Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic
verließen. Er begann, stumm zu beten.
Als der Sturm Liannas Aufschrei zu ihm trug, war es bereits zu spät. Er warf sich nach vorne gegen den Hang, versuchte, mit Händen oder Füßen sicheren Halt zu finden, doch der Ruck kam zu plötzlich und holte ihn von den Füßen. Er überschlug sich, landete bäuchlings und wurde von ihrem Gewicht mitgerissen. Hässlich schabte sein Kettenhemd am felsigen Untergrund entlang. Die Worte seines Gebets verschwanden aus seinem Kopf.
Er hörte Lianna erneut schreien. Gleich darauf verlor er den Kontakt zum Fels.
Er fiel.
Ehe er begriffen hatte, dass er fiel, kam auch schon der Aufprall. Scheppernd und klirrend landete er auf dem Fels und blieb liegen, für einen kurzen Augenblick betäubt.
»Lianna«, murmelte er und tastete nach dem Seil. »Bist du da? Alles in Ordnung?«
»Schau mal«, hörte er ihre Stimme. »Den Dummen hilft das Glück.«
Thork öffnete sein Auge und zwang seinen zerschlagenen Körper zur Bewegung.
Sie waren über eine kleine Felsnase auf einen darunter gelegenen Vorsprung gestürzt. Hier befand sich eine Vertiefung im Fels, die den Namen »Höhle« nicht verdiente, aber Schutz vor Wind und Regen bot.
»Nicht das Glück«, widersprach er, brachte sich auf die Knie und wälzte sich in den kleinen Schutzraum. »Gròr.«
»Und er hat gleich noch dafür gesorgt, dass du nicht mit Kettenhemd und Axt auf mich drauf fällst. Wie nett von ihm.« Lianna kauerte sich dicht an den Fels. Ihr Lächeln wirkte gequält. Ein Vorhang aus Wasser schnitt sie beide von der restlichen Welt ab.
»Alles in Ordnung?«, wiederholte er seine Frage.
»Ich weiß nicht«, sagte sie unsicher. »Ich glaube schon.«
»Schmerzen?«
»Natürlich! Überall. Ich bin den ganzen Tag geklettert und zweimal abgestürzt.«
Ein Blitz erhellte ihren Unterschlupf. Beim darauf folgenden Donner duckten beide sich gegen den Fels.
»Ist das die Höhle, von der du vorhin gesprochen hast?«, fragte sie.
»Nein«, sagte er.
Sie legte ihren Rucksack ab und rieb sich die Arme.
»Es gibt gar keine Höhle, nicht wahr? Du hast sie erfunden.«
Thork nickte. Sie schwieg und sah hinaus in den Regen.
»Mir ist so schrecklich kalt«, sagte sie nach einer Weile. Im Licht des Steins, den sie irgendwie über den Sturz gerettet hatte, schimmerte ihr Gesicht wie frisch gefallener Schnee. »Kannst du nicht Feuer machen?«
»Feuer nicht«, sagte er. »Nicht ohne Holz jedenfalls. Ein bisschen Wärme, vielleicht.«
Sein Körper und sein erschöpfter Geist sträubten sich gegen die Anstrengung. Seine Kraftquelle schien versiegt, er fühlte sich leer und ausgebrannt. Er richtete den Blick auf ihr weißes Gesicht und grub tief in seinem Inneren. Eine Kugel aus reiner Energie erschien zögernd auf seiner ausgestreckten Handfläche, nicht besonders groß und eher mäßig warm, und sie flackerte wie ein verängstigtes Irrlicht. Er setzte die Kugel auf einen Felsbrocken, und sie versickerte in ihm. Gleichzeitig wurde der Felsbrocken warm.
»Es tut mir leid«, sagte er verzweifelt. »Das ist alles.«
Sie rückte näher und hielt die Hände darüber wie über ein Lagerfeuer.
»Es ist alles, was wir haben«, sagte sie. »Schau mich an. Ich habe nichts. Ein paar Fackeln, aber die kannst du vergessen. Die werden wahrscheinlich bis zum nächsten Sommer brauchen, bis sie trocken sind. Genau wie ich«, fügte sie schaudernd hinzu. »Götter, ich glaube, ich war noch nie so nass.«
Er hielt die Wärme aufrecht, solange er konnte, doch schließlich kühlte der Stein aus. Kurz darauf entwich auch der letzte Zauber aus dem Lichtstein, und Dunkelheit hüllte sie ein. Draußen heulte der Sturm und peitschte einzelne Regenschauer bis in die hinterste Ecke ihres Unterstandes.
»Na, macht nichts«, sagte sie mit der Stimme eines Kindes, das sich im dunklen Keller Mut macht. »Irgendwann muss es wieder hell werden.«
Er sah zu ihr hinüber, die sich eng in ihren durchnässten Umhang gewickelt und an die Felswand gekauert hatte. Sie hatte die Augen geschlossen. Er sah, wie ihr schmaler Körper zitterte. Ihm selbst erging es nicht besser. Der Fels schien ihm die Reste seiner Körperwärme auszusaugen, und die nassen Kleider klebten an ihm wie die kalte, tote Berührung eines Geistes. Er hatte in dem engen Unterschlupf den größtmöglichen Abstand zu ihr eingenommen, der Gewohnheit folgend. Er maß den Sicherheitsabstand mit dem Blick ab und biss sich auf die Unterlippe, dass es schmerzte. Er war nicht in der Lage, seinen Körper auch nur ein winziges Stück zu ihr zu bewegen.
»Deine Wärmekugel war wirklich schön«, sagte sie, und er schrak auf. Sie hatte die Augen geöffnet und sah an ihm vorbei, er erinnerte sich, dass sie blind sein musste in der Dunkelheit. »Aber ich friere immer noch.«
»Es tut mir leid«, sagte er. »Ich kann keine neue beschwören. Ich müsste ein viel mächtigerer Priester sein, um das unter diesen Umständen zu vollbringen.«
»Ich verlange ja auch nicht, dass du das tun sollst«, sagte sie.
Sein Herz schlug ihm mit einem Mal bis in den Hals.
»Was würde denn passieren?«, fragte sie.
»Ich weiß nicht, was du meinst«, murmelte er schwach.
Sie richtete sich auf und wandte sich ihm zu, die Arme fest um die Knie geschlungen.
»Wenn wir uns gegenseitig wärmen würden«, sagte sie.
Er suchte nach Herablassung oder Herausforderung in ihrer Stimme und fand nichts.
»Du musst mich nicht für blöd halten«, sagte sie. »Du vermeidest es, mich zu berühren, als hätte ich eine ansteckende Krankheit. Ich finde das sehr irritierend.«
»Aha«, sagte er und heftete den Blick auf den Regenvorhang.
»Bist du eigentlich verheiratet?«, fragte sie.
»Nein.«
»Verliebt?«
»Nein!«
»Aber du hast es doch schon mal mit einer Frau getan?«
Er schloss sein gesundes Auge und wünschte sich verzweifelt, mit dem Fels zu verschmelzen.
»Ich diskutiere so etwas nicht«, sagte er. »Es geht dich nichts an.«
»Wie alt bist du?«
Er seufzte tief. »Einhundertvierzehn.«
Er hörte ihr perlendes Lachen, unpassend an diesem unwirtlichen Ort.
»Ich will für dich hoffen, dass du nicht all diese Jahre gelebt hast wie ein Eremit«, sagte sie. »Oder schreibt dir dein Orden so etwas vor?«
»Nein.«
»Na also. Wo ist dann dein Problem?«
»Ich habe kein verdammtes Problem«, polterte er und hörte selbst, dass es wenig überzeugend klang.
Sie kicherte, und er fragte sich, woher sie nach allem, was sie hinter sich gebracht hatte, schon wieder all die Energie nahm.
»Na, dann ist ja gut«, sagte sie.
Ein neuer Blitz erhellte ihren Unterschlupf. Thork zählte in Gedanken die Zwergenfeiertage ab. Er kam bis Weltenschmiede, bevor der Donner ertönte. Das Gewitter entfernte sich allmählich.
»Also«, sagte sie, als der Donner verklungen war. »Ich komm dann mal rüber zu dir. Nicht weglaufen, hörst du?«
Sein Körper versteifte sich, bis er das Gefühl hatte, direkt aus dem ihn umgebenden Stein herausgehauen worden zu sein. Dann spürte er Bewegung an seiner Seite, eine tastende Hand auf seinem Arm, eine Schulter an der