Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic
den Boden bedeckte ein altgoldener Teppich aus Blättern, aus dem es nach Pilzen roch. Die Hufe des Fuchses versanken raschelnd, und er zog ihr zufrieden die Zügel aus der Hand und machte den Hals lang. Sie bremste ihn, damit er nicht über verborgene Wurzeln stolperte.
Ein paar Steinwürfe waldeinwärts stieß sie auf eine Straße, nicht mehr als zwei tiefe Karrenfurchen, in denen das Wasser stand. Der Wald wurde dichter zu beiden Seiten, und so blieb sie auf der Straße und ließ den Fuchs zwischen Pfützen und Steinen seinen Weg suchen. Wiesenheim war in der Nähe; vermutlich würde der Weg sie dort an den Toren abliefern und sie könnte über die Wiesen abseits der Hauptstraße zurück zum Lager reiten.
Ein Blinken zwischen den Bäumen fesselte ihre Aufmerksamkeit; wie Sonne auf Metall blinzelte es zu ihr herüber. Sie zügelte den Fuchs und lehnte sich zur Seite, um besser zu sehen. Der Fuchs wich aus und sie lenkte ihn vom Weg, hinein in den Wald, dem Blinken nach.
Kaum einen halben Steinwurf von der Straße entfernt hatte jemand auf merkwürdige Art die Äste geschmückt: Lange Strähnen von einem Pferdeschweif hingen dort, in die blasse Knochen eingeflochten waren, grobe Schnitzereien, die wohl Tiere darstellen sollten, bemalte Rindenstücke. Dazwischen baumelten vertrocknete Kräutersträuße, Bänder aus vergilbtem Stoff und das, was Liannas Aufmerksamkeit erregt hatte: polierte Metallstücke, die möglicherweise von einer zerbrochenen Pflugschar stammten, und Hufnägel.
Lianna ritt näher heran. Das Eisen wies kaum Spuren von Rost auf. War dies eine alte Opferstätte, die von den Sesshaften immer noch benutzt wurde? Lianna hatte wenig Ahnung davon, wie die Sesshaften den Göttern huldigten. Sie bauten ihnen Tempel, das hatte sie in den Städten gesehen, aber hier draußen, auf dem Land?
Vielleicht kamen sie hierher, um Lares anzubeten, den Waldgott? Der mochte schon in den Legenden kein festes Dach über dem Kopf.
Lianna trieb den Fuchs näher und streckte die Hand aus, um die Opfergaben zu berühren. Gleich darauf riss sie die Hand zurück an den Zügel, denn der Fuchs stolperte über etwas, das verborgen unter altem Laub lag, und machte einen Satz zur Seite. Sie zügelte ihn und tätschelte beruhigend seinen Hals. Dann saß sie ab.
Der Fuchs stand wieder sicher auf allen Vieren, er schien mit dem Schrecken davongekommen zu sein. Mit der Stiefelspitze stöberte Lianna durchs nasse Laub, auf der Suche nach der Stolperschwelle.
Ihre Stiefelspitze stieß gegen eine steinerne Kante. Sie war glatt und rechtwinklig: Jemand hatte hier eine Steinplatte in den Boden eingelassen.
Mit dem Fuß schob Lianna mehr Laub zur Seite. Eine Grabplatte? Hier, mitten im Wald? Wen hatte man wohl so weit draußen unter einen so großen, schweren Stein gelegt?
Ein angenehmes Gruseln rann ihr über den Rücken. Sie ging in die Hocke und fegte das Laub mit beiden Händen von der Steinplatte. Über ihr raschelten und klimperten die Opfergaben leise im Wind.
Einige Zeit später richtete sie sich auf und strich sich mit erdigen Fingern Haarsträhnen aus dem erhitzten Gesicht. Was sie da freigelegt hatte, sah für ihr Verständnis nicht aus wie ein Grab. Die Platte war quadratisch und maß etwa einen Schritt an der Kante. Linien oder Furchen waren auf der glatten Oberfläche zu erkennen, sie verliefen gerade und kreuzten sich immer wieder und schienen ein Muster zu ergeben, das unter Moos und Schmutz schlecht zu erkennen war. In der Mitte wies die Platte eine runde Vertiefung auf, in der sich Schmutzwasser gesammelt hatte.
Lianna setzte einen Fuß auf die Platte. Nichts geschah. Sie machte einen Schritt hinauf. Die Platte unter ihren Füßen war fest verankert und rührte sich nicht um Haaresbreite. Lianna sah sich unschlüssig um. Ihre Neugier war nicht im Geringsten befriedigt, aber ihr fehlte die Geduld, dem Rätsel jetzt und hier auf den Grund zu gehen.
Sie legte den Kopf in den Nacken und schaute hinauf in die Baumwipfel. Ein Windstoß löste Herbstlaub von den Zweigen und legte es ihr zu Füßen, als wolle die Natur selbst den Stein sanft allen Blicken entziehen.
Lianna stieg von der Platte. Begraben, das war es, was sie tun musste. Ihre Gefühle, ihre Liebe, alle Erinnerungen, auch die, die sie zu einem besseren Menschen machten. Begraben, wie sie den merkwürdigen Stein unter altem Laub begrub, damit er die Harmonie von Moos und Blattwerk nicht störte.
Er war noch da, aber man konnte so tun, als wäre er es nicht.
Sie sammelte Laub zusammen und häufte es darüber, trat es vorsichtig fest und begutachtete ihr Werk. Ihre letzten Spuren würde der Herbstwind verwischen.
Sie schwang sich in den Sattel und trieb den Fuchs zurück auf die Straße.
Beim nächsten Mal brachte sie eine Bürste mit, um den Stein von den gröbsten Verschmutzungen zu reinigen. Nach einigem Schrubben fügten sich die Linien zu einem achtzackigen Stern, der von Strahlenlinien umgeben war. Die Linien waren fein und tief und dunkler als der Stein, in den sie geritzt waren: Moos und verkrustete Erde hatten sich so fest darin abgesetzt, dass Lianna mit ihrer Bürste nichts ausrichten konnte. Lianna fuhr den Stern mit dem Zeigefinger nach. Er ließ sich nachzeichnen, ohne abzusetzen, und beinahe erwartete sie einen Zauber, als ihr Finger wieder am Ausgangspunkt angelangt war, doch nichts geschah.
Bei ihrem dritten Besuch hatte sie einen kurzen Spaten aus dem Lager geschmuggelt. Damit begann sie, den Stein auszugraben, doch nach einer Stunde schweißtreibender Arbeit in dem schweren, von Wurzeln durchzogenen Waldboden stieß sie auf ein Hindernis. Die Platte, beinahe einen halben Schritt dick, saß unverrückbar auf einer felsigen Unterlage. Lianna stand in ihrem selbst gebuddelten Krater und fluchte. Diesmal würde sie die Spuren ihrer Anwesenheit kaum verbergen können, und was hatte die Anstrengung ihr gebracht? Nichts als Blasen an den Händen.
Sie kletterte aus dem Loch. Ihre Stiefel waren mit Erde verklumpt. Der Schwarze stand an einen Baum gebunden und beobachtete die Unternehmungen seiner Herrin mit sichtlichem Unbehagen. Sie wischte sich die Hände an seiner Mähne ab.
Vielleicht würde sie das Rätsel um den Stein nie lösen. Vielleicht war sie auch nur so besessen davon, damit ihr Verstand sich nicht mit anderen Dingen beschäftigen musste. Sie hätte gerne eine Entdeckung gemacht, ein Abenteuer erlebt, einen Geist auf diesem Altar beschworen oder den Zugang in ein unterirdisches Märchenreich entdeckt, nur um sich abzulenken, aber hier war sie mit ihren Ideen am Ende, und der Wind fuhr ihr mit eisigen Fingern unter die verschwitzte Kleidung.
Sie warf den Spaten ins Gebüsch, schwang sich in den Sattel und ritt davon.
Einige Tage später traf Arik mit seinem Gefolge ein. Lianna verpasste seine Ankunft, weil sie wieder einmal Zeit an »ihrem Stein« verbracht hatte. Seit der Buddelei waren neue Opfergaben dort aufgetaucht, kleine Fladenbrote, getrocknete Kräutersträuße und Äpfel, und mit roter Farbe bemalte Hühnerknochen baumelten an Schnüren von den niedrigen Zweigen. Vermuteten die Bauern in der Umgebung einen Wiedergänger, der die Erde dort aufgewühlt hatte? Lianna verspürte Bedauern bei dem Gedanken, allerdings nicht genug, um ihre Nachforschungen zu unterlassen. Die Äpfel hatte sie sich mit dem Schwarzen geteilt und hoffte nun, dass die Bauern sich beruhigen würden.
Als sie sich dem Lager näherte, sah sie schon von weitem den Tross aus Reit- und Packpferden, allen voran ein prächtiger, hochbeiniger Schimmel, dem gerade ein Wassereimer vorgehalten wurde.
Etwas, das sie nicht benennen wollte, machte ihre Kehle eng. Sie schluckte an dem hässlichen Klumpen und probte ihr Lächeln, während sie ins Lager ritt.
Die Umstehenden ließen sie durch. Zwischen den Wagen stand Arik neben ihrem Vater, groß und schlank, sein welliges blondes Haar glänzte in der Sonne, und sein Gesicht erstrahlte, als er Lianna sah.
»Meine Liebste! Endlich!«
Mit raschen Schritten war er bei ihr und griff den Schwarzen am Zügel. Sie saß ab, trat zu ihm und schlang ihm gehorsam die Arme um den Hals. Er drückte sie an sich, während sie versuchte, etwas Vertrautes in dieser Umarmung zu finden, doch die Erinnerung an seine Berührung war von ihrem Körper getilgt.
»Ich bin so glücklich, dich zu sehen«, flüsterte er in ihr Ohr. »Meine dumme, heldenhafte, kleine Prinzessin. Mach so was bloß nie wieder.«
Sie trat zurück