Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic
wir jetzt sofort gehen, haben wir eine Chance, eine Prügelei zu vermeiden«, sagte Nardon, als er endlich Lomirs Aufmerksamkeit hatte, und wies mit dem Kopf in Richtung der Sidarthi, die sich ihren ersten Überblick mittlerweile verschafft hatten und sich nun in ihrer seltsamen Sprache berieten.
»Wieso?«, sagte Lomir irritiert. »Was meinst du?«
»Ich meine diese Gruppe Fahrender, die ihren Ärger worüber auch immer zweifelsohne bevorzugt an zwei friedlichen Zwergen auslassen wird, wenn diese sich nicht umgehend entfernen.«
»Aha. Komplizierter Satz, aber ich weiß, was du meinst.«
»Schön. Können wir dann gehen?«
»Nö.«
Nardon seufzte tief.
»Ich habe noch nicht aufgegessen, und in meinem Krug ist auch noch etwas drin«, sagte Lomir. »Außerdem unterhalte ich mich gerade sehr gut.«
»Es ist ohnehin zu spät. Sie kommen herüber.«
»He, he, he«, sagte einer der Sidarthi, während er sich vor dem Tisch der Zwerge aufbaute, seine Begleiter dicht hinter ihm. »So was, so was. Zwerge.«
»Ich wünsche Euch ebenfalls einen guten Abend«, sagte Lomir gleichmütig, »falls es das ist, was Ihr mit Euren beschränkten Mitteln ausdrücken wolltet.«
Und da sind wir wieder, dachte Nardon frustriert. Keine Minute wird mehr vergehen, bis alle hier sich im Staub wälzen. Warum passiert mir das eigentlich immer, wenn ich mit Lomir unterwegs bin?
Einer der Sidarthi hatte sich mittlerweile zu Lomir hinunter gebeugt, der nach wie vor unbeeindruckt vor seinem Krug saß.
»Das ist unser Platz, auf dem du da sitzt, Dreckfresser«, sagte er.
»So?«, sagte Lomir. »Sieht mir aber nicht danach aus.«
»Ist aber so«, sagte der Sidarthi.
»Selbst wenn mein Freund hier und ich euch Platz machen würden – was wir nicht tun, wohlgemerkt – könntet ihr euch ja wohl kaum zu fünft auf zwei Plätze setzen«, sagte Lomir. »Also, warum geht ihr nicht und pöbelt eine größere Gruppe an?«
»Wir pöbeln aber dich an, Zwerg«, sagte der Sidarthi. »Wir mögen nämlich keine Zwerge. Wir wollen, dass du hier verschwindest, zusammen mit deinem komischen Freund.«
»Für einen, der so viel herumkommt wie du, hast du einen erstaunlich beschränkten Horizont.«
»Geh zurück in deinen Berg. Friss Stein und belästige unsere Augen nicht länger mit deiner hässlichen Gegenwart.«
»Ich finde es gewagt, dass ein Schweinegesicht wie du von Hässlichkeit spricht«, sagte Lomir. »Ich gelte nach dem Geschmack meines Volkes als außerordentlich gut aussehend. Von dir könnte das nur ein Blinder behaupten.«
»Habt ihr das gehört?« Der Sidarthi drehte sich zu seinen Begleitern um. »Der Dreckfresser hat mich beleidigt. Wollen wir uns das gefallen lassen?«
»Natürlich nicht«, murmelte Nardon seufzend.
»Natürlich nicht!«, rief einer der anderen Sidarthi. »Wie kann der kleine Dreckfresser es wagen!«
»Ach, Leute«, sagte Lomir. »Wollt ihr wirklich so dringend eins aufs Maul haben? Na gut. Weil ihr mich so nett bittet.«
»Und los geht es«, murmelte Nardon.
Lomir erhob sich, baute sich vor dem Wortführer der Sidarthi auf, dem er gerade bis zur Brust reichte, und sah zu ihm hinauf.
»Überleg’s dir noch einmal«, sagte er. »Das könnte weh tun.«
Der Sidarthi lachte großspurig und zeigte auf Lomir, als hätte der einen guten Witz gemacht. Lomir stand ruhig, locker in den Knien, schüttelte sein rechtes Handgelenk aus, öffnete und schloss seine Faust, und ehe der junge Herausforderer dieses Gefahrenzeichen richtig deuten konnte, schoss Lomirs Faust nach vorne und schlug mit gewaltiger Wucht in der Magengrube seines Gegenübers ein. Der Sidarthi klappte zusammen. Pfeifend entwich die Luft aus seinen Lungen, und als sein Kopf in Lomirs Reichweite kam, legte der Zwerg seine Fäuste aneinander und ließ sie wie einen gewaltigen Schmiedehammer auf den Nacken des Sidarthi niedersausen. Der Sidarthi brach zusammen und blieb reglos liegen.
»Sonst noch jemand?«, fragte Lomir freundlich.
Kurz darauf befand er sich inmitten eines wirren, lärmenden Knäuels aus fliegenden Fäusten und um sich tretenden Stiefeln. Nardon zog Lomirs Krug näher zu sich, damit er im Getümmel nicht versehentlich abgeräumt wurde, und beugte sich vor, um besser zu sehen. Die Wiesenheimer Festbesucher wichen von dem Kampfherd zurück und bildeten in sicherem Abstand einen Kreis, aus dem alsbald lautstarke Kommentare und anfeuernde Zurufe für beide Seiten drangen.
Trotzdem sah es nach kurzer Zeit nicht mehr allzu gut aus für den Zwerg. Obwohl der Sidarthi, der den Fehler gemacht hatte, seinen Kopf in Lomirs Reichweite zu bringen, sich nach wie vor nicht rührte, waren die vier verbleibenden einfach mehr, als der Zwerg gleichzeitig mit seinen Fäusten versorgen konnte. Hätte er seine Axt eingesetzt, so schätzte Nardon, wäre der Kampf in wenigen Augenblicken entschieden gewesen, doch auch Lomir kannte die Regeln einer Kneipenschlägerei.
Seufzend nahm Nardon einen letzten Schluck aus seinem Bierkrug und erhob sich. Die Notwendigkeit schien unausweichlich.
»Lasst mich das machen«, sagte zu seiner Überraschung der Rübenbauer, mit dem Lomir sich unterhalten hatte, und erhob sich ebenfalls. Staunend schaute Nardon zu dem Menschen hinauf, wie er Gliedmaßen von schier unfassbarer Länge entfaltete. Auf Beinen wie Baumstämmen machte er einen langen Schritt hinüber zu dem Kampfherd, packte den ersten Sidarthi von hinten und schubste ihn in den umgebenden Kreis von Wiesenheimern. Der zweite schlug einen unfreiwilligen Salto und bremste mit dem Gesicht an dem Stützpfosten des Nachbarzeltes, wo er stöhnend liegen blieb. Der dritte, der die Faust zum Schlag erhoben hatte, hielt inne und sah erschrocken zu dem Riesen hinauf, der da hinter ihm aus dem Boden gewachsen war, bevor er die Beine in die Hand nahm und sich äußerst eilig entfernte. So war in kürzester Zeit das Zentrum des Getümmels freigelegt: Lomir, der den vierten Sidarthi im Schwitzkasten hatte, während der versuchte, ihm die Schulter auszukugeln. Beide hielten inne und verdrehten die Köpfe, um zu dem Rübenbauern hinauf zu sehen, dann löste Lomir seinen Griff und gab dem Sidarthi einen Schubs, so dass der benommen davon taumelte.
»Danke, Freund«, sagte er. »Du hast mir eine unangenehme Erledigung hilfreich abgekürzt.«
»Gern geschehen«, sagte der Rübenbauer, und zu den Umstehenden, indem er seinen rasselnden Bass zu beeindruckender Lautstärke erhob: »Dieser Zwerg ist ein Ehrenmann. Er hat mir ein sehr lohnendes Geschäft angeboten. Wer ihn anfasst, kriegt es mit mir zu tun, klar?«
»So macht man sich Verbündete«, sagte Lomir grinsend und kehrte auf seinen Platz zurück. Das Grinsen verging ihm allerdings, als er die Spuren des Kampfes auf seiner Kleidung begutachtete.
»Mein bestes Hemd!«, beschwerte er sich und zeigte auf einen langen Riss entlang der Schulternaht.
»Na, wenn’s weiter nichts ist«, sagte Nardon.
»Es ist weiter was!«, schimpfte Lomir. »Hier! Sieh nur! Ich hasse Blutflecken! Man kriegt sie nie ganz raus.«
»Ist das dein Blut?«
»Nein, aber mein Hemd!«
Nardon seufzte, hob die Hände und legte sie zurück auf die Tischplatte.
»Trink einen Schluck«, sagte er und schob Lomirs Krug zu ihm hinüber. »Das tröstet.«
»Könnte sein.« Lomir winkte den Rübenbauern heran, der sich ihm gegenüber auf der Bank niederließ, dass das Holz krachte.
»Lass uns übers Geschäft reden, Freund«, sagte Lomir. »Das wird meine Stimmung wieder aufhellen.«
Nardon blieb nicht bis zum Ende der Verhandlungen, die ihn langweilten und sich überdies bis weit in die Nacht hin zogen. Im Gegensatz zu Lomir, der reichlich verkatert