Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic

Feuerjäger: Sammelband - Susanne Pavlovic


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Trollgeschichte machen.«

      Er war schon aus der Tür, als er noch einmal den Kopf nach drinnen streckte.

      »Ich bin überglücklich, dass dir nichts passiert ist«, sagte er. »Du kannst dir nicht vorstellen, welche Angst ich um dich hatte.«

      Lianna nickte und rang sich ein Lächeln ab.

      »Nicht, dass du mir demnächst gegen einen Drachen gehst, hörst du?«, warnte er und drohte scherzhaft mit dem Finger.

      »Nein«, sagte sie. »Versprochen. Genug Abenteuer fürs Erste.«

      Er nickte.

      »Schlaf gut.«

      »Du auch, Papa.«

      Sie blieb liegen, bis das Wasser kalt wurde, und dachte nach. Wenn morgen wieder alles beim Alten sein sollte, musste sie über Nacht hart werden, und unberührbar. Sie musste das, was war, hinter sich lassen. Nach vorne sehen. Dieses Leben wollen, das ihres war.

      Sie wollte so gerne die Prinzessin sein, die dieses Leben wollte. Sie hatte nur keine Idee, wie ihr das gelingen sollte.

      Schließlich stieg sie aus dem Wasser, rieb sich trocken, bis ihre Haut glühte, schlüpfte in die bereitgelegten Kleider und schlich im Schutz der hereinbrechenden Dunkelheit hinüber zu ihrem Wohnwagen.

      Erin hatte die Lampen entzündet und in dem kleinen, schmiedeeisernen Ofen ein Feuer entfacht. Liannas Rucksack stand an die Wand gelehnt neben der Tür.

      Sie schloss die Tür hinter sich, verriegelte sie und atmete tief durch. Endlich Ruhe.

      Sie nahm den Rucksack hoch und stellte ihn auf dem Tisch ab.

      Zuoberst lag ihre Decke, die sie heute Morgen achtlos zusammengeknüllt und unter die Klappe des Rucksackes geklemmt hatte. Tannennadeln und Krümel von Waldboden rieselten aus ihr, als sie sich in Liannas Händen entfaltete und auf den Boden wanderte. Dann kam ihre Ersatzkleidung, starrend vor Schmutz, Gras- und Blutflecken und voller Löcher. Sie drehte sie in den Händen. Erin sollte entscheiden, ob Wäsche und Reparatur sich noch lohnten, oder ob man sie nicht gleich wegwarf. Den Sachen entstieg ein Geruch nach Lagerfeuer, der ihr erneut die Tränen in die Augen trieb. Sie warf die Sachen zu der Decke auf den Boden.

      Eine Sammlung loser kleiner Gegenstände folgte als Nächstes: Essmesser, Holzbecher, Feuerzeug, Kamm, einige Kerzenstummel, ein fast leeres Salzsäckchen, Flickzeug. Dazwischen kam ihr Seil, sehr ordentlich aufgerollt und mit einem komplizierten Knoten verschnürt. Sie grub tiefer, sie war auf der Suche nach etwas Bestimmtem. Sie fand es auf dem Grund des Rucksackes: ein zusammengefaltetes Stück Pergament, es hatte die nachlässige Aufbewahrung übel genommen, war verknickt und eingerissen, und ein direkter Kontakt mit den Kerzen hatte Talgflecken darauf hinterlassen. Sie faltete es auf und strich es glatt, so gut es ging.

      Es war eine Kohlezeichnung ihrer selbst, etwas verwischt mittlerweile, doch noch gut zu erkennen. Sie blickte gerade aus der Zeichnung heraus auf den Betrachter, ein Lächeln auf dem Gesicht, das alles versprach und noch mehr hoffen ließ, die nackten Arme erhoben, um ihren Haarknoten zu lösen. Der Ansatz ihrer Brüste ließ sich am unteren Rand des Bildes gerade noch erahnen.

      Lianna strich mit dem Zeigefinger vorsichtig über die kleine Zwergenrune in der linken unteren Ecke des Bildes, während die Tränen ihr ungebremst über die Wangen strömten. Ihre ursprüngliche Absicht war gewesen, das Bild zu verbrennen, doch nun brachte sie es nicht übers Herz.

      Vielleicht nicht sofort, feilschte sie mit sich selbst. Es muss ja vielleicht nicht gleich am ersten Abend sein. Es genügt, wenn ich es vor der Hochzeit noch verbrenne.

      Sie faltete das Pergament und schob es unter ihre Matratze. Ihr war klar, dass dies kein sonderlich originelles Versteck war, aber sie war zu erschöpft, um sich ein besseres einfallen zu lassen. Sie zog sich aus und schlüpfte in ihr Nachthemd, löschte alle Lampen bis auf eine, sie schlief nicht gern bei völliger Dunkelheit, und kroch unter die Decken. Sie drehte sich zur Wand und betrachtete das Muster des Wandteppichs, der an ihrem Bett hing, seit sie denken konnte. Sie folgte mit dem Finger dem verschlungenen Muster, eine Gewohnheit aus Kindertagen, die ihr beim Einschlafen half, doch es funktionierte nicht an diesem Abend. Ihr Rücken fühlte sich leer an, es fehlte ein warmer Körper, gegen den sie sich lehnen konnte, ein Arm, der sie festhielt, und Finger, in die sie ihre verschränken konnte, es fehlte Atem in ihrem Haar und ein leichter, bitterer Geruch nach Tabakspfeife. Sie beschloss, dann eben nicht zu schlafen, und über dem Gedanken, ob man an Schlafentzug sterben konnte, schlief sie ein.

      Die Nacht, in der Thork Eisenfels zurückkam, war kalt und stürmisch, und es regnete in Strömen, weshalb niemand von seiner Rückkunft Notiz nahm. Still und dunkel lagen die gedrungenen Steinhäuser des oberirdischen Hochstahl am Hang und trotzten dem Wind. Die gepflasterten Straßen glänzten nass im Mondlicht. Als er schließlich das abseits gelegene kleine Haus am Bach erreicht hatte, kämpften seine kalten Finger lange mit dem nassen, zähen Leder seiner Gürteltasche, bis er endlich den Hausschlüssel herausgeholt hatte.

      Mit einem Klicken sprang das Schloss auf, die Türangeln quietschten leise, wie sie es immer getan hatten, ein Laut, der so vertraut war, dass er ihn erschreckte.

      Er war zurück.

      Was wollte er hier?

      Er trat ein, um aus dem Regen zu kommen, und drückte die Tür gegen den Sturm hinter sich zu.

      Ein einfach eingerichteter Wohnraum, in der Mitte ein großer, sauber gescheuerter Eichenholztisch, zwei Stühle daran, ein Schrank an der Wand, eine Kochstelle mit Regalen, auf denen einige Töpfe und anderes Gerät aufgereiht standen, im hintersten Teil des Raumes eine Schlafstatt, eine strohgefüllte Matratze, einige Felle. Alles war genau so, wie er es verlassen hatte, nur er selbst war verändert und bewegte sich durch den Raum wie ein Fremder.

      Behutsam stellte er den Rucksack ab und nahm den durchnässten Umhang von den Schultern, setzte sich dann leise an den Tisch und wischte sich mit den Händen den Regen vom Gesicht. Er hatte in den letzten Tagen begonnen, sich vorsichtig zu bewegen, als sei sein Herz eine offene Wunde, die es vor Erschütterungen zu schützen galt, aber natürlich half es nicht. Nichts half. Er hatte keine klare Erinnerung an die letzten Tage seiner Reise. Er vermutete, sobald er sich erinnerte, würde er den Verstand verlieren. Sein Orientierungssinn hatte ihn hierher zurückgeführt, wie einen Hund vielleicht, der auch auf seinen Hof zurückfand, ohne über den Weg nachzudenken. Und nun war er hier und wusste nicht warum.

      Er dachte nur an sie. Nichts anderes hatte in seinem Geist Platz neben ihr, neben den vielen kleinen Augenblicken, die sich in seine Erinnerung gebrannt hatten: die Gesten, mit denen sie ihr Haar kämmte, die Konzentration auf ihrem Gesicht, wenn sie über etwas nachdachte, und sie hatte eine Art gehabt, ihre weiche Wange an seine zu legen und mit den Wimpern zu flattern, so dass er die winzige Streichelbewegung spürte, sie hatte es Schmetterlingskuss genannt. Die Erinnerung erzeugte in ihm Qualen, für die er keine Worte fand, und doch konnte er nicht aufhören, sich zu erinnern, und wenn ihr Lachen sich in seinen Kopf schlich, kannte sein Schmerz weder Maß noch Ziel.

      Er wollte sich nicht erinnern. Und doch konnte er es nicht lassen.

      Es hatte Augenblicke gegeben, mit ihr dort oben im Gebirge, da war ihm hell und leicht und heil zumute gewesen, wie nie zuvor. Sie hatte ihn ans Licht geholt, hatte ihm dieses unglaubliche Geschenk gemacht, ihm aber war es nicht gelungen, dieses Licht zu bewahren. Er hatte sie nicht halten können, und das Licht war aus ihm heraus geflossen wie Wasser aus einem gesprungenen Krug, und nun war er zurück in Dunkelheit und Kälte, die er zuvor nicht als solche empfunden hatte, denn er hatte kein Licht gekannt.

      Er fror. Er stand auf und tauschte seine nasse Kleidung gegen trockene, obwohl er wusste, dass es nicht helfen würde. Nichts half. Er tat es, weil man es so machte. Er setzte sich wieder an den Tisch und entzündete die Lampe, er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, für Licht zu sorgen, wenn es dunkel war, denn sie mochte die Dunkelheit nicht.

      Er wusste nicht, was er tun sollte. Zum ersten Mal in seinem Leben sah er keinen Weg vor sich. Nichts, was dieses Leben ihm bieten konnte, ergab einen Sinn.

      Er saß lange und starrte auf seine Hände,


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