Lass Gott aus dem Spiel. Harald Lüders

Lass Gott aus dem Spiel - Harald Lüders


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öffnet die Tür, und fast im gleichen Moment erscheint eine grauhaarige, sehr schlanke und äußerst gepflegt wirkende Dame Ende vierzig. »Guten Morgen, Dr. Steinhoff, Ihre Post liegt bereit, alles ruhig so weit, nur die Herren der CCB-Fondsgesellschaft erwarten Ihren Rückruf.«

      »Danke, Marianne, ich werde gleich zurückrufen. Könnte ich einen Cappuccino kriegen?«

      »Sofort, Chef.«

      Dr. Steinhoff betritt einen modern und nüchtern möblierten Raum, der durch seine Größe und den voluminösen Glasschreibtisch an der Stirnseite besticht. Nachdem er den Raum betreten hat, ist sein Hinken kaum noch zu bemerken. An der Wand hinter dem Schreibtisch hängt ein teuer gerahmtes großformatiges Schwarzweißfoto des Gebäudes, aufgenommen Ende der zwanziger Jahre. Ein imposantes Haus in all seiner Pracht, mit einigen wunderschönen alten Cabriolets im Vordergrund. Daneben, ebenfalls gerahmt und unter Glas, Baupläne und Bilder einer monoton wirkenden modernen Ferienhaussiedlung auf der Kanareninsel Fuerteventura.

      Carl Steinhoff war am Bau der Siedlung beteiligt gewesen und hatte endlich einmal ein gutes Geschäft gemacht, eher die Ausnahme bei ihm. Dem Schreibtisch gegenüber sind eine Sitzgruppe in schwarzem Leder und ein Couchtisch aus Metall und Glas platziert. An der Wand rechts vom Schreibtisch glänzt ein gläserner Barschrank mit schweren Metallfurnieren.

      Kaum hat er Platz genommen, steht ein frischer Cappuccino vor ihm. Die Sekretärin schiebt ihm zuvorkommend den Zucker zu, dann verändert sich ihr Gesichtsausdruck. Dr. Steinhoff weiß genau, was jetzt kommt, er hört es jeden Tag.

      »Chef, müssen wir eigentlich noch lange in diesem schrecklichen Haus bleiben? Ich hasse es hier, wir sind eine kleine zivilisierte Insel in einem Meer der Verwüstung. Ich weiß nicht, wie man in so einer Ruine erfolgreich Geschäfte machen will.«

      Steinhoff lächelt gequält. »Sie haben es immer noch nicht kapiert. Der einzige verbliebene Geschäftszweck unserer Firma ist der Verkauf dieses Gebäudes. Und jeder mögliche Käufer wird hier außer der Fassade keinen Stein auf dem anderen lassen. Je schlimmer es hier im Treppenhaus und im Innenhof aussieht, desto leichter bekommen die Käufer eine Genehmigung zum kompletten Umbau, und das ist das Einzige, was Investoren interessiert. Oder glauben Sie etwa, ich will an Denkmalschützer verkaufen? Wann kapieren Sie das endlich?«

      Beleidigt verlässt die Sekretärin den Raum. Carl Steinhoff ist froh, dass er allein ist.

      Er sucht nervös in seiner Hosentasche, kramt einen Jeton des Wiesbadener Spielkasinos hervor, spielt mit dem Plastikchip, dreht ihn, flippt ihn hoch, fängt ihn wieder. Ihn erwartet ein unangenehmes Telefonat.

      Als er sich vor einem guten Jahr entschloss, auf die Avancen der CCB einzugehen, hatte er Informationen über die Fondsgesellschaft eingeholt. Alles seriös, lautete die Auskunft, ein konservativ geführter, sehr großer Fonds, weltweit aufgestellt. Jetzt aber haben die Frankfurter Vertreter der CCB begonnen, ihr wahres Gesicht zu zeigen und die Phase der Höflichkeiten hinter sich zu lassen. Sie treten zunehmend fordernder auf, immer häufiger erinnern sie an gewisse, leider nicht unerhebliche Zahlungen, die er entgegengenommen hat. Geld war schon immer seine Achillesferse, seine Ausgaben übersteigen bei Weitem seine Einnahmen. Steinhoffs Leidenschaft für Spielcasinos ist daran nicht ganz unschuldig.

      Er hat keinerlei Lust, jetzt mit den Herren zu sprechen, aber wenn er nicht zurückruft, werden sie ihn den ganzen Tag lang verfolgen. Steinhoff seufzt, wischt sich mit einem Taschentuch über die Stirn. Dann greift er zum Hörer. »Marianne, bitte verbinden Sie mich mit der CCB.«

      Es dauert keine zwei Minuten, dann hört er eine fast jungenhaft klingende Stimme mit leicht amerikanischem Akzent, die ihn übertrieben freundlich begrüßt. »Hallo, Doktor Steinhoff, schon so früh am Schreibtisch? Wir hatten eigentlich gestern mit Ihrem Anruf gerechnet. Sie sind halt ein gefragter Mann. Wir müssen uns sehen. Ja, heute noch, am besten so gegen 16 Uhr, nein, nicht im Office, wie üblich im Hotel. Sie finden uns in Suite 116. Und, lassen Sie uns nicht warten!«

      Mit einem angeekelten Gesichtsausdruck legt Steinhoff auf, wischt sich erneut mit dem Taschentuch über den Kopf, steht auf, jetzt hinkt er wieder, geht zu dem Glasschrank, öffnet die rechte Tür und bewundert seine gut bestückte Hausbar. Ein beruhigender Anblick.

      Er gießt sich einen kleinen Armagnac ein, lässt den Schwenker kurz kreisen, kehrt dann zu seinem Schreibtisch zurück.

      »Marianne, geben Sie mir bitte Benno Stiller.«

      Etwa um dieselbe Zeit wacht Mitch auf und hat das untrügliche Gefühl, dass der letzte Cocktail einer zu viel war. Eine Ibuprofen 600 und ein doppelter Espresso helfen in der Regel schnell. Er kennt diese morgendliche Stimmung nur zu gut. Halb hängt er noch den Traumfetzen der Nacht nach, halb wartet schon die Traurigkeit des kommenden Tages. Traurigkeit trifft es nicht, es ist eher Sehnsucht, nur hat Mitch bei allem Grübeln noch nicht herausgefunden, wonach er sich sehnt. Er nennt es den Blues, ein Gefühl, das sein Leben dominiert. Er ist mittlerweile Ende vierzig, hat schon mehr als die Hälfte seiner Zeit auf dieser Erde gelebt, und doch fühlt sich manchmal alles an wie ein müdes Vorspiel – und so, als würde das Eigentliche noch irgendwo auf ihn warten.

      Mitch kneift die Augen zusammen und peilt seinen Wecker an. Kurz nach 10 Uhr, er muss los, er ist um elf mit seinem neuen Kollegen verabredet.

      Nach einer ausgiebigen kalten Dusche startet er in den Tag. Wieder ist das Bahnhofsviertel sein Ziel, er ist mit Enis in einem Café auf der Münchener Straße verabredet. Mitch nimmt die U-Bahn, da unten in Bahnhofsnähe gibt es fast nie einen Parkplatz. Eine Story zu schreiben, die in der eigenen Stadt spielt, ist neu für ihn, macht Mitch ein wenig nervös.

      Im Frankfurter Bahnhofsviertel waren schon immer die Probleme des Landes wie unter einem Brennglas sehr früh erkennbar. Obwohl es als Rotlichtviertel viel kleiner und weniger glamourös ist als St. Pauli. Aber was zum Teufel ist eigentlich glamourös an einem Rotlichtviertel?

      Im Frankfurter Bahnhofsviertel wurde nicht nur seit ewigen Zeiten heftig gegen Cash gevögelt und mit Drogen aller Art gedealt, hier wurde auch schon früh mit deutscher Asylpolitik Geld gemacht. In den siebziger Jahren sorgte ein neuer Club namens Sauna 2000 für Furore. Der Laden gehörte einem Newcomer im Viertel. Der hatte ein einfaches, aber geniales Konzept entwickelt. Von der Straße aus betraten zahlungskräftige Messegäste eine Bar, in der sie durch eine Glaswand an der Rückseite des Raums in eine Badelandschaft blicken konnten, in der einige gut aussehende Damen einladend plantschten. Nach ein paar Drinks wollten einige der Gäste nicht mehr nur zuschauen. Der Weg zu den Damen führte durch den Hinterhof. Die Bar war ein reiner Durchlauferhitzer, das Konzept lockte vor allem gut betuchte Herren an, die ein einfaches Laufhaus nie betreten hätten. Als den Bossen im Viertel der Erfolg des neuen Ladens zu groß wurde, hatten auch sie eine originelle Idee. Sie intervenierten beim Hausbesitzer, der sich kurz darauf gegenüber der Stadt bereit erklärte, einige Dutzend afrikanische Asylbewerber in seinem Haus einzuquartieren.

      Ein Schachzug, der auf das Herz des Konzepts der Sauna 2000 zielte: Ein beschwingter Messegast hat sich Mut angetrunken, will die Damen nicht länger nur anschauen, will zugreifen. Aber auf dem Weg zum Saunaeingang im Hinterhof steht vor ihm plötzlich eine größere Gruppe Schwarzer, die auf dem Hof herumsteht. Die meisten Herren aus der Provinz machen auf dem Absatz kehrt und gönnen sich lieber einen Porno im sicheren Hotelbett.

      Mitch hat die Geschichte vom Aufstieg und Fall der Sauna 2000 schmunzelnd verfolgt. Zu dem Zeitpunkt waren fast alle Hotels im Viertel mit Asylbewerbern belegt, manche vom Keller bis zur letzten Dachkammer.

      Mitch schüttelt sich. »Mann, wenn heute einer auf die Idee kommen würde, Asylbewerber in Hotels einzuquartieren, was für eine Vorlage wäre das für die AfD.«

      Einige Kilometer vom Bahnhofsviertel entfernt schlägt in Frankfurt-Höchst die Glocke des Kirchturms der katholischen Gemeinde Sankt Josef 12 Uhr.

      Aus einem vorbeifahrenden tiefergelegten 5er BMW mit abgedunkelten Scheiben donnert brutal laute türkische Rapmusik.

      Ein junger Mann mit schwarzem Vollbart schaut missbilligend dem Wagen nach. Er trägt über seinem weißen Kaftan eine dunkle Kapuzenjacke, eine schwarze Gebetsmütze und rote Sneakers. Der junge


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