Dr. Norden Bestseller Paket 4 – Arztroman. Patricia Vandenberg
aber Zeit, daß er wieder die Klinik verlassen könne, meinte der Boß eines Tages.
»Nicht, daß Sie gleich wieder dem Streß ausgesetzt werden, lieber Jochen, aber als Trauzeuge möchte ich Sie schon haben. Sie und Jobst sollen mir garantieren, daß Georgia mal gute Freunde hat, wenn ich das Zeitliche segne.«
»Du lieber Himmel, davon sollten Sie nicht reden«, sagte Jochen.
»Ich will auch nicht daran denken, aber man weiß halt nie, was kommt. Und Chris braucht auch ein Vorbild. Er hatte nicht solchen Vater wie Ihr Tobias. Und ein besseres Vorbild als einen so guten Vater kann es nicht geben.«
In der Klinik lernte Karl Friedrich Wellinger auch Annabel kennen. Eigentümlich nachdenklich wurde sein Blick, als sie mit Toby kam, und zu Tobys großer Freude machte er eine tiefe Verbeugung vor ihr.
Am nächsten Tag sagte er zu Jochen: »Ist Ihnen eigentlich schon mal aufgefallen, daß diese reizende Frau Frank eine ganz erstaunliche Ähnlichkeit mit Ihrem Tobias hat?«
»Das macht wohl die Anpassung«, erwiderte Jochen schmunzelnd. »Toby ist ihretwegen ja sogar freiwillig zum Friseur gegangen, weil er auch keinen Wuschelkopf mehr haben wollte. Der wiederum war schuld, daß man ihn oft für Kathrins Bruder hielt.«
»Ja, es gibt seltsame Entwicklungsphasen«, sagte Karl Friedrich Wellinger nachdenklich. »Ich bin jedenfalls froh, daß Chris sich ganz auf Georgia hinauswächst. Ich habe allerhand durchgemacht, Jochen, das dürfen Sie mir glauben. Ich habe viel geschluckt.«
»Ich weiß es.«
»Ich habe auch nicht gedacht, daß das Glück doch noch mal zu mir komrnen würde, und deshalb möchte ich Ihnen den Rat geben, diese liebenswerte Annabel Frank festzuhalten. Ich habe jetzt so was wie den siebten Sinn bekommen für das, was einem gut tut.«
»Den habe ich auch schon bekommen«, erwiderte Jochen lächelnd. »Dankbar wäre ich Ihnen, wenn Sie Linda Krauss in eine andere Abteilung versetzen würden.«
»Ist sie immer noch hinter Ihnen her?« fragte der Boß.
»Besucht hat sie mich nicht. Für kranke Männer hat sie nichts übrig, aber ich möchte nicht, daß Annabel auf den Gedanken kommt, daß Tobys Befürchtungen eintreffen könnten. Sicher hat er mit ihr darüber gesprochen.«
»Diesbezüglich keine Sorge, sie hat gekündigt. Ihr hat es nicht gefallen, daß unser pedantischer technischer Direktor sie herumkommandiert hat. Übrigens werden Sie dessen Stellung übernehmen. Er geht in Pension. Abservieren konnte ich ihn nicht. Er hat der Firma dreißig Jahre treu gedient.«
So war Karl Friedrich Wellinger. Treue wurde von ihm honoriert.
»Ich bin mit meiner Stellung sehr zufrieden«, erklärte Jochen, »nur nach Ägypten gehe ich nicht wieder. Das muß ich zur Bedingung machen.«
»Ins Ausland schicken wir den Klossner«, sagte der Boß lächelnd, »und ich will, daß Sie mich entlasten, Jochen. Ich möchte Zeit haben für meine Frau und den Jungen. Aus ihm soll ein anständiger Mensch werden. Und von Mann zu Mann, halten Sie diese reizende Annabel fest. So eine Frau bekommt man selten.«
Martina hatte wirklich gute Vorarbeit geleistet, was Annabel betraf, doch ihres Einsatzes hatte es gar nicht bedurft. Jochen wußte schon sehr genau, was dieses Juwel wert war. Überstürzen wollte er dennoch nichts, und außerdem wollte er erst mal wieder zu Hause sein.
*
Mutter Hedwig hatte sich wohl oder übel damit abfinden müssen, daß Annabel den Tannenhof nun verließ. Nur Toby zeigte eine strahlende Miene, als sie Annabels Sachen abholten. Annabel fiel es nicht leicht, Mutter Hedwig diese Enttäuschung zu bereiten. Aber es war nur eine halbe Enttäuschung für die liebe Frau, denn sie gönnte Annabel von Herzen dieses private Glück, und sie zweifelte nicht daran, daß Annabel es bei Jochen Stahl und Toby finden wurde.
Während Toby mit Jan sprach, denn ihm hatte er viel zu erzählen, vertraute Annabel Mutter Hedwig ihr lange gehütetes Geheimnis an. Sie brauchte den Rat der mütterlichen Frau.
Ohne den Namen Wellinger zu erwähnen, berichtete sie von jener Nacht, die ihr junges Leben so grundlegend verändert hatte.
»Ich mochte diesen Mann nicht, obgleich ihm alle Frauen nachliefen, aber gerade meine Abwehr hatte ihn wohl gereizt. Er gehörte zu den Stammgästen des Hotels, und ich wollte mir diese gute Stellung nicht verscherzen. So versuchte ich, ihn zu überzeugen, daß er bei mir nichts erreichen würde. Doch damit erreichte ich nur das Gegenteil. Ich kann nicht schildern, wie schrecklich das alles war, und als ich dem Direktor am nächsten Morgen sagte, daß ich von diesem Kerl belästigt worden sei, bekam ich noch zu hören, daß ich ihn wohl herausgefordert hatte. Ich flog. Ich fand dann eine Stellung in einem Hotel im Schwarzwald. Und dann merkte ich, daß ich ein Kind bekommen würde. Ich wollte es nicht haben, ich wollte an diesen Schuft nicht erinnert werden. Ich fand keinen Arzt, der mir half, und ich hatte kein Geld, ins Ausland zu fahren. Ich ging dann zu einer Hebamme, doch sie überredete mich, das Kind zur Welt zu bringen und es dann wegzugeben. In ihrem kleinen Entbindungsheim wurde es so gehandhabt. Ich konnte auch dort bleiben. So geschah es dann auch. Ich erfuhr nicht einmal, ob es ein Junge oder ein Mädchen gewesen sei. Und als ich dann hierher kam, als die Kinder mir Liebe entgegenbrachten, wurde mir bewußt, daß ich falsch gehandelt hatte. Es wurde mir erst ganz bewußt, als Frau von Tammen Kathrin brachte, deren Vater ein charakterloser Mensch war und die doch ein liebenswertes Kind war. Und dann Toby, diese innige Zuneigung, und er ist auch am zwanzigsten September geboren.« Annabels Stimme versagte. Mutter Hedwig griff nach ihren Händen.
»Nun werden Sie entschädigt für das, was Sie durchlitten haben, Annabel«, sagte sie leise.
»Ich weiß nicht, ob ich nicht noch gestraft werde«, flüsterte Annabel. »Darf ich dann hierher zurückkehren, Mutter Hedwig?«
»Jederzeit, aber wer sollte Sie strafen?«
»Das Schicksal geht seltsame Wege«, sagte Annabel leise. »Ich habe es nun schon mehrmals erfahren. Dr. Stahl hat mich gefragt, ob ich bei Ihnen bleiben will, vielleicht wird er mich fragen, ob ich seine Frau werden will. Dann werde ich ihm die Wahrheit sagen müssen.«
»Sie müssen nicht. Ihr Gefühl muß entscheiden, ob Sie es können«, sagte Mutter Hedwig ruhig. »Ich denke, daß jeder anständige Mensch Verständnis für Ihre damalige Situation haben wird. Diese Türen hier stehen Ihnen jederzeit offen, Annabel. Es ist gut, daß Sie sich ausgesprochen haben.«
*
»Du bist traurig, Annabel«, sagte Toby betrübt.
»Ich habe Mutter Hedwig sehr lieb, Toby.«
»Ich habe dich auch sehr lieb«, sagte er. »So lieb kann dich sonst kein Kind haben. Und jetzt ist Maxi da. Die versteht es auch mit den Kindern. Darf Jan uns mal besuchen?«
»Wenn es dein Papi erlaubt.«
»Papi muß dann ja wieder arbeiten. Zuerst kann er sich aber erholen.« Er sah alles von seinem kindlichen Standpunkt, und er sah nur das Angenehme.
Dann kamen Tage, in denen auch Annabel wieder die Sorgen vergaß, die sie bedrückten. Jochen Stahl war daheim, aber mußte sich noch streng nach den ärztlichen Vorschriften richten und Annabel sorgte dafür, daß sie eingehalten wurden.
Nur kurze Ausflüge durfte er machen, und natürlich mußten Toby und Annabel ihn begleiten. Zu Hause wurde dann gespielt, Mensch ärgere dich nicht, Halma, Scrabble und Memory, und meistens war Toby der Sieger, weil Jochen und Annabel nie so ganz bei der Sache waren.
Der Haushalt lief wie am Schnürchen. Von Annabels Kochkünsten war Jochen längst überzeugt. Sie verstand es, sogar die Diätkost schmackhaft zu machen.
Als er dann zur Nachuntersuchung zu Dr. Behnisch ging, konnte der nur staunen.
»Ihnen geht es ja wieder blendend, Herr Stahl«, sagte er erfreut.
»Ja, es geschehen Wunder in mancherlei Hinsicht«, erwiderte Jochen. »Ich mußte mich ja auch ranhalten, damit der Boß endlich heiraten kann. Er will mich unbedingt als Trauzeugen haben.«