Lass Gott aus dem Spiel. Harald Lüders

Lass Gott aus dem Spiel - Harald Lüders


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Erdogan feiert, dann gratuliert mir höchstens ein deutscher Kunde. Warum, sag mir, warum? Den Deutschen ist es immer lieber, wenn sie schimpfen und kritisieren können. War schon immer so. Damals bei der WM in Deutschland, werde ich nie vergessen, habe ich Fische zum Italiener um die Ecke geliefert. Der Mann lebt seit Jahrzehnten in Deutschland, seine Kinder gehen hier zu Schule. Luigi war völlig fertig. Am Abend vorher hat Italien gegen irgendwelche Afrikaner gespielt, und alle seine deutschen Kunden haben für die Schwarzen gejubelt. Aber danach wollten sie von ihm einen Grappa aufs Haus. Hat er gesagt: Holt euch euren verfickten Grappa in Afrika. Ist doch verrückt. Die trinken jeden Abend bei ihm und halten dann mit seinem Gegner.«

      Der Fischhändler klopft Mitch aufmunternd auf die Schulter. »Kannst ja nichts dafür, aber ihr seid echt komisch. Bei mir kommt das Amt und kontrolliert Küche und Kühlhaus. Wenn irgendwas nicht stimmt, gibt es Riesenärger. Aber draußen auf der Straße sitzen die Junkies, und die Polizei läuft vorbei und schaut weg. Wenn ich mich beschwere, den Bullen sage, dass ich keinen Bock habe, morgens die Spritzen aufzukehren, dann laufen sie einfach weiter.«

      Mitch nimmt dankend ein Bier an. Mehmet, der Fischhändler, hat sich in Rage geredet und ledert jetzt gegen die deutsche Asylpolitik. »Ich kenne die Araber viel besser als ihr. Ihr lasst euch von denen verarschen. Gut, dass die Syrer kommen, denen muss man helfen in dem fürchterlichen Krieg. Sind ja auch viele in der Türkei. Aber warum gebt ihr Dealern aus Marokko und Algerien Asyl, die da vorne die Leute am Bahnhof abzocken? Die lachen über eure Polizisten. Die werden am Montag von den Bullen festgenommen und holen sich am Dienstag Stütze ab. Ihr seid zu blöd. Die Jungs lachen euch aus. Und dann werden eure Leute sauer und wählen die Nazis. Und was machen die Nazis? Die killen uns. Haben die beiden vom NSU irgendeinen Dealer erschossen, frag ich dich? Nein, an die trauen sie sich nicht ran, die Feiglinge. Die haben Geschäftsleute erschossen, Blumenhändler, Gemüsehändler, Leute mit einem kleinen Internetladen, die alle ihre Steuer zahlen.«

      Mitch schaut hilfesuchend Enis an, der zuckt mit den Schultern. »Das hörst du viel. Keiner kapiert, warum für alle Regeln gelten, aber für einige nicht. Lass stecken, Mitch, ich weiß, was du sagen willst, du kommst jetzt wieder mit dem deutschen Großvater um die Ecke und dass man wegen dem besonders liberal sein muss. Der deutsche Großvater aber interessiert meinen Freund hier nicht die Bohne. Aber keine Sorge, der Mehmet wählt trotzdem keine AfD.«

      Enis lacht schallend, bedankt sich bei dem Fischhändler. Der grinst und lädt Mitch ein, morgen wieder zu kommen. »Kriegst du guten Fisch und wir reden weiter.«

      Mitch und Enis verlassen den Laden.

      »Du musst ihn verstehen«, meint Enis. »Bei dir im Viertel wohnen keine Flüchtlinge, aber hier hast du ganz schnell ein paar sehr schräge Typen aus Marokko oder Nigeria in der Wohnung gegenüber. Okay, das wird sich alles ändern. Wenn hier alles auf schick gestellt wird, dann wohnt Mehmet nicht mehr hier und die, über die er sich so aufregt, sind schon vor ihm weg. Hier, das ist die Zukunft.« Er zeigt auf ein aufwendig renoviertes altes Gebäude, in dem eines der besten Restaurants der Stadt eröffnet hat. »Wenn du 400 Euro über hast, kannst du mich zum Abendessen einladen.«

      Mitch lugt interessiert durch die Scheiben und dann auf die Speisekarte. Er staunt über bretonische Makrele an Holunderblüte, fragt sich, was wohl eine Knusperolive ist, und bleibt dann an der Weinkarte hängen, die immerhin einen Chateau Margaux Jahrgang 1988 für schlappe 780 Euro zu bieten hat. Mitch seufzt sehnsuchtsvoll und drängt Enis zum Weitergehen.

      Sie überqueren die Kaiserstraße, laufen einen Block weiter, hinein in die Ecke, in der das Bahnhofsviertel noch so roh und hart ist wie eh und je. Plötzlich stehen sie vor einer Blaulichtwand. Mehrere Einsatzwagen der Polizei und zwei schwere Limousinen des SEK blockieren die Straße. Mitch und Enis mischen sich unter die Schaulustigen. Das Haus sei eine bekannte Drogenadresse, munkeln einige der Zuschauer. Dann muss irgendetwas Unvorhersehbares geschehen sein.

      Plötzlich rast ein ziviler 7er BMW mit Blaulicht die Straße hinunter, stoppt mit quietschenden Reifen, die Absperrung wird hochgerissen, der Wagen passiert.

      Mitch und Enis beobachten eine sehr sportlich und tough auftretende Lady etwa Mitte 40, kurze schwarze Haare, enge schwarze Lederjacke über einer auffällig weiten roten Hose mit schwarzem Seitenstreifen, die aus dem Wagen stürmt und in dem Haus verschwindet. »Was zum Teufel macht die hier?«, zischt Enis.

      Mitch blickt ihn an. »Sag bloß, du kennst die Dame? Ist ja ein echter Hingucker.«

      »Pass bloß auf, dass die dich nicht genauer anguckt, dann hast du ein Problem. Das, mein Lieber, ist der neue Star der Frankfurter Mordkommission, sie hört auf den schönen türkischen Namen Canan Aydin, ist eine waschechte Frankfurterin, im Gallus aufgewachsen, gegen den Willen ihres Vaters zur Polizei gegangen und hat dort tatsächlich Karriere gemacht. Ich habe mal ein Portrait über sie gemacht, in einer Geschichte über Frankfurts erfolgreiche Migrantinnen. Sie sieht toll aus und ist kalt wie Hundeschnauze. Die ganzen kleinen türkischen Machos haben sich die Mäuler zerrissen über sie, haben sie als Lesbe beschimpft, weil sie keinen Bock auf Heiraten hat. Allerdings glaube ich nicht, dass es sehr viele türkische Männer gibt, die eine Frau heiraten wollen, die mit ner Knarre rumläuft und Mördern Handschellen anlegt.«

      Mitch lächelt Enis an. »Man muss ja nicht gleich heiraten, aber wenn du sie schon kennst, dann stell mich doch mal der Dame vor.«

      Enis kichert vor sich hin. »Kann ich versuchen. Aber mach dir mal keine Hoffnungen.«

      Da es vermutlich eine Weile dauern wird, bis die Kommissarin das Haus wieder verlässt, beschließen die beiden, ein Bier zu trinken und sich den Livekrimi aus der ersten Reihe anzuschauen. Eine gute halbe Stunde später verlässt die Kommissarin das Gebäude, spricht kurz vor der Absperrung mit dem Einsatzleiter des SEK. Als sie zu ihrem Wagen geht, ruft ihr Enis zu: »Frau Aydin, auf einen Moment.«

      Sie wendet sich in Richtung des Rufers, erkennt Enis, kommt auf ihn zu. Sie begrüßt Enis, blickt dann zu dem neben ihm stehenden Mitch. »Ach ja, sorry, das ist Mitch Berger, ein Kollege, wir sitzen gerade an einer Story über unser schönes Viertel hier.«

      Mitch reicht der Polizistin mit einem Sonntagslächeln die Hand, wobei er den Blick kaum von ihren intensiven dunklen Augen und ihren zart geschwungenen Lippen nehmen kann. In ihrem kurzen schwarzen Haar entdeckt er einige graue Einsprengsel, die sie aber nur noch interessanter machen. »Mitch Berger, den Namen kenne ich. Sie haben zweimal ziemlichen Wirbel gemacht. Einige Kollegen halten Sie für einen Blender, andere für einen ziemlich guten Journalisten. Und, Herr Berger, was sind Sie?«

      »Finden Sie es raus, Frau Kommissarin!«

      Einen Moment lang schauen sich die beiden an. Mitch würde am liebsten die Zeit anhalten. Dann wendet sich Canan Aydin an Enis. »War eine ganz normale Drogenrazzia hier, bis in einer Wohnung ein Herr mit einem Einschussloch in der Schläfe gefunden wurde. Wahrscheinlich eine Auseinandersetzung unter Dealern, aber klarer Mord, deswegen bin ich hier.«

      Enis nickt. »Die Adresse hat ja im Viertel einen einschlägigen Ruf.«

      »Klar, ich weiß, ein bekanntes Drogenhaus. Dass hier auch Leichen mit Einschusslöchern rumliegen, wusste ich nicht. Pikant allerdings, die Wohnung, in der der Tote lag, gehört Benno Stiller. Aber das habt ihr nicht von mir.«

      Wieder blickt sie zu Mitch. »Hat mich gefreut, Herr Berger. Wenn Sie über das Viertel hier schreiben, dann sieht man sich bestimmt wieder.«

      »Darf ich Sie mal anrufen? Die Meinung einer Polizistin über das Viertel interessiert mich brennend.«

      Ein spöttisches Lächeln spielt um ihren schönen Mund. »Wenden Sie sich an den Kollegen Reinhardt, der ist für Presseanfragen zuständig. Tschüss, ihr beiden.«

      Mitch schaut Canan nach, bis der BWW links abbiegt.

      »Eine beeindruckende Frau. Wow.«

      »Mitch, bist du bescheuert, du kannst doch nicht ernsthaft mit einer Frau von der Mordkommission flirten.«

      »Enis, du bist ein so fitter Hund, du hast im Gegensatz zu mir fast immer nur lokale Frankfurtthemen gemacht. Ich bin mir sicher, dass du die Handynummer der Dame hast. Bitte gib


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