Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic

Feuerjäger: Sammelband - Susanne Pavlovic


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Haar glänzte, und sein langer Bart war sorgsam gezwirbelt und geflochten. In seinem Gesicht war völlige Überraschung zu lesen.

      »Nardon! Was für … Ja, wie … Woher …«

      »Hallo, Lomir«, sagte Nardon. »Ich war gerade in der Gegend und dachte, ich sehe mal rein.«

      »Was für eine Überraschung«, sagte Lomir, und ein Strahlen breitete sich über sein Gesicht aus. »Nardon, alter Freund! Komm in meine Arme!«

      Ehe Nardon es verhindern konnte, wurde er in eine Umarmung gezogen, die ihm die Rippen quetschte und ihm versicherte, dass sein Freund nichts von seinen Bärenkräften eingebüßt hatte.

      »Wie geht es dir?«, fragte Lomir, und Nardon war froh, als er ihn wieder losließ. »Komm rein! Komm rein! Meine Güte, wie lange ist es her?«

      »Zehn Jahre vielleicht.« Nardon folgte Lomir in eine geräumige Eingangshalle und von dort aus in einen komfortabel eingerichteten Wohnraum. Ein Feuer prasselte in dem gemauerten Kamin, farbenfrohe Teppiche bedeckten die hellen gescheuerten Dielen, und das warme Nachmittagslicht fiel durch die dicken gläsernen Fensterscheiben und leuchtete von den weiß gestrichenen Wänden wider.

      »Fensterglas sogar«, sagte Nardon bewundernd. »Bei dir muss der Reichtum ausgebrochen sein, alter Freund.«

      »Ich kann nicht klagen.« Lomir lächelte bescheiden. »Die Geschäfte laufen sehr gut. Obwohl ich es noch nicht Reichtum nennen würde.«

      Mit einem erleichterten Aufstöhnen nahm Nardon den schweren Rucksack von den Schultern, legte seinen Reisemantel ab und sank auf einen der gepolsterten Stühle, die um einen großen Tisch herum standen.

      »Tee?«, fragte Lomir. »Etwas zu essen? Brot und Schinken und ein paar hart gekochte Eier zum Beispiel?«

      »Ja«, sagte Nardon dankbar. »Genau in dieser Reihenfolge.«

      Als er Nardon mit allem versorgt hatte, nahm Lomir ihm gegenüber Platz und sah ihn erwartungsvoll an.

      »Wie die Zeit vergeht«, sagte er. »Sind es wirklich schon zehn Jahre? Was hast du gemacht in dieser Zeit? Als wir zuletzt in Kontakt standen, warst du an den Ausgrabungen dieser Grabanlage beteiligt.«

      »Shakhs Grabmal«, sagte Nardon zwischen zwei Bissen. »Ich war der wissenschaftliche Berater der Ausgrabung. Ich war dort aber nicht länger als zwei Jahre. Den Rest der Zeit habe ich überwiegend mit der Aufarbeitung der Funde verbracht. Ich habe einige Schriften veröffentlicht, die in der Fachwelt Aufsehen erregt haben.«

      »Ich dachte, du wärest ein Dämonen-Experte?«

      »Bin ich auch.« Behutsam schlug Nardon ein Ei an der Tischkante auf. »Angrenzendes Wissenschaftsgebiet, sozusagen. Nergal war der Gott der Anderen Ebenen, und Shakh war der letzte uns bekannte Nergal-Hohepriester, bevor der Kult unterging.«

      »Aha. Dann hast du also die letzten Jahre überwiegend mit einem Buch vor der Nase verbracht.«

      »Kann man so sagen.«

      »Wird man doch kaum los, solche schlechten Angewohnheiten.« Lomir grinste.

      »Wenn du es so bezeichnen willst«, sagte Nardon ungerührt und prüfte sein Ei auf Reste der Schale. Lomirs Unverständnis für Nardons Liebe zu den Wissenschaften war ritualisiert zwischen ihnen, und es fühlte sich gut an, dass nicht alles sich geändert hatte.

      »Und wie war deine Reise?«, erkundigte sich Lomir. »Ich nehme an, du kommst von der Insel der Stürme?«

      »Ja. Sie war lang und unangenehm. Die drei Tage auf See zwischen der Insel der Stürme und Lichtenau waren die schlimmsten seit … nun ja, vermutlich seit meiner letzten Seereise. Dagegen verlief die Überfahrt zwischen Lichtenau und Bergen geradezu glatt. Auf Lichtenau habe ich mich nicht lange aufgehalten. Ich ging in Schönfeld an Land und durchquerte die Insel so zügig wie möglich. Sie haben gute Straßen dort. Kein Vergleich zu dem Zustand, in dem die Straßen hier teilweise sind.«

      »Lichtenau ist die Lieblingsinsel des Königs«, sagte Lomir achselzuckend. »Ich weiß gar nicht, wann er zuletzt auf Bergen war. Klar, dass sich hier keiner um die Straßen kümmert.«

      »Die Straße zwischen Rauhenberg und Neuhafen hat Schlaglöcher, in denen man eine tote Kuh vergraben könnte«, sagte Nardon düster.

      »Nun, du bist gut angekommen.« Lomir reichte seinem Freund ein Schälchen mit Salz. »Vergessen wir die Straßen. Sag mir lieber, was dich herführt.«

      »Ich würde lieber erst hören, wie es dir in den letzten Jahren ergangen ist.«

      »Danke, bestens!« Lomir strahlte.

      »Das nahm ich bereits an«, sagte Nardon mit einem demonstrativen Blick durch den Raum.

      »Ich bin voll verantwortlicher Geschäftsführer der Regar-Wertschatz-Lebensmittel AG«, verkündete Lomir stolz.

      »Aha«, sagte Nardon. »Nie gehört.«

      »Das macht nichts. Das kommt noch. Wir expandieren ganz gewaltig.«

      »Aha«, sagte Nardon wieder. »Und womit?«

      »Lebensmittel«, sagte Lomir glücklich. »Wie der Name schon sagt. Wir haben ein völlig neues Vertriebskonzept entwickelt. Als ich bei Regar Wertschatz einstieg, hatte er diese bahnbrechende Idee, aber er stand ganz am Anfang. Mittlerweile haben wir eine Niederlassung in jeder größeren Stadt: Neuhafen, Leinfeld, Dalen, Wolkenstein, Südhafen ... Natürlich lässt sich das Konzept in großen Städten besser umsetzen als auf dem Land, wo alle paar Tagesreisen mal ein Haus steht.«

      »Was denn für ein Konzept?«

      »Wir verkaufen alle Lebensmittel des täglichen Bedarfs unter einem Dach«, verkündete Lomir stolz. »Brot, Wurst, Milch, Gemüse, jeden Tag frisch! Das spart unseren Kunden einen Haufen Zeit, die sie dafür verwenden können, Geld zu verdienen, das sie dann wiederum bei uns ausgeben können. Ein Kreislauf, der sich selbst ernährt. Und für unsere Lieferanten ist es ein gutes Geschäft: Sie können ihre gesamte Ware auf einen Schlag an uns verkaufen, anstatt den ganzen Tag auf Kunden zu warten.«

      »Ähem ... ja. Man fragt sich, wie Menschen und Zwerge ohne diesen gewaltigen Fortschritt überleben konnten.«

      »Wir werden in ganz Abrantes Niederlassungen eröffnen«, stellte Lomir voller Begeisterung in Aussicht. »Lichtenau zunächst, und sobald wir dort Fuß gefasst haben, werden wir auch auf die Insel der Stürme expandieren.«

      »Klingt, als hättest du eine Menge zu tun in nächster Zukunft.«

      »Ja«, sagte Lomir glücklich.

      »Und wenig Zeit für andere Dinge«, fuhr Nardon vorsichtig fort und verfolgte, wie sein Freund plötzlich hellhörig wurde.

      »Zeit wofür?«

      »Um mir in einer äußerst heiklen Angelegenheit weiterzuhelfen.«

      »Heikle Angelegenheiten sind meine Spezialität. Worum geht es denn?«

      Zehn Minuten später war jeglicher Frohsinn aus Lomirs Gesicht gewichen.

      »Alle Götter«, sagte er. »Das klingt, als wäre die Sache mit Shakh ein Spaziergang gewesen, verglichen mit dem, was du dir da vorgenommen hast.«

      »Ich habe es mir nicht vorgenommen. Es wurde mir … auferlegt, sozusagen. Aber mit deiner Einschätzung solltest du recht haben.«

      »Welches ist der erste Schritt?«

      »Ein Besuch in Halmesholm, bei dieser Kaufmanns-Familie. Nachsehen, ob es den zweiten Schädel noch gibt.«

      »Und dann?«

      Nardon hob die Schultern. »Keine Ahnung. Informationen sammeln. Leute befragen. Herausfinden, ob es weitere Schädel gibt und wo sie sich befinden. Ich weiß es noch nicht, Lomir.«

      Nachdenklich spielte Lomir mit dem silbernen Löffel aus der Zuckerdose.

      »Es geht aber darum, die Feuerfrau zur Strecke zu bringen?«


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