Der neue Sonnenwinkel Staffel 2 – Familienroman. Michaela Dornberg
mit ihrem Gospelchor zurückgekommen war, war ganz bekümmert. Sie mochte die Freundin ihrer Chefin so sehr, normalerweise war Nicki lustig, und jetzt war sie nicht mehr als ein Häufchen Elend.
Nicki und Roberta hatten sich in aller Frühe voneinander verabschiedet. Roberta war zu einem Ärztekongress gefahren, und es war ihr nicht gelungen, Nicki dazu zu bewegen, einfach noch zu bleiben, wenigstens, bis sie zurück sein würde.
Roberta konnte nur hoffen, dass Nicki ihre Drohung nicht wahr machen würde, niemals mehr in den Sonnenwinkel zu kommen.
»Nicki, Sie müssen etwas essen«, sagte Alma bekümmert. »Sie haben doch noch eine lange Fahrt vor sich. Und trinken, das müssen Sie auch. Wenn Sie mögen, dann koche ich Ihnen einen Kakao, der hilft immer.«
Nicki warf Alma einen traurigen Blick zu. Sie wusste ja, dass Robertas Haushälterin es nur gut mit ihr meinte. Aber nichts auf der Welt konnte sie von ihrer Seelenqual befreien.
»Ach, Alma, mir hilft überhaupt nichts mehr. Und ich werde niemals mehr in meinem Leben darüber hinwegkommen, dass ich mein Glück mit Füßen getreten habe. Ich habe den einzigen Mann, den ich jemals geliebt habe, freiwillig einer anderen überlassen, die schlau genug war, sofort mit beiden Händen zuzugreifen. Roberto ist ein so toller Mann, so etwas findet man nicht so schnell wieder …, überhaupt nicht mehr.«
Alma nickte.
»Ja, ich finde Roberto Andoni auch ganz toll, er sieht gut aus, ist liebenswürdig und freundlich. Aber wenn zwischen Ihnen alles in Ordnung gewesen wäre, dann hätten Sie ihn nicht verlassen und wären gegangen. Wenn eine Verbindung wirklich funktionieren soll, dann muss alles stimmen. Erinnern Sie sich bitte, Nicki, Sie wollten nicht im ›Seeblick‹ wohnen, Sie haben etwas gegen seinen Beruf, und den Sonnenwinkel finden Sie ganz grauenhaft. Es ist eine ganze Menge, die nicht stimmt. Aber das blenden Sie jetzt aus, wollen es nicht wahrhaben, weil Sie sich in der Rolle der Leidenden gefallen. Bitte entschuldigen Sie, es geht mich wirklich nichts an, aber ich kann Sie gut leiden, und Sie vertrauen mir ja auch eine ganze Menge an. Also, ich denke, Roberto Andoni ist noch nicht der Richtige für Sie. Da kommt noch ein anderer Mann auf Ihren Weg.«
Alma meinte es gut mit ihr, sie wollte sie trösten. Doch das, was die da sagte, das zu glauben, davon war Nicki noch sehr weit entfernt.
»Ich lerne immer die falschen Männer kennen, und ist mal der Richtige darunter, wie Roberto, dann lasse ich ihn gehen«, sagte Nicki düster. »Ich habe das falsche Händchen für die Männerwelt.«
Alma hatte derweil für Nicki eine heiße Schokolade gemacht, mit ganz viel Sahne, und Nicki machte sich darüber her.
»Ach, Alma, Roberta weiß überhaupt nicht, was sie an Ihnen hat. Sie sind ein Schatz, und am liebsten würde ich Sie jetzt mitnehmen. Sie sind so lieb, sie können zuhören, geben gute Ratschläge, und Sie können kochen, sterneverdächtig kochen.«
Alma mochte Nicki wirklich gern, aber deswegen Roberta verlassen? Sie wusste ja, dass Nicki es nicht ernst meinte, sondern nur so dahersagte, aber selbst im Scherz konnte Alma nicht daran denken, ihren Platz hier im Doktorhaus aufzugeben. Die Frau Doktor hatte ihr das Leben gerettet, und sie hatte so viel für sie getan, ihr vor allem ihr Selbstvertrauen, ihre Würde zurückgegeben. Sie war so weit unten angekommen, wie es tiefer wirklich nicht ging. Es schien so weit weg zu sein, doch Alma würde es nie vergessen.
»Nicki, ich weiß nicht, ob Ihnen klar ist, welch wunderbare Freundin Sie haben. Sie wird Ihnen helfen, warum bleiben Sie nicht einfach? Und ich verspreche Ihnen, all das zu kochen, was Sie mögen. Wir kriegen Sie schon wieder hin.«
Es klang verlockend, doch Nicki schüttelte entschieden den Kopf.
»Ich könnte Roberto und dieser Frau kein zweites Mal begegnen. Und der Gedanke ihn mit ihr zu sehen, der ist unerträglich für mich. Nein«, sie stand auf, »ich fahre jetzt los. Ich muss allein damit fertig werden. Und meine Arbeit wird mir helfen. Wer weiß, vielleicht nehme ich ja auch einen Auslandsjob an.«
Alma blickte Nicki bekümmert an.
»Flucht ist kein Ausweg. Und glauben Sie mir, man nimmt sein Gepäck immer mit.«
»Kann ja sein, aber jetzt fahre ich los«, sie umarmte Alma, ließ sich von der rasch noch eine Dose mit Keksen und eine mit Kuchen einpacken, dann ging sie.
Es fiel ihr schwer, jetzt zu gehen, doch im Sonnenwinkel wurde sie immer an Roberta und seine Frau erinnert, und das war mehr als man aushalten konnte.
»Alma, danke für alles«, sagte sie tapfer, umarmte Alma ein letztes Mal, dann griff sie nach ihrem Trolley, der bereits gepackt war und ging.
Sie durfte sich nicht zurückhalten lassen, auch wenn die Gesellschaft von Roberta und Alma so wohltuend war. Sie musste jetzt allein durch alles hindurch. Und deswegen lehnte sie es auch ab, sich von Alma bis hinaus zu ihrem Auto begleiten zu lassen.
Sie hasste Abschiede, und das war jetzt nicht nur ein Abschied von diesem Haus und seinen Bewohnern, nein, sie musste Abschied von der einzigen, der wahren Liebe ihres Lebens nehmen.
Wie hoffnungsfroh sie doch hergekommen war, wie selbstsicher, da wieder anzufangen, wo sie aufgehört hatte. Und nun stand sie vor einem Trümmerhaufen, in dem es nichts als nur Scherben gab.
Roberto hatte eine andere, nicht nur das, er war mit ihr verheiratet, und sie erwarteten ein gemeinsames Kind. Schlimmer ging nimmer …
Mit vor Tränen blinden Augen setzte Nicki sich hinter das Steuer ihres Autos und fuhr los …
*
Normalerweise musste Nicki Richtung Hohenborn fahren, um von dort aus auf die Autobahn zu gelangen.
Ihr vollkommen unbewusst, fuhr sie die Straße entlang, die zum ›Seeblick‹ führte. Es war wie ein Zwang, und sie wollte wenigstens noch einmal sehen, was sie verloren hatte.
Wie hatte sie nur so töricht sein können, Roberto aufzugeben. Er hatte alles für sie getan, war zu jedem Kompromiss bereit gewesen.
Und sie?
Sie war dumm gewesen, dumm und vermessen.
Auf halber Höhe zum ›Seeblick‹ fuhr sie rechts an den Straßenrand. Sie konnte das Haus sehen. Es lag in seiner behäbigen Schönheit im strahlenden Sonnenlicht vor ihr.
Ein wundervolles denkmalgeschütztes Haus in einer grandiosen Lage. Das alles hatte Roberto ihr zu Füßen gelegt, er hatte ein paar Zimmer für sie extra für ihre Bedürfnisse ausbauen lassen wollen, damit sie dort ihrer Arbeit als freie Dolmetscherin und Übersetzerin nachgehen konnte. Er hatte seine Arbeit von ihr fernhalten wollen. Und sie? Sie hatte sich daran gestört, dass er in der halben Nacht aufstehen musste, um zum Großmarkt zu fahren. Das hatte ihr nicht gepasst, weil sie gemütlich mit ihm frühstücken wollte. Und nun? Nun konnte sie jeden Morgen so frühstücken, aber allein. Und das war wirklich keine Alternative. Wie vermessen sie doch gewesen war. Sie hatte sich an Nichtigkeiten aufgehalten.
Was war bloß los gewesen mit ihr?
Sie hatte sich verhalten wie ein pubertierendes Mädchen, und nicht wie eine erwachsene Frau.
Warum hatte sie nur nicht auf Roberta gehört? Die hatte ihr geraten, das Wagnis einer Partnerschaft mit Roberto Andoni einzugehen, weil sie etwas Besseres nicht finden würde, weil sie zusammenpassten.
Mit beiden Händen umkrampfte sie das Lenkrad, während ihr Blick unverwandt an dem Haus hing.
Es war geradezu unerträglich, was ihr alles durch den Kopf ging. Sie war so sehr in sich und ihre Gedanken versunken, dass sie nicht bemerkte, wie ein Auto den Berg hochgefahren kam, hinter ihr anhielt.
Ein Mann stieg aus, Nicki zuckte erst zusammen, als an die Scheibe der Fahrertür geklopft wurde.
Sie blickte zur Seite und erschrak.
Es war Roberto!
Oh nein!
Sie war so durcheinander, dass sie losfahren wollte, doch das ließ er nicht zu.
Geistesgegenwärtig