Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic

Feuerjäger: Sammelband - Susanne Pavlovic


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krachten.

      »Das hätte ich dir vorher sagen können«, ließ er sich am Abend von Keldor Steinschläger belehren, als er mit ihm und einer Handvoll seiner Freunde im Gasthof zum Goldenen Fass saß und den Vorfall besprach. »Mit dem ist nichts mehr anzufangen. Frag mal die Bedienung, wie oft die den in letzter Zeit völlig betrunken raus auf die Straße geschafft haben. Und nicht nur hier, auch drüben in der Ruhigen Einkehr. Total betrunken, sagen die. Das weiß doch jeder.«

      »Ich wusste es nicht«, sagte Melnir. »Ich wusste nur, dass er der beste Klingenschmied weit und breit sein soll.«

      »Kann ja sein«, mischte sich Bjor Höhlner ein und nahm einen Schluck aus seinem Bierkrug. »Nützt nur nichts, wenn er ein Säufer ist.«

      »Er war schon immer sehr eigenartig«, fuhr Keldor fort. »Unfreundlich, ich sag’s euch. Ein echter Einzelgänger. Ich hatte mal kurz mit ihm zu tun, aber ich war froh, als das vorbei war. Er hat eine Art, also, ich weiß nicht. Fremdartig.«

      »Genau«, sagte Bjor. »Und immer diese Reisen. Unsteter Lebenswandel, das. Sollte er nicht eigentlich sowieso bei den Gròrbrüdern im Orden leben? Als Priester, meine ich? Das sollte er tun, finde ich. Jeder dort, wo er hingehört.«

      »Man sagt, er verfügt über irgendwelche Kräfte«, fügte Keldor an. »Also, ich finde das bedenklich. Vielleicht besser, dass ein anderer Schmied die Axt für deinen Sohn anfertigt, Melnir. Wäre vielleicht eine verhexte gewesen, sonst.«

      »Jetzt mal langsam«, bremste Melnir, dem die Spekulationen seiner Freunde zu weit gingen. »Nur weil einer ein Einzelgänger ist, muss er nicht gleich ein Hexer sein.«

      »Ich frage mich, warum er dann ein solcher Einzelgänger ist«, sagte Keldor und setzte mit Nachdruck seinen Krug auf dem Tisch auf. »Müsste er doch nicht, wenn er nichts zu verbergen hätte.«

      »Genau«, bekräftigte Bjor.

      »Lasst uns von etwas anderem reden«, bat Melnir, dem das Gespräch aufs Gemüt schlug. »Woher bekomme ich nun auf die Schnelle einen guten Schmied?«

      Mit dem ersten Schnee trafen die Sidarthi in ihrem Winterlager bei Wiesenheim ein. Heftige Regenfälle hatten die Straßen beinahe unpassierbar gemacht. Erst nach einem Kälteeinbruch, als der tiefe Morast gefroren war, hatten sie mit den schweren Wagen die letzte Wegstrecke zurücklegen können. Sie steckten mit angespitzten Pflöcken und Seilen Winterweiden ab, ließen die Herden darauf und errichteten Unterstände aus roh zugesägten Brettern, die den Pferden ein gewisses Maß an Schutz vor den Winterstürmen bieten sollten. Ganz gegen ihre sonstigen Gewohnheiten half Lianna bei der schweren Arbeit. Die körperliche Betätigung lenkte sie ab und machte sie müde, so dass sie nachts ruhiger schlief. Alles war ein wenig einfacher, seit Arik wieder abgereist war.

      Mit der Zeit stellte sich die gleichmäßige Routine des Winterlagers ein. Den Pferden reichte das alte Gras nicht, das sie unter dem Schnee frei scharrten, sie mussten gefüttert werden und benötigten gleichmäßige Bewegung, um ihre Kondition beizubehalten. Lianna verbrachte täglich mehrere Stunden damit, einige der schweren, kräftigen Wagenpferde zu reiten, die im Winterlager keine Aufgabe hatten. Noch immer unternahm sie gelegentliche Ausflüge zu dem rätselhaften Stein im Wald, aber der Ritt vom Winterlager dorthin war lang, und ihr Interesse erlahmte allmählich, nachdem es ihr immer noch nicht gelungen war, das Rätsel des Steins zu entschlüsseln. Es mochte vielleicht gar keines geben. Vielleicht war der Stein nicht mehr als eine Markierung aus alten Zeiten, eine Gedenkstätte, an der alter Aberglaube klebte.

      Mehr als zwei Monde waren nun vergangen, seit sie Thork zuletzt gesehen hatte. Die Erinnerung begann, sich zu verwischen. Hatte er seine Augenklappe links oder rechts getragen? Wie war der Klang seiner Stimme gewesen? Hatte sie ihn jemals lachen hören, oder schloss ihre Vorstellungskraft hier eine Lücke?

      Was sie über ihn wusste, bestand zum größten Teil aus Lücken. Sie fand es beschämend, wie viel sie von sich gesprochen hatte in der kurzen Zeit, die ihnen vergönnt gewesen war. Und er hatte es sich gefallen lassen, hatte geduldig ihrem Geplapper gelauscht, hatte auf ihre Schritte im Gebirge geachtet und sie nachts in der Dunkelheit behütet. Wenn sie sich anstrengte, konnte sie ihre Hände sich erinnern lassen, wie sein kurzer Bart sich angefühlt hatte, sein struppiges, fuchsrotes Haar.

      Wenn sie sich anstrengte, konnte sie sich daran erinnern, wie leicht sie sich gefühlt hatte.

      Sie wusste nicht, ob das Vergessen ein Segen war oder ein Fluch.

      Am Tag der Jahreswende begann es erneut zu schneien, und diesmal schien es dem Winter ernst zu sein. Fluten von dicht wirbelnden Flocken wurden aus dem schweren, grauen Himmel über dem Wagendorf ausgeschüttet. Die Pferde drängten sich missmutig in ihren Unterständen und sahen mit ihrem fingerlangen, schneebestäubten Winterpelz aus wie urtümliche Fabelwesen.

      Gegen Mittag kam Erin in Liannas Wagen, einen großen, in Sackleinen gehüllten Klumpen im Arm. Sie war vom Schnee bestäubt und klopfte ihr Tuch über dem Feuer ab, ehe sie den unförmigen Klumpen von seiner Umhüllung befreite.

      »Seht her«, sagte sie stolz. »Der Stoff für Euer Hochzeitskleid. Solange wir hier einschneien, kann ich genauso gut mit dem Nähen beginnen.«

      Lianna schluckte einen Bissen Brot, der ihr im Mund plötzlich zu Holzwolle geriet. Erin schüttelte den Stoff auf dem Bett zurecht. Er war von einem tiefen Meerblau, fein gewebt und schimmernd, und Erin hatte passende Borten und Pelze zur Verbrämung ausgewählt, die sie nun auf dem Stoff drapierte.

      »Schön«, sagte Lianna heiser.

      Erin strahlte.

      »Habe ich Euch überrascht? Ich war gestern noch in der Stadt, um ihn abzuholen. Es war fast kein Durchkommen auf der Straße. Gefällt er Euch?«

      »Er ist ... großartig.«

      »Es sind dreißig Ellen. Wir können einen richtig weiten Rock draus machen, und vielleicht noch eine Schleppe. Hier, lasst Euch ansehen.«

      Erin hielt Lianna das Ende der Stoffbahn über die Schulter, zupfte und legte Falten, während sie unablässig über Schnitt und Raffung sprach. Der Stoff floss durch Liannas Hände, kühl und schwer wie Wasser. Ihn zu tragen würde sich anfühlen wie Ertrinken.

      »Ich weiß nicht, ob ich Arik heiraten soll«, hörte sie sich sagen.

      Erin hielt inne.

      »Aber natürlich sollt Ihr das, Schätzchen. Er ist Euch seit vielen Jahren versprochen.«

      »Ein Fehler wird nicht dadurch besser, dass man ihn lange macht.«

      Behutsam nahm Erin den Stoff von Liannas Schulter.

      »Was ist los, Liebes? Gibt es einen anderen?«

      Lianna nickte, während ihr Atem ihr im Hals versickerte.

      Erin seufzte.

      »Es gibt immer einen anderen. Entscheidend ist nur, dass Ihr bei dem einen bleibt, der Euer Vertrauen genießt. Der Euch versprochen wurde, vor langer Zeit. Ihr müsst standhaft bleiben, das stärkt den Charakter.«

      »Dann findest du es nicht schlimm, dass ...?«

      »Schätzchen, Ihr seid nicht die erste Braut, die vor der Hochzeit Muffensausen bekommt, und Ihr werdet nicht die letzte sein.«

      Lianna nickte zögernd.

      »Ich weiß nicht, ob es nur das ist. Der andere ist ... so ... fürsorglich. Er fordert nichts. Er ist so ... welterfahren, obwohl er ein Sesshafter ist. Gegen ihn wirkt Arik wie ein Kind.«

      »Der Mann aus den Ebenen?«

      Lianna nickte.

      »Kein Mann kann Euch alles geben, Liebes. Etwas wird immer fehlen. Ihr müsst Euch nur denjenigen aussuchen, mit dessen Lücken Ihr leben könnt.«

      »Ich habe mir gar niemanden ausgesucht! Arik wurde mir ... zugeteilt ... wie wir einen besonders wertvollen Hengst für eine hübsche Stute aussuchen!«

      Erin schüttelte den Kopf und legte sanft die Hand auf Liannas Mund.

      »Ihr


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