Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic

Feuerjäger: Sammelband - Susanne Pavlovic


Скачать книгу
niedersausen, immer wieder, bis Knochen barsten, durchtrennte Haut und Sehnen, bis schließlich der Kopf vom Körper abriss, einige Schritte rollte, auf abschüssiges Gelände geriet und, mit hohlem Geräusch vom Fels abprallend, aus Thorks Blick verschwand.

      Thork ließ das Schwert fallen und brach in die Knie. Blut rauschte in seinen Ohren, sein Herz hämmerte, als wolle es seinen Brustkorb zum Bersten bringen, er keuchte und schien gar nicht genug Luft in seine Lungen füllen zu können. Schmerz überflutete ihn, doch schlimmer war das Bild von Liannas lebloser Gestalt vor seinem inneren Auge. Auf allen Vieren schleppte er sich hinüber zu dem Fels, wo sie lag.

      Es schien kein Funken Leben mehr in ihr zu sein. Ihr Gesicht war still und von unnatürlich wächserner Farbe, die Lippen bläulich, Blut lief ihr aus Nase und Mund und zeichnete glänzend rote Linien quer über ihre Wangen. Ihr Körper war unnatürlich verdreht und von Wunden bedeckt, aus denen in stetigem Strom Blut floss.

      Er flüsterte ihren Namen, beugte sich über sie und versuchte, festzustellen, ob sie noch atmete, aber sein eigenes Herz schlug viel zu laut.

      »Lianna«, flüsterte er, »Prinzessin«, und er nahm ihren zerschlagenen Körper von dem harten Fels und bettete sie in seinen Armen und hielt sie fest, wie man ein verängstigtes Kind festhält. Und während ihm Tränen die unversehrte Wange hinunter liefen und in ihrem Haar versickerten, sammelte er alle göttliche Kraft, die er in sich aufbringen konnte, und schickte Heilung durch ihren misshandelten Körper, und als der Strom versiegte, grub er tiefer in sich und ließ die verstecktesten Reste aus sich heraus strömen, bis er ausgeblutet und leer und im Innersten erschöpft über ihr zusammenbrach.

      Und tatsächlich schlossen sich ihre Wunden, ihr Körper heilte, und Farbe kehrte in ihr blasses Gesicht zurück. Ihr Atem ging wieder tief und regelmäßig.

      Er sah hinunter in ihr friedliches Gesicht und wischte mit dem Ärmel das Blut von ihren Wangen. Die Verzweiflung wich und machte tiefer Dankbarkeit Platz.

      »Ich liebe dich«, sagte er in ihr stilles Gesicht und wusste gleichzeitig, dass dies die einzig wahrhaftige Antwort war auf all die Fragen, vor denen er sich so gefürchtet hatte, und er nahm es hin und quälte sich nicht länger.

      Zu seiner Überraschung breitete sich ein Lächeln von ihren Lippen über die Grübchen in ihren Wangen bis hin zu den geschlossenen Augen aus.

      »Ich weiß«, flüsterte sie.

      Eine Stunde später hatte sich Liannas Zustand gebessert. Sie konnte vorsichtig aufstehen und Thork bei der Suche nach seiner Axt unterstützen, die weit hangabwärts gerutscht war und sich dann glücklicherweise im Geröll verkeilt hatte.

      Der Zwerg selbst wurde nur noch von seinem Starrsinn aufrecht gehalten. Sein Körper fühlte sich gänzlich zerschlagen an, jede Bewegung schickte eine neue Schmerzwelle durch seine Schulter. Dunkle Flecken der Erschöpfung trübten seine Sicht. Sie verließen den Kampfplatz, ohne sich umzudrehen.

      Sie holten ihr Gepäck aus der Felsnische, in der sie es gelagert hatten, und legten eine kurze Wegstrecke zu einem kleinen, klaren Gebirgsbach zurück, um sich das Trollblut abzuwaschen. Das Gewicht seines Rucksackes zwang Thork fast zu Boden. Er taumelte, Steine lösten sich unter seinen Stiefeln und kullerten zu Tal, während er im letzten Augenblick Halt im Fels fand.

      »Was ist mit dir?«, fragte Lianna besorgt. »Dein Gesicht ist so grau wie der Stein hier.«

      »Es geht mir gut«, stieß Thork zwischen aufeinandergepressten Kiefern hervor.

      »Ich habe dir schon einmal gesagt, dass du ein schlechter Lügner bist«, tadelte sie. »Schaffst du es bis zum Bach? Gib mir deinen Rucksack.«

      »So weit kommt’s noch«, knurrte er wild.

      Sie sah ihn an und seufzte. »Dann trag ihn selbst. Ich hoffe, dein blöder Zwergenstolz ist es wert, daran zu Grunde zu gehen.«

      Den Rucksack hinter sich her ziehend, schaffte er es, die Strecke bis zum Ufer des Bächleins zurückzulegen, wo er mit einem Stöhnen zusammenbrach. Lianna hatte mittlerweile ihren leichten Lederpanzer abgelegt, ebenso die wattierte Weste, die sie darunter trug, und die Ärmel ihres Hemdes hochgerollt. Prustend spritzte sie sich von dem eiskalten Wasser ins Gesicht und wusch sich Blut und Schweiß ab. Dann richtete sie sich auf und kam zu ihm herüber, in der Hand eine hölzerne Trinkschale, die sie ihm reichte. Er trank durstig.

      »Es war gefährlich, was du da getan hast«, sagte er, als die Schale leer war, und wischte sich Tropfen aus dem Bart.

      »Einen Troll jagen?«, lachte sie. »In der Tat, ja, das würde ich als gefährlich bezeichnen.«

      »Du weißt, was ich meine«, sagte er ernst. »Du hättest das nicht tun sollen.«

      »Was denn sonst?«, fragte sie, ein vergessenes Lächeln in den Mundwinkeln, während ihre Augen ernst wurden.

      »Dich zurückziehen«, sagte er. »Es war in der Situation nicht mehr zu erwarten, dass ich überleben würde, geschweige denn noch einmal in den Kampf eingreifen könnte. Du musstest damit rechnen, ihn alleine gegen dich zu haben, und das hätte dich zum Rückzug bewegen müssen.«

      »Unsinn«, sagte sie mit Entschiedenheit. »Es ist eine alte Kriegsregel, dass der Priester nach Möglichkeit zuletzt stirbt. Wer sonst sollte die Götter um ein Wunder anflehen, falls eines nötig wird?«

      »Dein Vertrauen in die Götter in allen Ehren«, sagte er, »aber so einfach ist das nicht mit den Wundern. Sie sind so selten, dass man sich nicht darauf verlassen kann.«

      »Trotzdem«, sagte sie. »Ich konnte es nicht einfach mit ansehen.«

      Sie war nah vor ihm, er spürte ihren Atem auf der Wange. Ihre Zähne schimmerten zwischen den halb geöffneten Lippen. Sein zerschlagener Körper reagierte auf ihre Nähe, durchflutete ihn mit Wärme, seine Haut begann zu prickeln. Sie schloss die Augen, brachte ihr Gesicht noch näher an seines. Seine Hände, die ihm plötzlich ungeschlacht und klobig vorkamen, landeten unbeholfen auf ihren Schultern. Dann spürte er, wie ihre Lippen seine vernarbte Wange streiften und eine Serie kleiner Küsse darauf verteilten. Er konnte sich nicht erinnern, jemals eine so zarte Berührung erfahren zu haben. Er schluckte hart.

      »Er hat dir schon genug weh getan«, flüsterte sie an seinem Ohr.

      »Es war so knapp«, sagte er heiser. »Ich konnte dich fast nicht mehr zurückholen.«

      »Aber hier bin ich«, sagte sie und klang plötzlich wieder ganz sachlich. »Alles ist gut.« Sie richtete sich auf, entzog sich ihm, und erschreckt nahm er seine Hände von ihren Schultern. »Und jetzt«, verkündete sie, »werde ich mir deine Verletzungen ansehen. Warum heilst du dich eigentlich nicht selber?«

      »Ich kann nicht mehr. Ich muss mich erst erholen. Morgen vielleicht.«

      Sie schüttelte verständnislos den Kopf. »Ihr habt das schon komisch eingerichtet, ihr Priester.«

      »Ich erkläre dir das ein andermal«, sagte er und hoffte, dass seine Stimme energisch genug klang.

      Sie kniete sich neben ihn und besah sich seine Schulter.

      »Das sieht schlimm aus. Wir müssen dir das Kettenhemd ausziehen.«

      »Ich komme klar«, sagte er äußerst reserviert. »Danke. Ich kümmere mich selbst darum.«

      »Es ist deine linke Schulter, mit Verlaub. Du kannst sie höchstens zur Hälfte sehen.«

      »Ich muss sie nicht sehen. Ich kann sie fühlen.«

      Entnervt verdrehte Lianna die Augen.

      »Dein Kettenhemd ist zerfetzt. Viele Ringe haben sich aufgebogen und sind jetzt ziemlich scharfkantig. Und sie stecken nicht nur in deinem Waffenrock, sondern auch, mit Verlaub, in dir. Dann gibt es da noch jede Menge kleine Stofffetzen von deinem Hemd, ein paar kleine Steinchen, jede Menge Dreck und so viel Blut, dass man meinen könnte, jemand hätte ein Schwein abgestochen. Und jetzt sag mir, dass du das alleine hinkriegst, mit einer Hand, ohne etwas zu sehen?!«

      Er stöhnte gequält. Er fühlte sich überfordert.


Скачать книгу