Palliativ & Zeiterleben. Группа авторов

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zudem von der Wahrnehmung von Körperpozessen und ihrer Repräsentation im insularen Kortex abhängen (Wittmann 2013). Diese grundlegende verkörperte Wahrnehmung von Zeit würde auf der neuronalen Ebene des PFC zu einem Ganzen der überzeitlichen Wahrnehmung integriert werden.

      Die Verbindung des PFC mit dem Zeiterleben wird auch an Störungen des Zeiterlebens bei psychischen Erkrankungen deutlich. Das sogenannte autonoetische Bewusstsein als die Fähigkeit, Erlebnisse der eigenen Lebensgeschichte mental wieder zu durchleben, ist an die Integrationsfähigkeit in der Zeit gebunden, die verschiedene Aspekte von Ereignissen miteinander verknüpfen kann. Patienten mit Schizophrenie zeigten eine verringerte Wiedererkennungsrate und eine Reduktion des autonoetischen Bewusstseins (Danion et al. 1999). Auf der Ebene des Gehirns lassen sich ebenfalls Dysfunktionen des PFC bei Schizophrenie nachweisen. Bei einer auditorischen Zeitschätzungsaufgabe und einer Frequenz-Diskriminierungaufgabe zeigten Patienten mit Schizophrenie eine geringere Aktivierung des PFC und des Nucleus caudatus (Volz et al. 2001; Yang et al. 2004). Unter dem Stichwort einer sogenannten »kognitiven Dysmetrie« ist postuliert worden, dass bei der Schizophrenie eine komplexe Störung der Kommunikation zwischen neokortikalen, zerebellären und thalamischen Signalen vorliegen könnte (Andreasen 1999; Andreasen et al. 1999).

      A 2.3 Lebensgeschichte und Lebensentwurf (Makro-Ebene)

      Über einzelne Wahrnehmungen oder Wahrnehmungs-Handlungskopplungen hinaus existiert aber auch eine narrative Dimension des Zeiterlebens, die langfristig ausgerichtet ist, also umschreibbar ist mit narrativem Selbst, »flow of time related to personal identity« oder »continuity of self« (Varela 1999, S. 273 ff.). Das Erleben der Gegenwart im Sinne eines Jetzt-Erlebens ist bereits das Korrelat einer Anordnung von miteinander verbundenen neuronalen Oszillationen, die eine transiente Synchronie über einen bestimmten Zeitraum aufrechterhalten. Diese oszillatorischen Prozesse zwischen Integration und Relaxation könnten das Korrelat des Jetzt-Erlebens darstellen (Varela 1999, S. 274 ff.). Daraus ergibt sich auch die Konsequenz:

      »Now is not a mere temporal location […] it is a space we dwell in rather than a point that an object passes by or through.« (Varela 1999, S. 278)

      Dagegen sind mittelfristige und längerfristige Erinnerungen an zurückliegende Ereignisse der eigenen Lebensgeschichte oder Vorausplanungen in der Zeit nicht von der Tätigkeit des PFC, der im Bereich bis mehrere Sekunden operiert, in der gleichen Weise abgedeckt. Hier scheint in einer besonderen Weise das sogenannte Voreinstellungsnetzwerk (default mode network, DMN) oder das sogenannte Ruhenetzwerk des Gehirns (resting-state network) eingebunden zu sein.

      Während der Ruhezustände zwischen Aufgaben fokussieren die Teilnehmer auf ihre Gedankenwelt, in dem autobiografisches Gedächtnismaterial abgerufen wird oder Zukunftsplanungen vollzogen werden (Buckner et al. 2008). Bereits sehr früh ist allerdings schon aus der Gruppe von Marc Raichle heraus formuliert worden, dass es sich um eine Simulation von Verhalten oder um die Optimierung von auf die Zukunft gerichteten kognitiven oder behavioralen Programmen handeln könnte (Gusnard et al. 2001, S. 4263). Sobald eine bestimmte kognitive Aktivität einen höheren Aufwand benötigt, zum Beispiel nach Instruktionen von einem Experimentator in einem formalen Experiment, »bewegt« sich die neutrale Aktivität – metaphorisch gesprochen – aus dem Ruhezustand heraus und die Regionen des DMN reduzieren ihre Aktivität (Buckner et al. 2008; Raichle et al. 2001). Im Hinblick auf die Zeit kann plausibel gemacht werden, dass das DMN sowohl beim Nachdenken als auch beim Erörtern der eigenen Zukunft oder der von anderen Personen darauf beruht, dass wir uns mental in eine Situation entlang der Zeitachse hineinversetzen. Diese Fähigkeit, sich auf einer Zeitachse hin- und her bewegen zu können, wird auch als mentales Zeitreisen bezeichnet (mental time travel; Suddendorf und Corballis 1997). So konnte in einer Meta-Analyse von funktionell bildgebenden Daten des Gehirns gezeigt werden, dass Informationen, die auf dem autobiographischen Gedächtnis (Vergangenheit) aufbauten wie auch zur prospektiven Planung benutzt wurden (Zukunft), mit einer Aktivierung auch im Default Mode Network einhergehen (Spreng et al. 2009). Zukunftsbezogene Handlungen oder die Ordnung von sequenziellen Prozessen in der richtigen Reihenfolge fallen Personen mit Frontallappenläsionen ausgesprochen schwer, während dagegen etablierte und routinierte Handlungen gut ausgeführt werden können (Milner et al. 1985; Stuss und Benson 1986). Diese Form der Zukunftsorientierung im eigenen Denken ist auch als »autonoetisches Bewusstsein« bezeichnet worden (Tulving 1985; Wheeler et al. 1997). Als Prospektion oder auch »Erinnerung an die Zukunft« (memory of the future; Ingvar 1985) kann jede Art von Gedankentätigkeit über die Zukunft zusammengefasst werden. Bereits die Fallgeschichte von Phineas Gage, einer Person mit erheblichen Störungen des medialen PFC, in der Mitte des 19. Jahrhunderts, ließ vermuten, dass diese Hirnstrukturen der Zukunftsplanung und Ausführung von sozial angemessenem Verhalten dienen (Damasio 1997).

      Bemerkenswert ist, dass das DMN auch eine zentrale Rolle bei der sozialen Informationsverarbeitung als sogenanntes Mentalisierungs-System (mentalising system) spielt, das sich der Evaluation sozial relevanter Signale zuwendet. Dies ließ sich auch meta-analytisch zeigen (Buckner et al. 2008; Schilbach et al. 2012; Vogeley 2017). Wenn man alle aktuell verfügbaren Studien aus dem Feld der sozial-kognitiven Neurowissenschaft auf der Basis von etwa 4.000 einzelnen Studien zusammenfasst, kann man datengetrieben 36 Kernareale im Gehirn identifizieren, die maßgeblich an der Etablierung sozialer Informationsverarbeitung im Gehirn beteiligt sind. Untersucht man die Relationen von Aktivierungen zwischen diesen 36 Kernarealen mittels hierarchischer Clusteranalyse, so zeigt sich, dass die grundlegendste oder fundamentalste Differenzierung dieses Datenmaterials zwei verschiedene Gruppen von Hirnarealen trennt, eine davon entspricht dem DMN (Alcalá-López et al. 2018).

      A 2.4 Ausblick

      Das DMN ist in anderen Säugetieren beschrieben worden (Vincent et al. 2007) und konnte kürzlich sogar in utero beim Menschen nachgewiesen werden (Seshamani et al. 2016). Mit anderen Worten spielt das DMN sowohl phylogenetisch als auch ontogenetisch eine zentrale Rolle als fundamentales neurobiologisches Funktionsprinzip im Gehirn von Säugetieren. Dies ist in einer Studie zur Konnektivität verschiedener kortikaler Regionen zum Ausdruck gekommen: Es ließ sich dort zeigen, dass ein Kontinuum zwischen kortikalen Regionen besteht: am einen Pol primäre Projektionsareale (sensorisch, motorisch) und am anderen Ende heteromodale


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