Lass Gott aus dem Spiel. Harald Lüders

Lass Gott aus dem Spiel - Harald Lüders


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Ich rede von Wochen, von wenigen Wochen. Ihnen ist schon klar, dass wir nicht unerhebliche finanzielle Vorleistungen auf uns genommen haben, nicht zuletzt in Form von knapp einer Million Euro, die auf Ihr Konto geflossen sind. Wir sind geduldige Menschen, aber wir sind auch nicht das Rote Kreuz.«

      Die Spannung im Raum ist jetzt zu greifen.

      »Bitte, halten Sie den Ball flach, angesichts der Größe des Objekts ist die Million ja nun wirklich Kleingeld und ein zu vertretender Vorschuss.« Dr. Steinhoff steht auf und gießt sich einen ordentlichen Scotch ein. Er schaut fragend in die Runde, die beiden Nadelstreifen schütteln abwehrend den Kopf.

      »Kleingeld ist relativ, wir müssen unsere Ausgaben rechtfertigen, und zwar vor recht unangenehmen Kollegen. Die möchten Sie nicht kennenlernen. Sie, Dr. Steinhoff, haben uns gegenüber eine rechtsverbindliche Vorvereinbarung unterzeichnet, in der Sie so tun, als könnten Sie über das Grundstück frei verfügen. Erst scheibchenweise kam dann die ganze lächerliche Story mit Ihrem senilen Vater hoch. Es ist ganz einfach: Entweder unterzeichnet Ihr Vater innerhalb von einem Monat den Kaufvertrag oder die CCB wird Sie, Herr Dr. Steinhoff, für alle bisher angefallenen Kosten und alle Vorauszahlungen in Regress nehmen. Haben wir uns verstanden?«

      Steinhoff hält das Glas gegen das Licht, erfreut sich an dem bernsteinfarbenen Leuchten des Whiskys. »Ist klar, ich regle das. Und verklagen Sie mich ruhig, dann werden Sie weder die Immobilie noch Ihr Geld sehen.«

      Dr. Dietzes Augen sind jetzt eiskalt. »Irren Sie sich da nicht, Herr Steinhoff? Nach meinen Informationen ist die von Ihnen bewohnte Villa in Kronberg auf Ihren Namen eingetragen. Da war Papi wohl mal großzügig. Die können Sie gerne an uns abtreten. Verdammt, zeigen Sie endlich dem Alten, dass Sie ein Mann sind. Und noch etwas: In dem Gebäude befindet sich eine Moschee, von der noch nie die Rede war. Hallo, die muss weg, und zwar subito, sodass niemand einen Zusammenhang zwischen unserem Erwerb des Gebäudes und der Schließung der Moschee konstruieren kann. Da brauchen wir einen klaren zeitlichen Puffer. Ich habe keine Lust, mir eine Religionsdebatte einzufangen, und ich will auch keine Kopftücher und Gutmenschen vor unseren Büros demonstrieren sehen. Ist das klar? Sehen Sie zu, dass der Mietvertrag zeitnah gekündigt wird, Gründe dafür sollten zu finden sein. Ich will keinen Krieg, aber wenn es sein muss, können Sie ihn haben.«

      Der Mann im Janker betrachtet noch einmal sein Glas, nimmt einen Schluck, nickt, verlässt abrupt den Raum, ohne sich zu verabschieden.

      Als die Tür ins Schloss fällt, nickt der jüngere der beiden Nadelstreifen: »Wenigstens hat er diesmal nur zwei Drinks genommen, das letzte Mal waren es mindestens vier.«

      Dr. Dietze wiegt zweifelnd den Kopf. »Gut, wir haben ihm jetzt etwas Dampf gemacht, aber ich bin mir nicht sicher, ob es reicht. Er hat die Hosen gestrichen voll, ich weiß aber nicht, ob er mehr Angst vor uns oder vor dem Alten hat. Muss ein echt harter Brocken sein, der Steinhoff senior. Vielleicht müssen wir selber einen Plan B vorbereiten. Der Mann ist schließlich schon ziemlich alt.«

      Ibrahims rechte Hand mit dem ausgestreckten Zeigefinger schießt nach oben, er zeigt den Gruß des IS.

      »Der Bruder Abu Bakr Naji hat uns folgenden Satz gelehrt: Militärische Macht nach außen hat keinen Wert ohne den inneren Zusammenhalt der Gesellschaft. Was meint er damit? Wir leben inmitten der Gesellschaft des Feindes. Wir müssen den inneren Zusammenhalt der westlichen Gesellschaften zerbrechen, wir müssen den Feind zu Reaktionen provozieren, die vom liberalen Teil der westlichen Gesellschaften abgelehnt werden. Bruder Abu Bakr Naji, er war ein hochgeachtetes Mitglied der Führung von Al Qaida, sagt weiter: Werden Muslime angegriffen, werden sie bei anderen Muslimen Schutz suchen. Für die Gesellschaften hier, in denen wir zurzeit zu leben gezwungen sind, heißt das, wir müssen mit allen Mitteln die Gesellschaft spalten, wir müssen polarisieren. Es gibt keine Gemeinsamkeit, keine Freundschaft mit den Kreuzfahrern. Es heißt immer SIE gegen UNS, WIR gegen SIE. Wenn wir die Kreuzfahrer dazu bringen, uns Muslime anzugreifen, dann werden sich die Gläubigen unter der Fahne des Kalifats versammeln.«

      Ibrahim holt Luft, nimmt einen Schluck Wasser. Er genießt die faszinierten Blicke, das Glitzern in vielen Augen. Er ist zufrieden, kommt jetzt schnell zum Ende.

      Einer seiner Zuhörer, ein junger Türke namens Ahmed, will ein Selfie mit Ibrahim, der aber schüttelt ablehnend den Kopf. »Bitte, Bruder, keine Fotos hier, das ist zu gefährlich.«

      Ahmed nickt entschuldigend, steckt sein Handy ein, verabschiedet sich von Ibrahim. Dann verlässt er die Halle, draußen vor der Tür checkt er sofort sein Handy, nickt zufrieden, er hat Ibrahims Rede komplett mitgeschnitten. Auch das ist streng verboten, aber Ahmed will sich die Predigt unbedingt noch mal in Ruhe anhören.

      Drinnen leert sich langsam die Halle. Alle verabschieden sich respektvoll, versichern Ibrahim ihrer Treue und Gefolgschaft. Am Ende bleiben zwei junge Männer mit ihm zurück.

      Der Jüngere, dem man seine Erregung deutlich ansieht, fasst sich ein Herz. »Du hast klar und weise gesprochen, Ibrahim, aber wenn ich dich richtig verstanden habe, kommt es nicht nur auf das Reden und das Beten an. Wann wirst du uns lehren zu handeln?«

      Ibrahim lächelt. »Das will ich dir sagen, mein Bruder, an dem Tag, an dem nicht einer, nicht zwei, sondern zehn nach der Predigt bleiben und deine Frage stellen. An dem Tag hören wir auf zu reden.«

      Der Junge nickt begeistert. »Zähl auf mich, mein Leben gehört dir.«

      Nicht eine Minute später ist Ibrahim allein in der Halle. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn, setzt sich in eine Ecke des Raums, lehnt den Oberkörper gegen die Wand. Er schließt die Augen, hört in sich hinein.

      Er kehrt zurück in seine afghanische Heimat, er sieht die staubigen Straßen von Kundus, hört lautes Schreien, spürt die Panik, die damals wie Feuer in den schmalen Körper eines sechsjährigen Kindes gefahren war. Er sieht den Vater zusammenbrechen, sieht wilde bärtige Männer mit ihren Maschinenpistolen fuchteln, sieht plötzlich Blut auf dem Gewand der Mutter, sieht sie ins Dunkle fallen, ahnt ihren letzten Blick voller Liebe und Verzweiflung.

      Dann ist Stille um ihn, die Bilder sind zerhackt, ihr bescheidenes Haus brennt, er sieht den Esel im brennenden Stall, das Maul weit aufgerissen, die Zähne gebleckt, er weiß genau, der Esel schreit um sein Leben, aber er hört keinen Ton. Immer wieder erschrickt ihn das Bild des lautlos schreienden Esels. In dieser Nacht damals endete seine Kindheit, und alles, was von ihr blieb, ist ein stumm schreiender Esel.

      Ibrahim wuchs bei einem Onkel auf, der den Jungen vor eine unlösbare Aufgabe stellte. Er erzog Ibrahim im Sinne eines strengen Islam, aber er schärfte ihm auch ein, nie zu vergessen, dass es ein Taliban-Kommando war, das seine Familie ausgelöscht hatte.

      Als der Onkel spürte, dass seine Zeit gekommen war, schickte er Ibrahim nach Kabul, wo er ihm einen Platz in der amerikanischen Schule besorgt hatte. Seinen Lehrern fielen schnell seine außergewöhnliche Auffassungsgabe und sein Talent zur Anpassung auf.

      Ibrahim schüttelt sich jetzt, versucht sich von den Erinnerungen zu befreien. Er braucht eine gute Minute, bis er wieder klar denken kann.

      Manchmal verliert er sich in seinen Gedanken, immer häufiger hat er das Gefühl, nicht wirklich zu wissen, wer er eigentlich ist. Wenn er mit sich allein ist, verspürt er Trauer und eine tiefe Verlorenheit. Und dagegen hat bisher kein Gebet geholfen.

      Er wühlt in den Tiefen seines Kaftans nach seinem Handy und tippt eine längere Nummer ein. Er schreibt: »Ich bin es, Ibrahim. Verdammt, sie sind blutleer wie eine Horde Schafe, wir müssen ihnen Feuer machen. Christchurch ist schon zu lange her, zu weit weg. Wir müssen nachdenken, sonst hänge ich ewig in dieser Stadt fest.«

      Mitch und Enis ziehen weiter durch die Straßen des Viertels. Enis hat die Gabe, Menschen zu öffnen, er verwickelt sie spielend leicht in Gespräche. Mitch beginnt zu verstehen, wie mühsam das Leben der kleinen Händler ist. Viele haben Angst um ihre Geschäfte, alle bekommen die Veränderungen im Viertel mit, alle fürchten, die ersten Opfer der befürchteten Verdrängung zu werden. Vor einem Fischladen klatscht Enis einen Bekannten ab. Der Fischhändler redet sich in Rage, fixiert Mitch und legt los.

      »Immer wenn der Erdogan eine Wahl gewinnt, fragt mich jeder zweite


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