Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic
willst doch sicher auch Kinder, oder nicht?«, fragte sie.
»Ich weiß nicht. Ich habe mir in den letzten sechzig Jahren keine Gedanken darüber gemacht.«
»Ich will Kinder. Irgendwann mal, jedenfalls. Mach ihn nicht so stark, ja?«
»Was?«
»Den Tee. Du weißt, ich hasse es, wenn er so bitter ist.«
Vorsichtig, um möglichst alle Teeblätter im Topf zu belassen, ließ er Tee in eine Holzschale laufen und gab sie ihr hinüber, zusammen mit einem Beutelchen, das einen letzten Rest getrockneten Honig enthielt. Sie süßte den Tee und nahm einen Schluck, bevor sie weiter sprach.
»Was ich aber am wenigsten ertragen könnte, ist, zu erleben, wie ich alt werde, und du nicht. Du wirst dich in sechzig oder siebzig Jahren nicht sehr verändert haben. Wenn ich das recht verstanden habe, ist hundertsiebzig kein Alter für einen Zwerg. Ich werde in sechzig Jahren tot sein. Verstehst du, was ich meine?«
»Ja«, sagte er.
»Ich werde Falten kriegen und graue Haare. Die Zähne werden mir ausfallen. Ich werde vergesslich werden und zum Gehen einen Stock brauchen.«
»Ist mir egal.«
»Mir aber nicht. Wenn es schon so kommen muss, will ich wenigstens jemanden an meiner Seite haben, dem es ebenso ergeht.«
»Dann geh und heirate Arik«, sagte er, und jedes einzelne Wort zog ihn in die Tiefe, als würde er mit bleiernen Stiefeln in einem See versenkt.
»Ja«, sagte sie. »Ich glaube, das muss ich wirklich tun.«
Er goss sich Tee ein und trank, ohne die geringste Lust darauf zu verspüren. Das Feuer knackte und wärmte sein Gesicht, während die Kälte ihm zwischen den Schulterblättern saß.
»Hast du keine Argumente?«, fragte sie ihn nach einer Weile fast flehend. »Alles, was du sagst, kommt auf ein lass uns einfach sehen, wie es wird hinaus. Ich kann doch nicht auf dieser Grundlage mein Leben aufgeben!«
Er überlegte, ob ich liebe dich, du machst mich heil ein Argument in ihrem Sinne war, verwarf es aber.
»Ich habe keine«, sagte er, und Dunkelheit legte sich über ihn. Sie hatte recht mit allem, und er hätte ihre Liste beliebig verlängern können, zum Beispiel fehlte in ihrer Aufzählung der Hinweis darauf, dass eine Frau wie sie unmöglich dauerhaft mit einem wie ihm glücklich werden konnte, einem groben, gesellschaftsscheuen, versehrten Zwerg, der nicht in der Lage war, ihr seine Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Er stellte sich vor, dass Arik darin besonders gut war, ein weltgewandter Prinz, groß und selbstbewusst, er konnte tanzen und reiten und sie zum Lachen bringen und mit ihrer Lebenslust Schritt halten. Arik war genau das, was sie brauchte, und er selbst war es nicht.
»Du musst zurückgehen«, sagte er. »Du würdest irgendwann unglücklich werden mit mir, und dafür kann ich die Verantwortung nicht tragen. Du kennst mich kaum. Du kannst nicht dein Leben wegwerfen für eine flüchtige Begegnung.«
»Eine flüchtige Begegnung«, wiederholte sie. »Ich höre wohl nicht richtig! Das ist es für dich gewesen?«
»Nein«, sagte er verzweifelt. »Nicht für mich. Aber für dich sollte es das sein. Wie lange ist es her, seit wir uns getroffen haben? Drei Wochen? Kaum länger jedenfalls. Überleg doch mal. Drei Wochen gegen ein ganzes Leben.«
»Aber du würdest es doch auch tun.«
»Das ist etwas anderes. Ich habe nichts zu verlieren. Du schon.«
»Ich hatte eigentlich gedacht, du würdest mir eine Trennung ausreden wollen, nicht mich dazu ermutigen!«
»Ich kann nicht«, sagte er, und seine Hände zitterten so sehr, dass heißer Tee aus seiner Teeschale schwappte und ihm über die Finger lief. »Ich kann nicht.«
»Dann ist es entschieden«, stellte sie fest, ihre Stimme klang fast normal, und er nickte und wusste, er besiegelte damit sein Unglück.
Sie stand auf und ging hinüber zu dem Schwarzen, der einen halben Steinwurf entfernt angebunden stand. Thork sah zu, wie sie ihn streichelte und seine Mähne ordnete, und er hörte sie leise auf Welsch zu dem Tier sprechen, und obwohl er die Worte nicht verstand, hörte er doch den Schmerz, der jetzt in ihrer Stimme war, und es brachte ihn fast um.
Sie sattelte den Schwarzen und verstaute ihr Gepäck in den Satteltaschen. Er sah ihr zu. Die Anzahl der Atemzüge, bis sie aus seinem Blick verschwunden sein würde, war plötzlich überschaubar. Die Zeit verstrich, und er konnte sie nicht festhalten, sie rann ihm durch die Finger wie der verschüttete Tee. Er versuchte, sich jede Einzelheit ihrer Erscheinung sorgfältig einzuprägen, um ihr Bild möglichst lang lebendig halten zu können, doch er konnte sich nicht konzentrieren, es war, als hätte jemand einen Schleier über sein Auge gelegt.
»Ich will dich noch einmal zeichnen«, sagte er. »Als Erinnerung.«
»Nein. Ich muss aufbrechen.«
»Dann ... lass uns doch noch ein Stück zusammen gehen. Niemand sagt, dass wir uns jetzt und hier trennen müssen.«
Sie schwang sich auf ihr Pferd und brachte sich damit außer Reichweite für ihn.
»Thork«, sagte sie wütend, während gleichzeitig Tränen über ihre Wangen liefen. »Wir haben entschieden, dass es endet. Also soll es auch enden, und zwar jetzt und hier. Ich halte nichts davon, unser Leid unnötig zu verlängern. Bringen wir es hinter uns, ja?«
Er nickte, er konnte nicht sprechen.
»Lebwohl«, sagte sie, »und danke für alles.«
»Lebwohl«, zwang er über seine Lippen, in seinem Inneren herrschte fassungsloses Entsetzen, dass es jetzt also tatsächlich so weit war, dass ihre Wege sich trennten, dass sie belanglose Abschiedsworte tauschten wie zwei Fremde, wo es doch noch so viel gab, was er ihr sagen wollte, er brauchte nur ein wenig Zeit, die richtigen Worte zu finden. Sie konnte doch nicht so einfach davon reiten mit einem simplen »Lebwohl«, ohne dass er sie ein letztes Mal hätte küssen können, ihr Haar durch seine Finger gleiten lassen, ein letztes Mal ihren Duft in sich aufnehmen, ein letztes Mal ihr Lachen hören, er wusste, dass er am meisten von allem ihr Lachen vermissen würde.
Sie wendete den Schwarzen und stieß ihm die Fersen in die Flanken, sodass er empört schnaubend vorwärts schoss und mit seinen gewaltigen Hufen Erde über Thorks Stiefel schaufelte.
Thork saß reglos, bis Pferd und Reiterin aus seinem Blick verschwunden waren, und auch danach saß er lange, ohne sich zu bewegen. Viel später erhob er sich, umrundete das mittlerweile niedergebrannte Feuer und hob die Schale vom Boden auf, aus der sie ihren Tee getrunken hatte, und seine Finger strichen über den Rand, während er sie lange betrachtete. Und wiederum viel später brach die Verzweiflung aus ihm, er rannte gegen eine mächtige, alte Buche an und bearbeitete den glatten Stamm mit den Fäusten, bis Blut die silbrige Rinde färbte.
Lianna ritt, so schnell der Untergrund es erlaubte. Der Schwarze spürte offenbar, dass es nun auf direktem Weg heimwärts ging, und drängte ungeduldig gegen den Zügel. Nach etwa einer Stunde kam sie auf eine Straße, die in ihre Richtung führte, und verschärfte ihr Reisetempo, als könne sie dem Aufruhr in ihrem Inneren entkommen. Von einem Augenblick zum nächsten wurde Verzweiflung von Wut und Wut von Trauer abgelöst. Sie hatte nicht im entferntesten damit gerechnet, dass er ihr empfehlen würde, zu Arik zurückzukehren. Einerseits hatte er ihr damit die Entscheidung erleichtert, sie aber andererseits empfindlich in ihrem Stolz getroffen. Sie hatte eine große, schmerzhafte Abschiedsszene erwartet und nicht, dass er sie einfach davonreiten ließ. Er hatte ja nicht einmal versucht, sie aufzuhalten. Vielleicht war er ja sogar froh gewesen, sie endlich los zu werden. Doch so sehr sie sich auch bemühte, sich dies einzureden, denn es hätte ihr einen Grund gegeben, ihn zu hassen, so konnte sie es doch nicht glauben, zu nah war sie ihm gewesen in den vergangenen Tagen. Es musste ihn alles gekostet haben, sie gehen zu lassen.
Aus vollem Tempo hielt sie den Schwarzen an, sodass seine Hufe auf der aufgeweichten Straße eine tiefe Furche zogen. Sie musste umkehren, sie ritt in die falsche Richtung,