Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic

Feuerjäger: Sammelband - Susanne Pavlovic


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er, ohne eine Miene zu verziehen. »Die Stufe ist als Abkürzung zum Pass seit langem bekannt. Es gibt einen Pfad. Du kannst ihn nur von hier nicht sehen.«

      Er machte einige Schritte voran und hielt inne, als sie ihm nicht folgte.

      »Nun komm«, sagte er über die Schulter. »Wir haben noch ein Stück Weg vor uns.«

      Die Sonne hatte ihren Höchststand erreicht, als sie bei den Geröllfeldern anlangten, die sich zu Füßen der Stufe erstreckten. Sie legten eine kurze Pause ein, um zu trinken und etwas von ihren Vorräten zu essen. Dann holte Thork zwei Paar Steigeisen aus seinem Rucksack und gab Lianna eines hinüber.

      »Wir werden ab jetzt diese brauchen.«

      »Was ist das?«, fragte sie verwundert.

      Thork sah sie an, mindestens das gleiche Maß an Verwunderung im Blick.

      »Dein Leichtsinn ist sträflich«, sagte er. »Du gehst auf den Berg ohne die geringste Ahnung! Du kannst den Göttern danken, zu denen du hin und wieder betest, dass du mir über den Weg gelaufen bist. Bei dem, was du weißt, oder besser, was du nicht weißt, wäre es dein Tod gewesen, alleine hier oben.«

      »Und wie hätte ich ahnen sollen, dass die Reise ins Gebirge geht? Ich bin keine Hellseherin!«

      »Trolle sind Geschöpfe der Berge. Sie sind heimisch hier oben und noch höher. Und er bewegte sich in Richtung der Berge. Ich bin auch kein Hellseher, aber ich kann eins und eins zusammenzählen.«

      Sie gab ein Schnauben von sich, dem ihres Pferdes nicht unähnlich, und warf die Hände in die Luft. Er erkannte, dass er mit seiner Bemerkung einen Fehler gemacht hatte. Sie würde nun wieder einen Streit vom Zaun brechen.

      »Also gut«, sagte sie, und mit Erstaunen stellte er fest, dass ihre Stimme friedlich klang. »Ich preise die Götter. Und was ist es nun?«

      »Steigeisen«, erklärte er und zeigte ihr, wie man sie unter den Stiefeln befestigte.

      »Und woher hast du das zweite Paar?«, erkundigte sie sich, während er einen der Riemen um ihren Stiefel festzog.

      Er sah kurz auf und gestattete sich die Andeutung eines Lächelns. »Das ist von Galdur. Er bestand darauf, es mir mitzugeben. Nur für den Fall, dass es mir nicht gelingen würde, dich abzuschütteln.«

      »Du hast es ja gar nicht versucht«, sagte sie. »Mich abzuschütteln, meine ich.«

      Das Leder sträubte sich plötzlich unter seinen Fingern.

      »Ebenso wenig wie du versucht hast, mich abzuhängen«, sagte er mit dem Gefühl, sehr dünnes Eis unter den Stiefeln zu haben. »Obwohl ich schwören könnte, dass dies dein ursprüngliches Vorhaben war.«

      »Aua«, beschwerte sie sich. »Musst du das so fest anziehen? Ich spüre jetzt schon meine Zehen nicht mehr!«

      »Mach es selber«, sagte er, erhob sich eilig und brachte einen großen Schritt zwischen sich und sie. »Aber ziehe es so fest wie möglich. Du wirst sie unterwegs nicht verlieren wollen.«

      Mit geübten Griffen, die ihn beruhigten, brachte er seine eigenen Steigeisen unter den Stiefeln an, überschattete dann das gesunde Auge mit der Hand und suchte die Stufe ab. Er erkannte eine einzelne, verkrüppelte Zirbelkiefer, die den Einstieg kennzeichnete, und folgte mit dem Blick dem Pfad, der sich schmal und steil am Steilhang entlang wand, bis plötzlich eine Bewegung im Fels seine Aufmerksamkeit fesselte. Er schluckte trocken und streckte die Hand nach Lianna aus, ohne den Blick von dem Punkt zu nehmen.

      »Lianna«, sagte er, seine Stimme klang rau. »Da ist er. Vor uns, im Fels. Er nimmt den Pfad hinauf.«

      »Wer?«, fragte sie, die noch an den Schnallen ihrer Steigeisen arbeitete, bevor ihr plötzlich klar wurde, von wem er sprach. Sie sprang auf die Füße und kam neben ihn. Die Eisen verursachten ein hässliches kratzendes Geräusch auf dem felsigen Grund. »Wo?«, fragte sie atemlos. Er zeigte auf den Punkt. Kaum wahrnehmbar bewegte sich dort eine winzige Gestalt, die farblich geradezu mit dem Fels verschmolz.

      »Ich sehe nichts«, sagte sie. »Ich sehe nicht einmal einen Pfad.«

      »Dort«, versuchte er ihren Blick zu lenken. »Fast schon am oberen Rand. Direkt unter der Felsnadel, die dort einzeln hervorsticht«, doch sie schüttelte den Kopf und wandte sich ab, um ihr Gepäck zu schultern.

      »Egal«, sagte sie. »Beeilen wir uns lieber! Nichts wie hinterher.«

      »Langsam«, sagte er, obwohl es ihm schwerfiel. »Er ist für heute außer Reichweite. Wenn wir uns jetzt zu sehr beeilen, werden wir abstürzen, statt ihn einzuholen.«

      Obwohl Lianna sich schnell an das Gefühl der Steigeisen unter ihren Stiefeln gewöhnte, brauchten sie doch bis in den Nachmittag, bis sie endlich die verkrüppelte Zirbelkiefer erreichten. Dunkel türmte sich die Stufe über ihnen auf. Der Wind hatte zugenommen und ließ ihre Mäntel flattern. Thork stand, die Hand am Fels, und sah mit zusammengekniffenem Auge die Stufe hinauf. Er rang um eine Entscheidung. Sie würden zügig steigen müssen, um vor Einbruch der Dunkelheit das obere Ende zu erreichen. Er fragte sich, ob Lianna in der Lage war, das Tempo zu halten. Der Troll aber war schnell unterwegs, und er machte keine Pausen.

      Thork wischte sich Haarsträhnen aus der Stirn und sah zu seiner Begleiterin hinüber, die sich zum Verschnaufen auf einen Stein gesetzt hatte. Er selbst konnte sich zur Not auch bei völliger Dunkelheit im Fels bewegen, sie aber war hilflos, sobald es Nacht wurde. Er hatte nie darüber nachgedacht, welche Einschränkung es bedeutete, nichts zu sehen, nur weil es dunkel war.

      Er nahm sein Seil und ihres vom Rucksack und schlang es sich quer über die Brust, um es griffbereit zu haben.

      »Gehen wir es an«, sagte er.

      »Das nennst du einen Pfad?!«, rief sie entgeistert, als er ihr den Einstieg zeigte. Er verschwieg ihr, dass das untere Stück noch das einfachste war, und ging voran.

      Der Aufstieg brachte Lianna an ihre Grenzen. »Sieh nicht nach unten«, hatte der Zwerg ihr geraten, und so heftete sie den Blick auf seinen Rücken und bemühte sich, seine Schritte und Griffe möglichst exakt nachzuahmen, doch der Abgrund hinter ihr blies ihr seinen kalten Atem in den Nacken. Wo sie kletterten, war kein Pfad, nicht nach Liannas Definition, sie schien direkt zwischen Himmel und Abgrund zu hängen mit nichts unter sich als einem schmalen Sims, umgeben von Stein.

      Sie hatte den Blick so krampfhaft vor sich auf den Fels gerichtet, dass sie gegen den Zwerg stieß, als dieser innehielt.

      »Das nächste Stück ist ein bisschen steil«, sagte er. »Ich werde dich anseilen.« Er drehte sich zu ihr, die sich an den Fels klammerte, nahm eines der Seile und legte es ihr um.

      »Thork«, murmelte sie, während er einen komplizierten Knoten in das Seil schlang. »Ich glaube, ich muss es tun.«

      »Was?«, fragte er.

      »Nach unten sehen«, sagte sie, und er lächelte.

      »Das muss man am Anfang immer. Ist das schwerste am Bergsteigen, sich das abzugewöhnen. Dann tu es jetzt, damit du es hinter dir hast.«

      Sie riskierte einen vorsichtigen Blick. Übelkeit stieg in ihr hoch, ihre Handflächen wurden plötzlich kalt und glitschig vor Schweiß. Ihr Herz hämmerte, Blut rauschte in ihren Ohren.

      »Götter«, murmelte sie und presste sich gegen den Fels.

      »Ganz ruhig«, sagte der Zwerg, und sein Tonfall erinnerte sie daran, wie sie mit dem Schwarzen sprach, wenn er sich aufregte. »Du machst das gut, Prinzessin.«

      »Wirklich?«, murmelte sie.

      »Wirklich. Jetzt pass auf. Ich werde bis zu diesem Felsen hinauf steigen«, er deutete mit dem Finger und sie folgte zögernd mit dem Blick, »während du hier stehen bleibst und dich nicht vom Fleck rührst, verstanden? Sieh mir genau zu, wohin ich greife. Wenn ich dort oben bin, kletterst du mir nach.«

      »Und wenn mir irgendetwas passiert in der Zwischenzeit?«

      »Was soll dir passieren?«, fragte er und wirkte immer


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