Wolff of Wall Street. Ernst Wolff

Wolff of Wall Street - Ernst Wolff


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mit Krediten ver­sorgten und daran glänzend verdienten. Als der Boom in der Mitte der 1970er Jahre zu Ende ging, ging aber auch die Nachfrage nach Krediten zurück, so dass die Banken sich nach anderen Verdienstmöglichkeiten umzusehen begannen.

      Auf Grund ihrer in den vorangegangenen Jahrzehnten gewonnenen fi­nanziellen Macht drängten sie die Politik, die rechtlichen Vorschriften für den Bankensektor zu lockern und ihnen so neue Profitquellen zu eröffnen. Das Drängen hatte Erfolg und setzte einen Prozess in Gang, der heute als Deregulierung bekannt ist und das Gesicht der Weltwirtschaft von Grund auf verändert hat.

      Einer der wichtigsten Meilensteine der Deregulierung war die Zulas­sung von Hedgefonds. Dabei handelt es sich um Vermögensverwaltungen einer ultrareichen Klientel, die wie Banken arbeiten dürfen, ihren gesetz­lichen Vorschriften aber nicht unterliegen. Dieser Schritt war die größte Machterweiterung, die die Banken in ihrer über 500-jährigen Geschichte erlebt hatten, denn er ermöglichte es ihnen, eigene Hedgefonds zu gründen und fortan all die Geschäfte zu betreiben, die ihnen zuvor verboten waren.

      Die Zugeständnisse an die Finanzindustrie gingen allerdings noch weiter. Im Zuge der Deregulierung wurden auch Aktienrückkäufe, die zuvor als unlauteres Instrument zur Kursmanipulation verboten waren, erlaubt. In den angelsächsischen Ländern wurde das Trennbankensystem abge­schafft, das nach dem Börsencrash von 1929 zum Schutz von Bankkunden eingeführt worden war. Rund um die Welt wurden immer neue Steueroasen geschaffen, Briefkastenfirmen zugelassen und Bilanzvorschriften gelockert.

      Besonders wichtig war die Einführung immer neuer Finanzprodukte, insbesondere von Derivaten. Auch wenn diese historisch einmal zur Ab­sicherung von Risiken erfunden worden sind, handelt es sich bei ihnen in ihrer heutigen Form zum weitaus überwiegenden Teil um nichts anderes als um Wetten, mit denen Investoren auf zukünftige Preise, Kurse oder Zinssätze setzen. Ihr Umfang ist im vergangenen Vierteljahrhundert expo­nentiell gewachsen und nimmt heute den mit Abstand größten Platz im gesamten globalen Finanzgefüge ein.

      Die Folge dieser Maßnahmen war ein ungezügeltes Wachstum des Fi­nanzsektors, das zur „Finanzialisierung“ der gesamten Weltwirtschaft führte. Geld, das vorher in Form von Investitionen in die industrielle Produktion geflossen war, wanderte in immer größerer Menge in den Finanzsektor. Während die Realwirtschaft zu verkümmern begann, nahm die Spekulation an den Finanzmärkten exponentiell zu und verwandelte sie in ein globales Casino, in dem mit den Wetteinsätzen auch die Risiken immer weiter an­stiegen.

      Mehrere Beinahe-Zusammenbrüche – mit immer schlimmeren Folgen

      Das blieb nicht ohne Folgen. 1998 geriet das globale Finanzsystem zum ersten Mal an den Rand des Zusammenbruchs, weil sich ein amerika­nischer Hedgefonds im internationalen Währungsgeschäft verspekuliert hatte. Damals tat sich eine Gruppe von Großbanken zusammen und rettete das System und damit sich selbst durch einen Feuerwehreinsatz, der etwa vier Milliarden Dollar kostete.

      2007/08 kam es zum zweiten Beinahe-Zusammenbruch. Diesmal waren die Folgen erheblich schlimmer. Die Summen, um die es ging, waren so hoch, dass die Banken überfordert waren und die Regierungen eingreifen mussten. Da deren Haushalte aber auch nicht ausreichten, um das System dauerhaft zu stabilisieren, sprangen anschließend die Zentralbanken ein und hielten es künstlich am Leben, indem sie immer mehr Geld schufen und es zu immer niedrigeren Zinsen vergaben.

      In der Eurokrise verschärften sich die Probleme noch einmal, denn nun mussten nicht nur Finanzinstitute, sondern ganze Staaten vor dem Zusammenbruch gerettet werden. Den vorläufigen Höhepunkt bildete 2020 die Corona-Krise, in deren Verlauf die Weltwirtschaft zum ersten Mal in ihrer Geschichte zum Stillstand gebracht wurde – mit der Folge, dass der globale Schuldenstand astronomisch in die Höhe schoss und das System nur noch mittels einer nie dagewesenen Geldschwemme am Leben erhalten werden konnte.

      Jede dieser Krisen hat den Prozess der Vermögens- und damit der Machtkonzentration weiter vorangetrieben und gleichzeitig ein neues, un­überwindbares Problem geschaffen: Die Mittel, die zur Rettung des Systems eingesetzt werden können, sind weitgehend ausgeschöpft. Da die Ver­antwortlichen in der nächsten Krise dennoch gezwungen sein werden zu reagieren, wird ihnen nichts anderes übrig bleiben als die Zinsen in den Negativbereich zu senken, noch mehr Geld zu mobilisieren, die Inflation anzuheizen und das System so noch stärker zu destabilisieren.

      Damit aber ist die Welt an einem Wendepunkt angekommen, denn das System lässt sich auf Dauer nur noch durch solche Maßnahmen am Le­ben erhalten, die seine Grundlagen zerstören. Der Finanzsektor, der einmal aus der Realwirtschaft hervorgegangen ist, gleicht mittlerweile einem Tumor, der seinem Wirt nach und nach alle Lebenskraft entzieht und inzwischen ein Stadium erreicht hat, in dem nur noch seine radikale Entfernung helfen kann, den Wirt am Leben zu erhalten.

      Diese Rettung aber erfordert die Bereitschaft des Wirtes, sich retten zu lassen und die wiederum setzt voraus, dass der Wirt erkennt, dass sein schlechter Zustand auf den Tumor zurückzuführen ist. Auf unsere Gesell­schaft bezogen, bedeutet das: Die Mehrheit der Menschen muss erkennen, dass die soziale Misere, vor allem die seit Jahren anhaltende kontinuierliche Senkung ihres Lebensstandards, aber auch der kulturelle Verfall und die zunehmende Unterwerfung der Gesellschaft unter autoritäre politische Strukturen ihre Ursachen im gegenwärtigen Finanzsystem hat.

      Wir stehen also vor einer historischen Herausforderung, denn diejeni­gen, die das gegenwärtige System beherrschen, haben in der Vergangenheit deutlich gezeigt, dass sie nicht bereit sind, ihren Machtanspruch freiwillig aufzugeben. Natürlich werden sie bei der Verteidigung ihrer Privilegien auch bereit sein, Gewalt anzuwenden. Der größte Trumpf aber, den sie in der Hand halten, ist nicht materieller, sondern ideeller Natur: Es handelt sich um die Unwissenheit der breiten Masse, wenn es um die Funktions­weise des Systems geht.

      So lange diese Unwissenheit bestehen bleibt, wird die Menschheit sich aus der Sackgasse, in der sie sich gegenwärtig befindet, nicht befreien können. Die wichtigste Voraussetzung für die Errichtung eines wirklich demokratischen und von der Allgemeinheit getragenen Finanzsystems besteht deshalb darin, diese Unwissenheit zu beseitigen.

      1. Finanzmärkte

       Dieser Beitrag ist auch als Video verfügbar. Zum Link: https://kenfm.de/the-wolff-of-wall-street-die-finanzmaerkte/

      Es vergeht kaum ein Tag, an dem man nicht etwas von „den Finanzmärk­ten“ hört. Eine der meistgestellten Fragen im Nachrichtenbereich lautet: „Was sagen die Finanzmärkte dazu?“ Aber worum genau handelt es sich bei diesen Finanzmärkten? Wie sind sie entstanden? Und vor allem: Warum wird ständig von ihnen gesprochen?

      Fangen wir mit einer Begriffsklärung an: Märkte sind Handelsplätze, auf denen Waren den Besitzer wechseln. Finanzmärkte sind also Handels­plätze, auf denen Finanzprodukte den Besitzer wechseln. Unter Finanz­produkten verstehen wir alles, was man kaufen kann, wenn man sein Geld anlegen und es vermehren möchte, ohne selbst dafür zu arbeiten.

      Aktien und Anleihen zum Beispiel sind klassische Finanzprodukte. Wer eine Aktie kauft, wird zum Gesellschafter eines Unternehmens und ist an seinem Gewinn oder Verlust beteiligt. Wer eine Anleihe kauft, leiht einem Unternehmen Geld und erhält dafür Zinsen. Aktien und Anleihen dienen also dazu, Unternehmen mit Geld zu versorgen, damit sie erfolgreich arbeiten können. Solche klassischen Finanzprodukte fördern die Realwirt­schaft.

      In den vergangenen drei Jahrzehnten allerdings hat eine bestimmte Art von Finanzprodukten einen kometenhaften Aufstieg erlebt, die diesen Effekt nicht haben: die Derivate. Derivate sind Termin-Kontrakte, mit denen man auf steigende oder fallende Preise, Kurse oder Zinsen setzt – im Grunde also nichts anderes als Wetten. Mit ihnen kann man innerhalb von kurzer Zeit sehr hohe Gewinne erzielen oder auch sehr hohe Verluste erleiden. Nur eines kann man nicht: die Realwirtschaft fördern. Obwohl Derivate hi­storisch zur Eingrenzung von Risiken entstanden sind, dienen sie in ihrer heutigen Form fast ausschließlich der Bereicherung von Spekulanten. Und nicht nur das: Sie schaden der Realwirtschaft, indem sie ihr Geld entziehen und einzelne Marktteilnehmer – zum Beispiel durch Wetten auf fallende Kurse – vom Unglück anderer profitieren lassen. Außerdem begünstigen


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