Lass Gott aus dem Spiel. Harald Lüders

Lass Gott aus dem Spiel - Harald Lüders


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En miniature, versteht sich.« Der Mann klatscht Benno mit seiner Pranke auf die Schulter und zwängt sich auf den freien Hocker. Bill Costello hat zugenommen, seit Benno ihn das letzte Mal gesehen hat, aber er hat immer noch eine gut trainierte Mittel­gewichtsfigur. Er trägt einen unauffälligen Businessanzug mit offenem weißem Hemd, seine mittellangen schwarzen Haare sind streng zurückgekämmt.

      »Benno, was gibt es so Dringendes, was kann ich für dich tun?«

      Die Bedienung tritt an den Tisch, Benno bestellt einen Gin Tonic, Costello ordert einen Jack Daniels Mint Julep. »Na los, Benno, spuck schon aus, du hast mich doch nicht aus reiner Sehnsucht eingeladen, oder?«

      Benno eiert ein wenig herum, rückt dann mit der Sprache raus. »Ich suche einen hier nicht bekannten Profi für einen delikaten Job. Wichtig ist mir, dass der Mann keine Verbindung zu Frankfurt hat. Verstehst du: am besten anreisen, erledigen, abreisen. Ich habe an dich gedacht, da du ja Kontakte zu ehemaligen Special-Forces-Leuten hast, die sich gerne eine ordentliche Stange Geld verdienen.«

      »Hat der Job auch nur entfernt etwas mit Politik zu tun?«

      »Bill, was soll das? Sehe ich so aus, als würde ich mich für Politik interessieren?« Costello lacht dröhnend. »Nein, Benno, echt nicht.«

      »Na, dann ist ja alles gut. Hier geht es wie immer im Leben ums Geld. Ein wenig Abrechnung, ein wenig Investition in eine lukrative Zukunft. Ich muss Figuren auf meinem Spielfeld austauschen. Kannst du mir dabei helfen?«

      Bill schüttelt bedächtig den Kopf. »Nicht hier und jetzt. Da muss ich ein wenig telefonieren. Das kann zwei, drei Tage dauern, und bei der Art von Job wird auf jeden Fall eine ordentliche Provision fällig.«

      Das Lachen ist aus Costellos Gesicht verschwunden, er mustert Benno halb spöttisch, halb drohend.

      Benno Stiller hält dem Blick stand, wechselt dann das Thema.

      Jetzt reden die beiden über die Geschäfte im Allgemeinen und über das Bahnhofsviertel im Besonderen. Bill Costello erklärt, dass Rotlicht im klassischen Stil keine Zukunft mehr habe. «Das wird sich alles über Computer abspielen. Click a fuck oder so. Wenn ich noch nennenswerte Karten im Viertel hätte, ich würde verkaufen. Zurzeit machst du mit Immobilien mehr Geld als mit Nutten.«

      Benno grinst wissend, winkt der Kellnerin, bestellt dieselben Drinks noch einmal. In Gedanken ist er bei dem Telefonat mit Drago. Er ist froh, dass er nicht auf Costello angewiesen ist, sondern noch ein Eisen im Feuer hat.

      »Hör zu, Benno, ich werde mich bemühen, du kriegst Bescheid, as soon as possible. Einer meiner amerikanischen Kumpel wollte neulich wissen, ob Frankfurt tatsächlich so ein Multikulti-Paradies ist, wie es immer heißt. Hast du mal was läuten gehört, ob es hier Leute gibt, die was gegen die immer mehr werdenden Muslime haben?«

      »Bill, falls du für die CIA rauskriegen sollst, ob hier ein paar Nazis Amok laufen wollen, dann bin ich dafür der Falsche. Aber pass auf, Gefallen für Gefallen, ich hab tatsächlich mitgekriegt, dass es Drohungen gegen die Hinterhofmoschee beim Kölner Hof gab, da wurde mit einem Brandanschlag gedroht. Ich kenne die Besitzer, die waren recht beunruhigt. Sollte die Moschee brennen, wäre die ganze Immobilie in Gefahr.«

      Kurz darauf entschuldigt sich Bill, er habe noch einen Termin, und fügt hinzu, dass er sich bald melden würde.

      Die beiden klatschen sich ab, Benno ist zufrieden, Costello wird rum­erzählen, dass es politisch motivierte Drohungen gegen die Moschee gab. Gut so.

      Noch im Aufzug tippt Bill Costello auf eine gespeicherte Nummer in seinem Handy. »Yeah, Bill hier. Ihr hattet doch gesagt, dass jemand aus der Zentrale unbedingt wissen will, ob in Frankfurt demnächst etwas gegen Muslime laufen könnte. Verstehe zwar nicht, warum die Company jetzt plötzlich Muslime beschützen will, aber egal. Es kann sein, dass ich da was habe. Interessiert euch noch? Alles klar, ich komme morgen so gegen drei vorbei, okay?«

      Zwei Tage später hat sich die Stimmung in Frankfurt verändert. Ein psychisch gestörter Eriträer hat auf dem Frankfurter Hauptbahnhof eine Frau und ihren achtjährigen Sohn vor einen einfahrenden ICE gestoßen. Die Frau kann sich retten, muss aber zusehen, wie ihr Sohn von dem Zug erfasst und getötet wird. Zeugen am Gleis brechen zusammen, Menschen liegen sich weinend in den Armen.

      Sinnlose, willkürliche, unmenschliche Gewalt macht Angst. Und schnell beginnt das Geschäft mit der Angst. In den sozialen Netzwerken wird sofort die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung für den Tod des Jungen verantwortlich gemacht.

      Mitch und Enis sitzen in einem Café in der Münchener Straße und reden sich die Köpfe heiß.

      »Weißt du, was jetzt passiert, Enis? Die Angst geht um. Erst war da dieser durchgeknallte Rentner in Wächtersbach, der einen Afrikaner mal eben in der Mittagspause wegputzt. Der hat es geschafft, dass sich alle Schwarzen auf der Straße ängstlicher bewegen. Und jetzt hat dieser Killer vom Bahnhof erreicht, dass niemand, wenn ein Zug oder eine U-Bahn einfahren, neben einem Schwarzen stehen will.«

      »Ja, schlimm, wie schnell alles kippen kann. Der Typ vom Bahnhof ist übrigens erstens eriträisch-orthodoxer Christ und zweitens psychisch krank. Für jeden zweiten deutschen Stammtisch aber ist er längst ein muslimischer Kämpfer. Die Gesellschaft hat keine gemeinsame Reaktion mehr, die Lager sind bereit, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen. Rechte und Islamisten können feiern.«

      Dann berichtet Enis von Ibrahim, dem Salafistenstar, mit dem er bald in Kontakt kommen will, auch wenn das nicht unmittelbar mit ihrem heutigen Thema zu tun hat.

      Mitch kratzt sich am Kopf. »Weißt du, Enis, ich sehe das so: Das Viertel hier ist die Folie für unseren Artikel, aber wenn wir einen wirklich guten Text hinkriegen wollen, dann gehören so Leute wie dieser Ibrahim, aber auch all die Gespräche, die wir zurzeit haben, mit rein. Für mich ist das Bahnhofsviertel etwas sehr Spezielles, aber trotz aller Besonderheiten ist es auch eine Art Fieberthermometer für das ganze verdammte Land.«

      Mitch erzählt dann Enis noch von seinem Treffen mit Erwin. »Ich habe da ein ganz blödes Gefühl. Einerseits bin ich total gerührt, dass so ein Typ mir seine Tagebücher gibt, ist natürlich toller Stoff für uns. Auf der anderen Seite ist der Mann hochgefährlich. Der ist so voller Wut und Hass, eine üble Mischung. Ich habe gestern ein paar Stunden gelesen, zum Teil weinerlicher Mist, aber auch intensive tieftraurige Passagen. Alles in allem eine unterdrückte Wut, die nur einen kleinen Anlass braucht, um zu explodieren. Dann hat er auch noch Robert de Niro als Taxi Driver an der Wand hängen, der im Film ein Mädel aus dem Puff befreit und dafür ein irres Blutbad veranstaltet. Eigentlich müsste man vor Erwin warnen.«

      »Mitch, rede keinen Scheiß, du bist Journalist, für dich gilt nur eins: schreiben, was ist. Stammt immerhin von Rudolf Augstein. Du schreibst über das, was ist, aber du bist kein Frühwarnsystem für potentielle Attentäter. Außerdem, was willst du machen? Zu den Bullen gehen und sagen, da ist ein verbitterter, wütender alter Mann? Die lachen dich aus, die kennen doch Hunderte von der Sorte.«

      »Nun ja, ich könnte diese tolle Kommissarin anrufen, diese Canan Aydin. Wäre doch ein super Vorwand«, lacht Mitch, wird aber schnell wieder ernst. »Geh der Salafistengeschichte nach, lern diesen Ibrahim kennen! Verdammt, wir beide entscheiden, was zu unserer Story gehört, und sonst niemand.«

      Als Dr. Carl Steinhoff die Tür zur Wohnung seines Vaters öffnet, läuft er gegen eine Wand aus kaltem Rauch, es riecht nach verschüttetem Cognac und nach altem Mann. Er reißt ein Fenster auf, tritt zu dem auf seinem Diwan ruhenden Vater, sieht in das faltenreiche Gesicht und wundert sich, warum ihm dieser Mann immer noch Angst einjagen kann.

      »Hätte längst mal genauer hinschauen müssen, den Mann, dem ich mich immer unterlegen gefühlt habe, gibt es längst nicht mehr«, murmelt Carl Steinhoff vor sich hin.

      »Was willst du?«, knurrt der Alte. »Bist ja nicht gekommen, um dich nach meinem Befinden zu erkundigen, oder?«

      »Vater, wir müssen reden. Dieser Schuppen hier, dein geliebter Kölner Hof, schreibt seit Jahren rote Zahlen, wir können es uns nicht leisten, Monat für Monat Geld zuzuschießen. Das Gebäude gehört verkauft, die Preis sind so hoch wie nie. Von dem


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