Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic
Varellan sind die wichtigste Sippe nach den Ranessa, und Ariks Vater ist das Oberhaupt. Ich glaube, es wurde schon beschlossen, dass wir heiraten sollen, als wir noch in der Wiege lagen.«
»Ist es üblich bei den Menschen, dass die Eltern die Ehen der Kinder beschließen?«
»Nein, aber ... du verstehst das nicht! Ich bin die wichtigste Frau aller Sidarthi. Ich kann nicht irgendeinen dahergelaufenen Pferdehirten heiraten! Ich brauche einen Mann mit ... mit Größe. Der tanzen kann. Mit Pferden, die so gut sind wie meine eigenen. Zumindest beinahe. Der mir etwas bieten kann. So wie Arik. Arik ist reich und wunderschön, und er tut wirklich alles für mich. Ihm ist nichts wichtiger, als mich glücklich zu machen.«
»Verstehe«, sagte er mühsam.
»Das glaube ich nicht«, sagte sie. »Ich glaube, du hältst mich für oberflächlich.«
»Ich halte dich für sehr jung.«
»Ich bin nicht oberflächlich, Thork.«
»Ich weiß.«
»Ich bin nur ... ich weiß nicht. Jeder wächst in sein Leben hinein, oder nicht?«
»Ja, Prinzessin. Die Götter setzen jeden an seinen Platz.«
»Und man kann nicht weg ... oder?«
»Nein.«
Sie nickte und blinzelte etwas aus ihren Augen.
»Hab ich mir gedacht.«
Für einen Augenblick blieb er stehen und ließ sie an sich vorbei. In ihren Bewegungen lag eine Härte, und sie trat polternd einen Stein zu Tal, und Thork arbeitete gegen einen Schmerz, dem er keinen Namen geben wollte.
Am Nachmittag des gleichen Tages stießen sie auf den Troll.
Sie wurden aufmerksam, als plötzlich ein kleiner Hagel aus Kieselsteinen und kleineren Gesteinsbrocken auf sie herunterprasselte. Sie schützten ihre Köpfe und duckten sich, und Thork, der voran gestiegen war, versuchte, mit seinem breiten Rücken möglichst viel von Lianna fernzuhalten. Kaum war der Steinhagel zu Ende, drehte er sich nach oben und spähte mit höchster Anspannung hinauf.
»Was ...«, setzte Lianna an, doch er brachte sie mit einer Geste zum Schweigen.
Die Hände zu Hilfe nehmend, schloss sie zu ihm auf und sah ihn fragend an.
»Jemand hat das losgetreten«, sagte er leise. »Jemand, der groß ist und schwer. Das könnte ich schwören.«
Sie zog scharf die Luft durch die Zähne.
»Dann ist unsere Jagd endlich erfolgreich.«
»Erfolg haben wir erst, wenn er tot zu unseren Füßen liegt«, widersprach Thork grimmig.
»Ich gehe nachsehen«, erbot sie sich. »Du weißt, dass ich sehr leise sein kann, wenn ich will.«
»Viel zu gefährlich«, wehrte er ab. »Ich konnte dich hören, als du um mein Lagerfeuer geschlichen bist.«
»Ich lasse alles hier, was Lärm macht. Rucksack, Schwert und diese komischen Steigeisen.«
»Kommt nicht in Frage. Was, wenn er dich findet, und sei es nur durch einen Zufall?«
Sie lächelte trotz der angespannten Situation. »Dann verlasse ich mich darauf, dass ein Zwergenkrieger mir rechtzeitig beispringt.«
»Nein«, sagte er unbeirrt. »Wir gehen gemeinsam, oder gar nicht.«
»Thork«, beharrte sie. »Du bist ein hervorragender Bergsteiger, aber selbst ein tauber Troll mit verstopften Ohren würde dich herankommen hören. Ich will erst sehen, woran wir sind.«
»Aber ...«, begann er seinen Widerspruch, doch sie ließ die Tragriemen ihres Rucksackes von den Schultern gleiten, gürtete ihr Schwert ab und drückte es ihm in die Hand. Dann drehte sie sich um und entfernte sich kletternd zwischen den Gesteinsbrocken. Er umklammerte den Griff ihres Schwertes, sah ihr nach und konnte sich plötzlich vorstellen, wie Prinz Arik seiner Verlobten hinterher gestarrt hatte, als diese losgeritten war, um einen Troll zu jagen.
Sie war nicht lange weg, doch die Zeit dehnte sich für ihn zu einer Ewigkeit. Er atmete auf, als er sie schließlich ein Stück hangaufwärts zwischen den Felsbrocken sah, wie sie ihm zuwinkte.
So schnell und leise es ihm möglich war, schloss er zu ihr auf.
»Er ist es«, flüsterte sie ihm ins Ohr, und trotz der angespannten Lage fühlte er überdeutlich ihr Haar an seiner Wange. »Götter, er ist riesig! Er sitzt da oben im Fels, am Eingang zu einer Höhle, und es liegen einige Schratleichen herum, und aus der Höhle stinkt es, du machst dir keine Vorstellungen! Etwas muss darin verrotten, denn die Schratleichen sind es nicht, sie sind noch nicht lange genug tot. Das Gelände ist einigermaßen eben dort. Alles in allem gar kein schlechter Kampfplatz. Ich glaube, sein Bein ist verletzt, vielleicht aus dem Schratkampf. Es sieht komisch aus.«
»Das verschafft uns einen Vorteil. Ist er bewaffnet?«
»Nicht mit Keule oder Schwert, wenn du das meinst. Aber er hat wirklich eklig aussehende Krallen.«
»Von denen ihm an der linken Hand zwei fehlen dürften.«
»Woher weißt du das?«, fragte sie erstaunt.
»Ich habe sie ihm damals abgeschlagen«, erklärte er nicht ohne Stolz. »Lässt das Gelände es zu, dass wir ihn von zwei Seiten gleichzeitig angreifen?«
»Ich könnte seine Position umrunden. Allerdings habe ich nichts von dem dortigen Gelände erkennen können. Ich weiß nicht, in welche Schwierigkeiten es mich vielleicht bringen könnte.«
»Zu gefährlich«, entschied er. »Wir werden uns ihm so weit wie möglich nähern und uns dann kurz vorher aufteilen. Und denk daran, dass seine Haut zäh ist. Du musst viel Kraft in deine Schläge legen.«
»Das weiß ich«, schalt sie ihn. »Ich habe mich schließlich informiert!«
»Dann bringen wir es zu Ende«, sagte er. Er fühlte sich ruhiger jetzt als den ganzen Tag über, ruhiger als die Tage zuvor. Sein Geist war klar, seit er ihn auf dieses Ziel richten konnte. Verwirrung und Verzweiflung waren einer tiefen Entschlossenheit gewichen.
»Ja«, sagte sie. »Bringen wir’s zu Ende.«
Für einen Augenblick hielten sie beide noch inne, sahen sich in die Augen, er hatte die kurze Empfindung, sie würde erwarten, dass er noch etwas sagte, doch die Worte fehlten ihm, und er schwieg. Ihr Gepäck ließen sie zurück, dann begannen sie den letzten Aufstieg.
Als sie die Höhle schließlich erreichten, war von dem Troll nichts zu sehen. Hoch und dunkel wie das Maul eines Drachens gähnte der Höhleneingang im Fels. Davor und auch im Eingang selbst lagen Schratleichen verstreut, sechs an der Zahl, ihre zerschmetterten Schädel und verdrehten Gliedmaßen zeugten von ihrem gewaltsamen Tod. Dunkles Blut war auf dem Stein getrocknet, und betäubender Verwesungsgestank lag über allem.
»Er muss sich in die Höhle zurückgezogen haben«, flüsterte Lianna, die das Gelände mit dem Blick absuchte. »Wir müssen ihn irgendwie rauslocken! Ich kann nicht kämpfen da drin.«
»Auch ich möchte nicht in einer Höhle kämpfen, die ich nicht kenne, wenn es sich vermeiden lässt«, bestätigte Thork, ebenso flüsternd. »Wir sollten uns auf die Lauer legen und ihn überraschen, wenn er wieder herauskommt.«
»Und wenn die Höhle einen Hinterausgang hat?«
»Das hat sie wahrscheinlich, aber keinen, durch den ein Troll passen würde.«
»Ich bin trotzdem dagegen«, erklärte Lianna, immer noch leise. »Er könnte bis zum Abend drin bleiben, und dann wird es dunkel.«
»Was schlägst du also vor?«
»Wir schreien einfach so lange herum und machen Lärm, bis er rauskommt, um nachzusehen«, sagte Lianna. »Trolle sind dämlich, oder? Die einfachsten Pläne sind in solchen Fällen die besten.«
»Einverstanden.