Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic
die Nase hoch.
Wann, bei allen Göttern der Verdammnis, würde sie aufhören, sich so wund zu fühlen?
»Heda!«
Lianna sprang auf und riss die Schwerthand an die Seite, aber da war nichts als kalte Luft. Vor ihr, wie aus dem Boden gewachsen, standen zwei Männer – Bauern, der ärmlichen Kleidung nach zu urteilen. Einer der beiden hielt ein rostiges Holzbeil drohend vor sich.
»Habt Ihr mich erschreckt!«
Lianna atmete tief durch und sah sich nach dem Schwarzen um. Der stand ein paar Schritte abseits und zuckte nervös mit den Ohren.
»Was macht Ihr da?«, fragte der mit dem Beil.
»Ausruhen. Es war ein langer Ritt. Ich bin vom Weg abgekommen.«
Der zweite Bauer, dessen untere Gesichtshälfte von einem fusseligen Bart bedeckt wurde, beugte sich zu seinem Begleiter.
»Die ist von dem Zigeunerpack«, murmelte er vernehmlich. »Schau dir mal den Gaul an.«
Lianna machte einen Schritt rückwärts und stieß mit den Hacken gegen den Stein.
»Die ruht nicht aus«, sagte der Fusselbart. »Die klaut unsere Opfer!« Er zeigte auf das Brot, von dem ein Stück fehlte.
»Ich war das nicht!«, verteidigte Lianna sich. »Meint Ihr, ich hätte es nötig, Euer armseliges, schimmeliges Brot zu stehlen?«
»Zigeuner stehlen alles«, sagte der mit dem Beil feindselig. »Kinder, Ernte, Opfergaben. Kühe. Weißt du noch, wie die Kuh vom Schwarzmann verschwunden ist? Das war, kurz nachdem die hier in der Gegend aufgetaucht sind.«
»Wir haben Eure blöde Kuh nicht! Und jetzt lasst mich gehen.«
»Bleib, wo du bist, Mädchen.«
Der mit der Axt schien überlegen zu müssen, was er aus dieser unverhofften Begegnung machen wollte. Der Fusselbart hingegen hatte sich schneller entschlossen.
»Wir nehmen den Gaul«, sagte er. »Als Ersatz für die Kuh vom Schwarzmann.«
»Nähert Euch, und er wird Euch die Knochen zu Klump hauen!«, fauchte Lianna.
Der Fusselbart zog einen mit Lumpen umwickelten Fuß aus dem Schnee und machte einige ungeschickte Schritte in Richtung des Schwarzen, wobei er die Arme hochriss, um das Gleichgewicht zu behalten. Der Schwarze warf den Kopf hoch und wich zurück.
»Steh!«, schrie Lianna. »Steh!«
Der Fusselbart hechtete vorwärts und versuchte, die Zügel zu packen. Da der Schwarze aber gleichzeitig einen Satz zur Seite machte, ging sein Griff ins Leere. Mit schlagenden Steigbügeln galoppierte der Schwarze davon, eine Schneefontäne hinter sich lassend. Lianna fluchte blumig hinter dem Schwarzen her – er würde sich nicht weit von ihr entfernen, aber diese Schmach! Dieser Verrat! - was unklug war, denn für Augenblicke nahm sie den Blick von dem Mann mit der Axt. Als sie sich ihm wieder zuwandte, stand er direkt vor ihr und übergoss ihr Gesicht mit seinem schlechten Atem.
»Dann nehmen wir die hier«, sagte er und zeigte grinsend sein schwarz verfärbtes, lückenhaftes Gebiss. »So wie die aussieht, hat sie sicher etwas Wertvolles dabei.«
Ihr Essmesser! Es steckte noch in ihrem Gürtel unter dem Mantel. Liannas Hand fuhr zwischen die Knöpfe, doch ihre Finger waren zu kalt, um ihr zu gehorchen. Während sie noch unter ihrem Mantel herumtastete, legte der Mann ihr die Axt an die Kehle.
»Keine Bewegung!«
Lianna ließ Atem ausströmen. Diese beiden meinten es scheinbar ernst.
»Bitte, lasst mich gehen.«
Kleinmädchenstimme, zitternde Unterlippe und große, runde Augen. Den Gegner in Sicherheit wiegen.
Der Mann mit der Axt nickte.
»Sicher tun wir das. Sobald du uns gegeben hast, was in deinen Taschen ist.«
»Ich kann nachsehen – wenn du die Axt wegnimmst ...«
Zögernd senkte der Mann die Axt. Lianna steckte die Hände in de Taschen, verlagerte ihr Gewicht vorsichtig nach hinten, dann riss sie den Fuß hoch und trat mit aller Macht nach der Hand, die das Beil führte. Der Mann kreischte auf. Die Axt wirbelte im hohen Bogen durch die Luft und wurde lautlos vom Schnee geschluckt. Während der andere sich noch fluchend die Hand hielt, gelang es Lianna endlich, ihr Essmesser unter dem Mantel zu befreien. Ein Schritt rückwärts brachte sie auf die Steinplatte, und sie hielt das Messer schützend vor sich.
»Ich bin eine Trollbezwingerin«, sagte sie. »Und ihr zwei traurigen Gestalten macht euch am besten schleunigst aus dem Staub, ehe ich euch Beine mache!«
Der eine kroch durch den Schnee, auf der Suche nach seiner Axt, doch der andere hatte sich inzwischen einen armdicken, abgebrochenen Ast gegriffen, mit dem er nun versuchte, Lianna von ihrem Stein zu stoßen.
»Man klaut keine Opfergaben«, knurrte er. »Das macht man nicht, Mädchen! Das erzürnt die Götter. Hat man dir das nicht beigebracht?«
»Du glaubst ehrlich, du könntest die Götter besänftigen, mit diesen armseligen Almosen?«
»Es kommt auf das an, was du im Herzen hast! Du hast kein Herz! Und jetzt geh da runter!«
Der Fusselbart stieß seinen Ast in ihre Richtung, und nur eine rasche Abwehr verhinderte, dass sie das zersplitterte Ende ins Gesicht bekam. Der Ast bohrte sich in ihre Hand, rutschte ab und hinterließ einen tiefen Kratzer, aus dem Blut quoll. Die Kälte betäubte den Schmerz, und erstaunt verfolgte Lianna, wie sich ein dicker, dunkler Blutstropfen löste und auf den Stein fiel.
Ein plötzlicher Ruck holte sie beinahe von den Füßen, der aus dem tiefen Inneren der Erde zu kommen schien. Gleichzeitig brach zu ihren Füßen ein Licht auf, wie wenn man ein Fenster zur Sonne öffnet. Die Bauern schrien. Der Fusselbart ließ seinen Ast fallen und wich zurück. Das Licht drang aus den Sternlinien, umspülte Liannas Füße und wurde so grell, dass sie die Augen zusammenkniff. Dann geriet etwas unter ihr in Bewegung. Lianna klammerte sich an ihr kleines Messer und suchte festen Stand, und dann versank der Stern unter ihren Füßen im Erdboden. Eine Schwelle entstand, dann eine Stufe. Erde und Schnee rieselten auf ihre Füße. Ehe sie noch entschieden hatte, ob es eine kluge Idee war, war sie bis zu den Knien versunken, dann bis zu den Schenkeln.
Dann war die Obenwelt nur noch ein gezackter, grauer Lichtausschnitt, aus dem es zu ihr hinabschneite. In einer Wolke goldenen Lichts sank sie tiefer. Sie streckte die Hände zur Seite aus. Feuchter Fels strich an ihren Fingerspitzen vorbei. Sie schluckte und versuchte, ihren Atem zu beruhigen. Sie hatte es nicht gern eng um sich herum, und nach oben kam sie auf diesem Weg jedenfalls nicht mehr.
Es war völlig still hier unten. Die Luft wurde wärmer. Das Fenster zur Oberwelt schrumpfte zu einem winzigen Lichtpunkt.
Im Inneren der Erde sei Feuer, hatte Thork gesagt. Gewaltige Lohen und geschmolzenes Gestein, hell und heiß wie die Sonne.
Wie tief musste es hinunter gehen, um an dieses Feuer zu gelangen?
Plötzlich verschwand der Fels um sie herum. Der steinerne Stern hatte die enge Röhre passiert und schwebte nun im freien Raum. Lianna mühte sich um all ihr geschultes Gleichgewicht und versuchte, nicht daran zu denken, wie tief es unter ihr möglicherweise noch hinunterging. Immer noch strahlte das Licht aus dem Stern und verwehrte ihr einen Blick auf ihre Umgebung.
Dann, mit einem plötzlichen Ruck, war die Reise beendet. Lianna war tief in die Knie gegangen, um den Stoß abzufedern, und richtete sich nun vorsichtig wieder auf.
Immer noch herrschte völlige Stille. Sie tastete durch das helle Licht wie durch Nebel, ohne dass ihre Hände etwas fanden.
Sehr vorsichtig stieg sie vom Stein und machte einen Schritt. Sandiger Boden knirschte unter ihren Stiefeln. Das Licht blendete sie ein letztes Mal, dann versickerte es im Boden und hinterließ nur ein schwaches Glühen.
Lianna zwinkerte und wartete nervös, bis ihre Augen sich an die veränderten Lichtverhältnisse