Wolff of Wall Street. Ernst Wolff

Wolff of Wall Street - Ernst Wolff


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eines Tages die Bauern genügend Felder haben, die Zwischenhändler ausreichend Autos besitzen und die Einzel­händler ihre Läden abbezahlt haben.

      Nun gerät aber die Kreditvergabe der Bank ins Stocken. Die Bauern brauchen zwar ab und zu neue Landmaschinen, die Zwischenhändler hin und wieder neue Autos und die Einzelhändler bauen ihre Läden ab und zu um, aber das große Geschäft ist für die Bank nicht mehr zu machen. In dieser Situation kommt der Banker auf eine Idee: Er eröffnet auf dem Groß­markt einen eigenen Stand und bietet Wetten an. Zuerst lässt er die Leute darauf setzen, ob an einem Tag mehr Äpfel oder mehr Kartoffeln verkauft werden. Dann lässt er sie wetten, welche Apfelsorte wohl am besten verkauft wird. Das Geschäft entwickelt sich so gut, dass der Banker immer neue, immer weiter verfeinerte Wetten auflegt: Werden rote oder grüne Äpfel, inländische oder ausländische, solche mit großem oder mit kleinem Kern­gehäuse besser verkauft? Tatsächlich geht der Plan des Bankers auf: Immer mehr Bauern und Händler, aber auch Kunden des Marktes nehmen am Wettgeschäft teil. Kein Wunder, denn Wetten ist einfach, erfordert keine Arbeit, sondern nur den Wetteinsatz. Außerdem lassen sich schnell hohe Gewinne machen.

      Das Ganze hat aber auch eine Kehrseite: Mit der Zeit vernachlässigen immer mehr Bauern und Händler ihre eigentliche Tätigkeit, die Qualität der Waren auf dem Großmarkt lässt nach und schließlich beginnen einige Bauernhöfe, Fuhrparks und Einzelhandelsgeschäfte zu verfallen. Außerdem hat die entstandene Wettsucht noch eine weitere Folge: Diverse Bauern und Händler verzocken sich und gehen pleite. Einige wenige dagegen – die sich aufs Wetten konzentrieren – machen Riesengewinne und verabschieden sich aus ihren Berufen, um Profi-Zocker zu werden. Der größte Gewinner aber – und das ist das alles Entscheidende – ist die Bank, die ja von Anfang an an jeder einzelnen Wette verdient hat und auf Grund ihres Informati­onsvorsprungs am Ende alle Beteiligten beherrscht, und das Spiel grenzenlos zum eigenen Vorteil manipulieren kann.

      Genau das ist die Situation, in der wir uns heute weltweit befinden: Die Ausuferung von Derivaten hat dazu geführt, dass die Realwirtschaft verkümmert und das Wettcasino sich dreht wie nie zuvor. Mit dem Ergebnis, dass eine winzige Anzahl von Menschen – Banker & Profi-Zocker – immer reicher werden und das Geschehen bestimmen, während die große Masse hilflos zusehen muss, wie ihr Lebensstandard nach und nach immer weiter sinkt.

      4. Kreditausfall-Versicherung

       Dieser Beitrag ist auch als Video verfügbar. Zum Link: https://kenfm.de/the-wolff-of-wall-street-kreditausfall-versicherung/

      Viele werden jetzt fragen: Warum sollte man sich mit so etwas Speziellem beschäftigen? Ist das nicht nur etwas für Insider und Finanzfachleute? Nein, das ist es nicht, und zwar aus folgendem Grund: Kreditausfallversi­cherungen haben bereits zweimal entscheidend dazu beigetragen, dass das globale Finanzsystem fast in sich zusammengebrochen wäre, und zwar 1998 und 2008. Und das sogar nach eindringlichen Warnungen: Der ameri­kanische Großinvestor Warren Buffett hat sie nämlich bereits vor mehr als 20 Jahren als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“ bezeichnet; wie wir heute wissen zu Recht.

      Kreditausfallversicherungen, auf Englisch „credit default swaps“ (kurz CDS) genannt, zählen zu den Derivaten und wurden in den 1990er Jahren von einer JPMorgan-Bankerin namens Blythe Masters erfunden. Um zu verstehen, wie sie funktionieren, stellen wir uns einmal Folgendes vor:

      Wir haben einiges Geld auf der Bank und wollen eine bestimmte Summe davon einem Unternehmen als Kredit zur Verfügung stellen. Dazu schließen wir mit dem Unternehmen einen Vertrag ab, in dem die Höhe des Kredites, seine Laufzeit und ein bestimmter Zinssatz, den das Unter­nehmen an uns zu zahlen hat, vereinbart werden. Dann aber beschleicht uns der Gedanke, dass wir ja in unruhigen Zeiten leben und niemand uns garantieren kann, dass das Unternehmen nach der vereinbarten Laufzeit tatsächlich in der Lage sein wird, uns unser Geld samt Zinsen auszuzahlen. Was tun wir also? Wir gehen zu einer Bank und lassen uns den Kredit ver­sichern. Das heißt: Wir zahlen der Bank einen bestimmten Betrag, und die Bank garantiert uns im Gegenzug, dass wir das Geld selbst dann bekommen, wenn das Unternehmen während der Laufzeit des Kredits pleitegehen sollte. Das alles sind klare Abmachungen, die niemandem schaden, sondern allen Beteiligten nützen und sie ruhig schlafen lassen.

      Nun aber kommen Blythe Masters und ihr Team von JPMorgan ins Spiel: Ihre Kreditausfallversicherung, die CDS, kann nämlich nicht nur vom Kreditgeber, sondern von jeder beliebigen Person oder Institution, die nicht an der Kreditvergabe beteiligt war, abgeschlossen werden – und das nicht nur bei einer Bank, sondern bei beliebig vielen Banken.

      Was bedeutet das? Das bedeutet, dass Profis im Finanzgewerbe, die mehr Informationen besitzen als andere Marktteilnehmer, sich umgehend auf die Suche nach Unternehmen machen, von denen sie annehmen, dass sie ihre Kredite möglicherweise nicht zurückzahlen können. Das allein hat schon erhebliche Folgen: Es bewirkt nämlich, dass sich der Schaden im Fall des tatsächlichen Zusammenbruchs eines betroffenen Unternehmens vervielfacht, da die Ausfallversicherungen ja nicht nur an den Kreditgeber, sondern auch an all diejenigen, die Kreditausfallversicherungen abgeschlos­sen haben, ausgezahlt werden müssen.

      Es geht aber noch weiter: Statt auf die Zahlungsunfähigkeit eines Unternehmens zu warten oder darauf zu hoffen, können Großinvestoren auf Grund ihrer Marktmacht sogar nachhelfen: Sie können den Untergang eines Unternehmens nämlich beschleunigen oder im Extremfall sogar selbst herbeiführen. Wer also über sehr viel Geld verfügt, kann folgendermaßen vorgehen: Er sucht sich ein Unternehmen, das nicht auf festen Beinen steht, schließt massenweise Kreditausfallversicherungen darauf ab, kauft es an­schließend auf, schlachtet es aus und treibt es in den Ruin. Die Folge: Das Unternehmen ist bankrott, Arbeitsplätze gehen unwiederbringlich verloren, aber der Verursacher der Misere streicht ein Vermögen ein.

      Genau das ist 1998 im Fall des amerikanischen Hedgefonds LTCM passiert. Als er in Schwierigkeiten geriet, wurden so viele Kreditausfall­versicherungen auf ihn abgeschlossen, dass ihre Auszahlung das Finanz­system ins Wanken gebracht hätte. Um es am Leben zu erhalten, sprangen damals zahlreiche Wall-Street-Banken ein und retteten den Hedgefonds. 2008 geriet dann der amerikanische Versicherungsgigant AIG ins Trudeln, weil er die von ihm verkauften CDS nicht mehr bedienen konnte. In diesem Fall waren die erforderlichen Summen aber so hoch, dass die Banken über­fordert waren und die Regierung und die Zentralbank einspringen mussten, um das entstandene Loch zu stopfen.

      Die beiden Fälle zeigen: Kreditausfallversicherungen sind nicht nur volkswirtschaftlich schädlich und zerstörerisch, weil sie einzelnen Markt­teilnehmern erlauben, sich zum Nachteil anderer zu bereichern, sie sind auch höchst gefährlich, da sie das Potenzial haben, das gesamte System zum Einsturz zu bringen. Trotzdem ist bis heute nichts gegen die Kredit­ausfallversicherungen unternommen worden. Im Gegenteil, ihr Umfang hat zugenommen und es gibt sogar sogenannte Geier-Hedgefonds, die sich auf ihren Einsatz spezialisiert haben.

      Deshalb lautet die Frage, vor der wir heute stehen, nicht: Wird es einen weiteren Fall wie 1998 oder 2008 geben? Sondern: Wann wird dieser Fall eintreten?

      5. Petrodollar

       Dieser Beitrag ist auch als Video verfügbar. Zum Link: https://kenfm.de/the-wolff-of-wall-street-der-petrodollar/

      1973 kam es im Nahen Osten zwischen einer Koalition aus arabischen Staaten einerseits und Israel andererseits zum Yom-Kippur-Krieg, den Israel gewann. Als Vergeltung für die Unterstützung Israels durch den Westen reagierten die arabischen Staaten mit einer Drosselung der Ölfördermengen und drastischen Öl-Preiserhöhungen von bis zu 400 Prozent. Das führte in den Industrieländern zu erheblichen Problemen, machte aber auch deutlich, welche Bedeutung das Öl für die gesamte Welt hatte. Vor allem aber brachte es die Regierung in Washington auf eine Idee: Da der Dollar nach der 1971 erfolgten Abkoppelung vom Gold ja an keinen festen Wert mehr gebunden war, konnte man ihn vielleicht an die meist gehandelte Ware der Welt, nämlich das Öl, binden. Aber wie?

      Die Idee zur Lösung des Problems kam vom damaligen US-Außenminister Henry Kissinger. Er nahm 1974 Kontakt mit Saudi-Arabien auf, das innerhalb der OPEC (Organisation erdölexportierender Länder) den Ton angab, und machte den Vertretern der dort herrschenden


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