Wolff of Wall Street. Ernst Wolff

Wolff of Wall Street - Ernst Wolff


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können wir sie nach dem Ablauf ihrer Amtszeit wieder abwählen und durch andere ersetzen.

      Diese Grundsätze der parlamentarischen Demokratie werden uns von Kindesbeinen an mit auf den Weg gegeben und im Verlaufe unseres Lebens durch eine Reihe weiterer Informationen ergänzt und untermauert. So erfahren wir unter anderem: Unsere Wahlen sind frei, gleich, geheim, all­gemein und unmittelbar und werden auf der Grundlage einer Verfassung abgehalten, die unsere Würde für unantastbar erklärt und uns körperliche Unversehrtheit garantiert. Wir sind vor dem Gesetz alle gleich und haben das Recht, unsere Meinung zu äußern und uns mit anderen zum Zwecke gemeinsamer Meinungsäußerung zu versammeln.

      Die Formulierungen erwecken in uns den Eindruck, dass es sich bei der parlamentarischen Demokratie um ein zu unser aller Gunsten ent­wickeltes System handelt, das den Einzelnen schützt, dem Gemeinwohl dient und dessen oberstes Ziel darin besteht, den Willen der Mehrheit der Bevölkerung in die Tat umzusetzen.

      Doch ist das tatsächlich so? Wollen wir alle, dass immer weniger Men­schen immer größere Vermögen anhäufen, während der Lebensstandard der Masse bestenfalls stagniert, in vielen Fällen sogar sinkt? Dass der Nied­riglohnsektor explodiert, dass Arbeits- und Obdachlosigkeit um sich greifen? Dass von Jahr zu Jahr mehr Geld für Rüstung und den Ausbau von Sicher­heitsapparaten ausgegeben wird, während am Bildungs- und Gesundheits­wesen immer drastischer gespart wird? Sind wir dafür, dass die Umwelt zunehmend zerstört wird? Dass in unserem Namen Kriegseinsätze unter­stützt werden? Dass Persönlichkeitsrechte abgebaut und wir alle immer stärker überwacht werden?

      Wendet man sich direkt an die Menschen und fragt sie, was sie von dieser Entwicklung halten, dann fällt die Antwort eindeutig aus: Die meisten sind damit nicht einverstanden, viele lehnen sie sogar rundheraus ab.

      Wie aber kann das sein? Wie kommt es, dass zwischen dem, was die Menschen wollen, und dem, was in ihrem Namen und auf Grund ihrer offensichtlich frei getroffenen Wahlentscheidung umgesetzt wird, ein solch krasses Missverhältnis besteht – in einer Gesellschaft, deren Verfassung doch besagt, dass alle Macht vom Volk ausgeht?

      Wir lassen uns täuschen

      Die Antwort auf diese Frage lautet: Wir lassen uns täuschen. Wir ak­zeptieren die wohlklingenden Formulierungen unserer Verfassung, die auf dem Gleichheitsgrundsatz basieren, und schließen daraus, dass wir alle nicht nur gleiche Rechte genießen und gleich behandelt werden, sondern dass wir alle gleich sind.

      Das aber stimmt nicht. In einer vom Geld beherrschten Gesellschaft wie der unseren können die Menschen wegen ihrer Vermögensverhältnisse gar nicht gleich sein. Wer über viel Geld und großen Besitz verfügt, ist nämlich nicht nur wohlhabender, sondern kann sich auf Grund seiner wirt­schaftlichen Überlegenheit über diejenigen, die weniger besitzen, erheben, sie von sich abhängig machen und sie im Extremfall sogar vollends beherr­schen. Die Vermögensverhältnisse entscheiden also nicht nur darüber, wer reich und wer arm ist, sondern vor allem darüber, wer in welchem Ausmaß Macht ausüben kann und welche gesellschaftlichen Hierarchien sich im Lauf der Zeit bilden.

      Diese Aufspaltung der Gesellschaft hat schon lange vor der Einführung des Parlamentarismus und sogar schon lange vor der Einführung des Geldes begonnen. Ihre Anfänge gehen auf die Tauschwirtschaft zurück. Sie ist die Grundlage, auf der sich ein Zustand entwickeln konnte, der die gesamte bis­herige Geschichte der Menschheit prägt: die soziale Ungleichheit. Sie hat es den Menschen, die mehr Besitz angehäuft und damit mehr Macht erlangt haben als andere, ermöglicht, Strukturen zu schaffen, die ihren privilegierten Status festigen, die sie einmal erworbene Privilegien auf Dauer beibehalten und diese sogar auf nachfolgende Generationen übertragen lassen.

      Im ausgehenden Mittelalter sind die Besitzer großer Vermögen noch einen Schritt weiter gegangen und haben sich das Geldsystem und damit den Blutkreislauf der Gesellschaft unterworfen, indem sie Banken gegründet und sich so das Recht der Geldschöpfung angeeignet haben. Später, nach der Gründung der Nationalstaaten, haben die von ihnen beherrschten Ban­ken sich dieses Recht auf der Grundlage nationaler Währungen mit den Zentralbanken geteilt und damit als „Finanzwesen“ einen ganz eigenen Wirtschaftszweig geschaffen, der mit der Zeit immer einflussreicher wurde.

      Da dem Rest der Bevölkerung nicht entging, dass auf diese Weise einige wenige zusehends reicher und mächtiger wurden, hat sich immer stärkerer Widerstand gegen diese Entwicklung gebildet. Als mit der Indu­strialisierung dann Schulen eingeführt, der Analphabetismus nach und nach überwunden und das allgemeine Bildungsniveau immer weiter ange­hoben wurde, nahm dieser Widerstand für die Privilegierten zunehmend bedrohlichere Formen an, sodass sie sich gezwungen sahen, Zugeständnisse zu machen.

      Ein historisches Zugeständnis

      Das historisch wichtigste Zugeständnis – und die zugleich geschickteste Täuschung der Öffentlichkeit – war die Einführung des Parlamentarismus. Indem die Gleichheit der Menschen in einer von Ungleichheit geprägten Welt zum Verfassungsgrundsatz erhoben wurde, entstand mit der parla­mentarischen Demokratie eine Fassade, hinter der sich die tatsächlichen Machtstrukturen nicht nur hervorragend verbergen, sondern ungehindert weiter ausbauen ließen.

      Das Prinzip dieser Täuschung ist im Grunde recht einfach: Man unterschlägt einen fundamental bedeutsamen Mechanismus, der die gesell­schaftliche Realität seit Jahrhunderten prägt, und übertüncht ihn mit hoch­trabenden Worten. So gibt es bis heute weltweit keine einzige parlamenta­rische Demokratie, in deren Verfassung die Bedeutung des Geldes für die Entstehung von Machtstrukturen erwähnt oder in der das Prinzip der Geld­schöpfung auch nur angesprochen wird. Dafür aber wird in den meisten Verfassungen, verbrämt mit blumigen Formulierungen über die soziale Ver­pflichtung von Eigentum, der Schutz desselben garantiert – und zwar ohne jede Begrenzung nach oben.

      Auf diese Weise ist eine Herrschaftsform entstanden, die sich vorder­gründig auf den Willen der Mehrheit des Volkes stützt, die aber tatsächlich einer Minderheit nützt und die es darüber hinaus geschafft hat, die soziale Ungleichheit in krassem Widerspruch zum offiziell beteuerten Gleichheits­grundsatz zu einem akzeptierten und gesetzlich geschützten Dauerzustand werden zu lassen.

      Fehleinschätzung Nr. 2: „Das Finanzsystem ist nur ein Teilbereich unserer Gesellschaft, den man nicht unbedingt verstehen muss.“

      Die Fassade der parlamentarischen Demokratie hat es dem Finanzsektor ermöglicht, sich über Jahrhunderte hinweg weitgehend unkontrolliert zu entwickeln. Es sind aber noch zwei weitere Faktoren hinzugekommen, die ihm geholfen haben, beständig an Macht und Einfluss zu gewinnen: Zum einen hat die Bankenwelt im Laufe der Zeit eine eigene Fachsprache ent­wickelt, die Außenstehenden den Zugang erschwert und das Verständnis von Hintergründen und Zusammenhängen fast unmöglich macht. Zum anderen sind den meisten Menschen die Auswirkungen der Vorgänge im Finanzwesen auf das eigene Leben nicht bewusst.

      Aus diesen Gründen nimmt das Finanzwesen in der Wahrnehmung der meisten Menschen bis heute einen eher untergeordneten Platz ein. Oft steht es auf einer Stufe mit anderen Teilbereichen der Gesellschaft wie dem Gesundheits- oder dem Ausbildungswesen, und in vielen Fällen erfährt es sogar noch weniger Aufmerksamkeit.

      Diese Mischung aus Desinteresse und Unverständnis ist vom Finanz­sektor im vergangenen halben Jahrhundert in historisch einmaliger Weise ausgenutzt worden und hat ihm dazu verholfen, von der internationalen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt zur stärksten Macht zu werden, die es jemals auf unserem Planeten gegeben hat – mit der Folge, dass unser gesamtes Leben heute bis ins kleinste Detail von den Vorgängen an den Finanzmärkten geprägt und beeinflusst wird.

      Wie sind die Finanzmärkte so mächtig geworden?

      Das gegenwärtige Finanzsystem ist am Ende des Zweiten Weltkrieges entstanden und spiegelt noch immer die damaligen Machtverhältnisse wider. Zentraler Dreh- und Angelpunkt des Systems ist der US-Dollar, der 1944 zur globalen Leitwährung erklärt wurde und Ende der 1940er Jahre einen historischen Siegeszug um die Welt antrat, der als „Nachkriegsboom“ in die Geschichtsbücher eingegangen ist.

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