen ihn neugierige Blicke der anderen Anwesenden, auch die der beiden später gekommenen jungen Männer. Niemand im Raum ist älter als dreißig. Hier trifft sich keine normale Gemeinde, hierhin kommt man nur auf Einladung.

      Ibrahim ist erst seit wenigen Monaten in Frankfurt, sein Deutsch ist passabel. Ihn umwehen Geheimnisse, Gerüchte, Andeutungen. Er war einige Zeit im Krieg in Syrien, wo er eine gewisse Position im IS gehabt haben soll. Keiner der Leute, die gekommen sind, um ihn zu hören, weiß Genaueres, niemand hat je versucht, das, was man über Ibrahim sagt, zu überprüfen.

      Jetzt richtet sich Ibrahim auf, durch seinen weißen Kaftan unterscheidet er sich deutlich von den anderen. Das Gewand verleiht ihm Würde und Autorität.

      Er spricht das Gebet.

      Die anderen sprechen ihm nach.

      Jetzt schweigt Ibrahim, lässt die Stille wirken, hält den erwartungsvollen Blicken stand. Dann spricht er mit klarer, ruhiger, lauter Stimme. Er beginnt mit dem Gotteslob. »Die Herrschaft liegt bei Dir, die Größe liegt bei Dir, es gibt keinen Gott außer Dir.«

      Wieder schweigt er. Als er fortfährt, hat sich der Klang seiner Stimme geändert, jetzt spricht er schneller, fordernder, voller Leidenschaft.

      »Meine Brüder, wir leben in schweren Zeiten. Unsere Feinde, die Feinde unseres Glaubens, triumphieren. Das Kalifat scheint besiegt, die Armeen der Ungläubigen sind auf dem Vormarsch. Ich aber sage euch, das ist das Bild von heute, nicht die Wahrheit von morgen. Lasst euch davon nicht irre machen, denn das Bild ist falsch. Wir kämpfen mit Gott, und wer mit Gott kämpft, der kann und wird nicht untergehen. Eine neue Phase des Kampfes hat begonnen. Wir wissen jetzt, dass die Soldaten des Islam noch nicht in der Lage sind, gleichzeitig gegen die Flugzeuge und Soldaten Russlands und Amerikas zu kämpfen. Aber das heißt nicht, dass der Kampf verloren ist. Nein, meine Brüder, das heißt, dass der Kampf ein anderer wird.«

      Ibrahim schweigt einen Moment, er spürt, dass er seine Zuhörer im Griff hat.

      »Hört genau zu, Brüder, wir müssen die Ungläubigen da angreifen, wo sie nicht mit unserem Angriff rechnen. Nicht da, wo ihre Panzer stehen, sondern da, wo sie leben, wo ihre Frauen sind, wo ihre Kinder spielen, wo sie feiern, nämlich hier in ihren Ländern. Deswegen hat Gott uns in ihre Länder geführt. Die Märtyrer in Paris haben uns den Weg gezeigt, die Helden, die den Hurentempel Bataclan gereinigt haben. Die Brüder in Sri Lanka, tapfere Soldaten des Kalifats, haben uns den richtigen Weg gewiesen. Es gibt ein Video, das zeigt, wie ein Bruder mit dem Rucksack, in dem die Bombe steckt, die verfluchte Kirche der Ungläubigen betritt. Achtet auf seine Haltung, er geht schnell, er ist stolz, er ist mit sich und seinem Gott im Reinen. Er ist bereit, sich zu opfern. Dies ist ein heiliger Krieg, und wir haben unsere Lektion gelernt. Wir suchen weiche Ziele. Zivile Opfer verbreiten größeren Schrecken, schaffen noch mehr Ängste. Und wir werden diesen Kampf mit Gottes Hilfe siegreich beenden.«

      Vor der Tür zu Suite 116 wischt sich Dr. Steinhoff noch einmal über die Stirn. Dann streckt er sich, klopft fest gegen die Tür. Eine knappe Minute später öffnet der junge Mitarbeiter der CCB, der immer einen leicht ironischen Gesichtsausdruck zur Schau trägt, die Tür.

      »Dr. Steinhoff, wie schön, dass Sie es einrichten konnten.«

      Wieder wundert sich Carl Steinhoff über den amerikanischen Akzent des jungen Mitarbeiters, der schließlich auf den guten deutschen Namen Rainer Nester hört. Werde ihn bei Gelegenheit fragen, denkt Steinhoff und erschrickt, als plötzlich ein hochgewachsener Mann auf ihn zukommt, Mitte vierzig, der einen teuren, gewiss maßgeschneiderten Nadelstreifenanzug trägt.

      »Dr. Steinhoff, ich darf mich vorstellen, Dr. Thomas Dietze, ich komme aus der Europa-Zentrale der CCB in London, ich will Sie unbedingt kennenlernen.«

      Zwei kalte graue Augen mustern Steinhoff, der sich sofort unbehaglich fühlt. Weit hinten im Raum fällt ihm ein Beistelltisch auf, auf dem eine Flasche Scotch, Wasser und etwas Eis steht. Er muss sich beherrschen, dem Verlangen nach einem Drink widerstehen.

      Dr. Dietze bittet Steinhoff, Platz zu nehmen. Dann gibt er seinem Mitarbeiter ein Zeichen, der ins Nebenzimmer eilt und mit einigen Papierrollen zurückkommt.

      »Ich möchte Ihnen, lieber Herr Dr. Steinhoff, zeigen, dass wir in den letzten Wochen alles andere als untätig waren. Unserer Gesellschaft liegt sehr daran, unser gemeinsames Projekt voranzubringen, vor allem endlich mehr Geschwindigkeit zu entwickeln. Wir sehen dieses Projekt als Leuchtturm für unser Engagement in Frankfurt. Damit wollen wir uns auf dem Frankfurter Markt festsetzen.«

      Auf dem Tisch werden Baupläne entrollt. Alle tragen oben rechts den Stempel CCB Invest.

      Steinhoff blickt auf eine der Zeichnungen, erkennt unschwer die Außenfassade und die aufgeschnittenen Geschosse des Gebäudes seines Vaters. Dr. Dietze lenkt mit leuchtenden Augen die Aufmerksamkeit auf eine Zeichnung des Dachgeschosses. »Hier, das wird das Flaggschiff, ein Duplex mit Dachterrasse und Rooftop-Pool, knapp 300 Quadratmeter. An der Messe und im Westend werden für etwas Vergleichbares vier Millionen aufgerufen, hier in dieser Lage sind bis zu fünf Millionen drin. Der Markt ist günstig, es wimmelt von chinesischen und russischen Investoren, die ihr Geld im sicheren Westen parken wollen. Besser als jetzt kann es nicht mehr werden. Wir müssen nur bald loslegen, ein Projekt dieser Größenordnung braucht Zeit. Es wird ein politisches Gezeter geben, wir werden erleben, dass Gutmenschen und Puffbesitzer gemeinsam für die gewachsenen Strukturen des Viertels demonstrieren werden. Wir brauchen Zeit und Geld für die politische Landschaftspflege. Und damit bin ich beim Thema. Wir können die genaue Finanzierung erst festmachen, wenn wir eine glasklare Absichtserklärung des Eigentümers der Immobilie haben. Wie weit sind Sie damit?«

      Die beiden schlanken Herren in den eleganten Businessanzügen blicken jetzt beide ihr Gegenüber an.

      Steinhoff fährt sich mit einer fahrigen Handbewegung über sein fast weißes Haar. Sein fülliges Gesicht schimmert wieder feucht, er fühlt sich unwohl und beginnt noch stärker zu schwitzen. Er weiß, dass er dadurch einen unsicheren Eindruck macht, und so richtet er sich auf, zeigt seine stattlichen 185 Zentimeter. Er zerrt seinen Janker gerade und versucht sich an einem entschlossenen Gesichtsausdruck. »Verdammt, es ist nicht einfach mit dem alten Herrn. Sie kennen ihn nicht. Ich versuche es zweigleisig. Auf die gutmütige Tour, ich bin der liebe Sohn, der sich um ihn Sorgen macht, und gleichzeitig bereite ich die harte Variante vor und treibe seine Entmündigung voran. Ich habe bereits Kontakt zu seinem Hausarzt.«

      Jetzt ergreift der jüngere Mann, der mit dem amerikanischen Akzent und dem deutschen Namen, das Wort. »Bitte, Dr. Steinhoff, überraschen Sie uns doch mal. Wie rasch kommen Sie voran?«

      »Geben Sie mir Zeit, ich kann nicht sagen, wie lange ich brauche, aber wir reden von Monaten, nicht von Jahren.«

      Jetzt


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