Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic

Feuerjäger: Sammelband - Susanne Pavlovic


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Platz. Grani ließ sich mit einem unterdrückten Aufstöhnen neben ihn fallen.

      »Die Geschichte beginnt Ende Juli. Ein Mann kam zu uns, ein Mensch mittleren Alters und von unscheinbarem Äußeren. Er sagte, sein Name sei Manzill. Er sei Dimensionstheoretiker und wolle unsere Bibliothek zu seiner Forschung heranziehen. Er habe gehört, dass wir eine von drei in Abrantes verfügbaren Abschriften von Colinars Abriss der Ebenen in unserer Bibliothek stehen hätten. Was hätten wir ahnen können! Er wirkte völlig harmlos auf uns. Und er war nicht der Erste, der in den letzten Jahren zum Studium bei uns weilte.«

      »Ich weiß«, sagte Nardon traurig. »Ihr habt mich selbst einige Jahre beherbergt.«

      »Ja. Wir nahmen ihn auf und gaben ihm eines der Gästezimmer. Er war ein ruhiger Zeitgenosse, sprach nicht viel und verriet auch wenig über das Ziel seiner Forschung. Wir ließen ihn gewähren. Er verbrachte die Tage in der Bibliothek, oft bis spät in die Nacht. Dann, nach einigen Wochen, verlangte er Zugang zum Archiv. Wir informierten ihn, dass Fremden der Zugang verwehrt sei, gaben ihm aber eine Inventarliste, damit er anfordern konnte, was er benötigte. Er forderte nichts an, aber zwei Tage später erwischte Farri ihn, wie er sich im Keller in der Nähe des Archivs herumtrieb. Farri sagte später, es sei kein Zufall gewesen, er habe Manzill bewusst im Auge behalten, er traue ihm nicht. Hätten wir nur auf ihn gehört! Manzill erhielt eine Ermahnung mit der Aussicht, das Kloster umgehend verlassen zu müssen, falls er wieder dort hinunterginge. Das war vor zwei Tagen.«

      Etwas zupfte an Nardons Mantel. Er sah zur Seite, wo eine braune Ziege ihren aufmerksamen Blick auf ihn gerichtet hatte, während sie an seinem Mantelsaum knabberte. Er raffte seinen Mantel um sich und gab der Ziege als Entschädigung ein Stück Brot aus einem der Körbe.

      »Bitte entschuldige«, sagte Grani niedergeschlagen. »Es wird noch lange dauern, bis hier wieder Normalität eingekehrt ist.«

      »Es gibt nichts zu entschuldigen. Ich bin hier, um euch nach Kräften zu helfen, wenngleich mir noch nicht klar ist, worin diese Hilfe bestehen soll.«

      »Manzill ist verantwortlich für das Feuer. Er ist entkommen. Du sollst ihn zur Strecke bringen.«

      »Oh … aber … So gerne ich euch helfen möchte - ich bin Wissenschaftler, kein Kopfgeldjäger.«

      »Die Sache ist noch viel komplizierter. Wenn du gestattest, bringe ich dich zum Abt. Er kann aus erster Hand berichten, was weiter geschah.«

      Sie erhoben sich und durchquerten das Heiligtum, was geraume Zeit dauerte, denn Nardons Ankunft hatte sich herumgesprochen. Er schüttelte Hände, sah in besorgte, erschöpfte, rußverschmierte Gesichter, sprach tröstende Worte, die ihm leer und schal vorkamen, sobald sie seine Lippen verließen. Hier war nicht nur ein Haus niedergebrannt, hier waren Traditionen vernichtet, eine Lebensweise zerstört und unschätzbares Wissen für immer verloren. Was sollte da trösten?

      Grani brachte Nardon und die braune Ziege, die sich beharrlich an Nardons Fersen geheftet hatte, in den kleinen Vorbereitungsraum neben dem eigentlichen Heiligtum. Ein Lager war dort improvisiert worden, auf dem ein alter Zwerg ruhte. Sein Oberkörper und beide Arme steckten in dicken weißen Verbänden. Ein junger Zwerg hielt neben ihm Wache. Als sie eintraten, wandte der alte Zwerg leicht den Kopf. Sein Blick wirkte abwesend, seine Stimme klang schleppend, als er sprach.

      »Nardon«, sagte er. »Die Nachricht hat dich erreicht, und du bist ihr gefolgt. Sehr gut.«

      »Ehrwürdiger Blakkur.« Nardon verbeugte sich tief. »Ich kam, so schnell ich konnte, und ich stehe Euch zur Verfügung.«

      »Du musst verzeihen«, sagte Blakkur langsam. »Man gab mir einen Trank gegen die Schmerzen, und er vernebelt den Geist.«

      »Ich hörte bereits von Manzill, und dass er für den Brand verantwortlich sein soll. Nur über die genauen Umstände bin ich nicht informiert.«

      »Die genauen Umstände sind höchst spektakulär«, sagte Blakkur mit schwachem Lächeln. »Hier, Nardon, setz dich.«

      Nardon tat, wie ihm geheißen, während er hart an einem bitteren Klumpen schluckte, der in seinem Hals aufstieg. Der Abt, der sein vierhundertstes Lebensjahr längst hinter sich gelassen hatte, war immer ein kraftvoller Mann gewesen, ein Hüne und ungebeugt von seinem Alter. Ihn so zerschmettert und leblos auf dem Deckenlager zu sehen, schmerzte den jungen Zwerg mehr als alles andere.

      »Manzill war nicht, was er zu sein vorgab«, sagte Blakkur leise. »Er war nicht einmal menschlich. Er war … sie. Eine Valdar aus dem Reich der Schattenflammen.«

      »Was?«, sagte Nardon so befremdet, dass er für einen Augenblick die Riten des höflichen Umganges vergaß. »Wie das?«

      Der Abt gab ein tiefes, zitterndes Seufzen von sich. Grani trat einen Schritt nach vorne und half aus.

      »Er … sie … es ist offenbar in der Lage, seine Gestalt zu wandeln. Der unscheinbare Mensch, als der er … es sich uns vorstellte, war nicht sein eigentliches Gesicht.«

      »Sie ist groß«, flüsterte der Abt. »Sie besteht gänzlich aus Feuer, wie Flammen, die sich zu einer Figur fügen. Schatten tanzen in ihrem Inneren wie Boten des Todes. Sie ist schrecklich. Mit einem Wink hat sie jedes Feuer im Haus, jede Kerzenflamme, jede Öllampe, jedes Kaminfeuer in eine Lohe verwandelt.«

      »Es brannte plötzlich an allen Stellen gleichzeitig«, ergänzte Grani schaudernd. »Wir konnten nicht löschen, wir hatten gar nicht so viele Eimer.«

      »Aber was war der Grund?«, fragte Nardon ratlos. »Ein Wesen von den Feurigen Ebenen schleicht sich bei euch ein, lebt wie lange bei euch? Vier, fünf Wochen?«

      »In etwa«, bestätigte Grani.

      »… nur, um nach dieser Zeitspanne das Haus anzuzünden?«, fuhr Nardon fort. »Welchen Sinn soll das ergeben?«

      »Es ergibt einen«, flüsterte Blakkur. »Sie war auf der Suche nach etwas.«

      »Etwas, das in Eurem Archiv lagerte«, ergänzte Nardon, der sich an Granis Bericht erinnerte.

      Der Abt deutete ein Nicken an. »Hast du dich nie gefragt, warum auch dir der Zutritt zum Archiv verwehrt war?«

      »Doch, natürlich. Ich dachte aber, Ihr werdet gute Gründe haben.«

      »Die hatte ich. Niemand außer den Priestern durfte das Archiv betreten, weil dort ein äußerst mächtiges, gefährliches Artefakt aufbewahrt wurde. Ich erhielt es von einem guten Freund, einem Menschen, möge seine Seele in Frieden ruhen. Redelin von Werlau war sein Name, er war ein Hochzauberer und Vorsitzender des Arkanen Rates. Hundertdreißig Jahre mag das nun her sein, etwas mehr vielleicht … Das Artefakt war Bestandteil einer sehr gefährlichen Vorrichtung. Redelin sagte damals, es sei äußerst wichtig, dass der Erschaffer der Vorrichtung seine Hände nicht mehr darauf legen könne. Die einzelnen Teile wurden getrennt voneinander an geheimen Orten aufbewahrt.«

      Der Abt unterbrach sich und hustete. Grani sprang herbei, stützte den Kopf des alten Zwergs und gab ihm zu trinken. Nardon nutzte die Pause, indem er Notizbuch und Kohlestift, seine ständigen Begleiter, aus der Innentasche seines Mantels holte und eine freie Seite aufschlug. Bis der Abt bereit war, weiterzusprechen, hatte er das Nötigste in geraden, flüssigen Zwergenrunen festgehalten.

      »Was für eine Vorrichtung war das?«, fragte er.

      »Ein Toröffner«, flüsterte Blakkur schwach.

      »Alle gütigen Götter«, sagte Nardon erschrocken. »Eine Valdar bemächtigt sich eines Toröffners.«

      »Eines Teils davon.« Blakkur hustete erneut. »Irgendein verrückter Zauberer hat das Ding erschaffen. Redelin hat mir seinerzeit die genauen Hintergründe erläutert, aber ich verstehe nichts von solchen Dingen und habe viel wieder vergessen.«

      »Aus wie vielen einzelnen Artefakten besteht die Vorrichtung?«, fragte Nardon.

      »Ich weiß es nicht. Ich hörte von einem weiteren, drüben auf Bergen. Halmesholm war die Stadt. Eine Kaufmannsfamilie. Moser … Markwart … ich erinnere mich nicht an den Namen.«

      »Es


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