Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic

Feuerjäger: Sammelband - Susanne Pavlovic


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mit ihm für morgen früh verabredet.«

      »Dann werden wir zumindest diese Nacht noch in der Stadt verbringen«, sagte Lomir zufrieden. »Sehr gut. Es sieht wieder nach Regen aus, und bei diesem Wetter rostet mein Kettenhemd schneller, als ich es putzen kann.«

      Lomirs Befürchtung bezüglich des Wetters bewahrheitete sich. Dichte Regenschleier trieben durch die Gassen zwischen den Lagerhäusern und trübten den Ausblick auf den See, als die Zwerge am nächsten Morgen ihre Verabredung wahrnahmen. Ein mürrischer Mitarbeiter der städtischen Lagerverwaltung schlurfte vor ihnen her, die Kapuze seines gewachsten Umhanges tief in die Stirn gezogen, und führte sie entlang an rot geklinkerten, fensterlosen Fassaden, die eine wie die andere aussahen und den Lagerstraßen etwas geisterhaft Eintöniges gaben. Eine Weile folgten sie dem Verlauf der Uferlinie, dann bogen sie nach rechts ab und gingen eine leichte Steigung hinauf, bevor sie erneut rechts abbogen. Die Lagerhäuser schienen hier älter zu sein, Wetter und Witterung hatten das klare Rot der Ziegel abgestumpft und in ein rötliches Braun verwandelt. Niemand war unterwegs, selbst die Möwen saßen zusammengekauert unter den Dachsparren und starrten missmutig auf die kleine Gruppe hinunter.

      »Da sind wir«, sagte der Lagermitarbeiter schließlich, blieb vor einem Lagerhaus stehen, das sich in nichts von seinen Nachbarn unterschied, und zog geräuschvoll die Nase hoch. Aus den Tiefen seiner Tasche förderte er einen Schlüssel zutage, sperrte die Tür auf und machte eine auffordernde Geste.

      »Ich habe die Anweisung, zu warten«, sagte er. »Also, bitteschön, haltet Euch ran. Hab eine Menge zu tun heute.«

      »Es wird nicht lange dauern«, versicherte Lomir freundlich und warf einen Blick in den hohen, düsteren Raum. Ein wenig trübes Tageslicht fiel durch Lichtschlitze unter dem Dach und fing sich auf hohen Regalen, die in Reih und Glied standen und den Raum in eine Vielzahl langer, gerader Gänge teilten. Neben dem Eingang standen flache Leiterwagen, die offenbar zum Warentransport gedacht waren.

      »Wonach suchen wir genau?«, fragte Lomir, als sie das Lagerhaus betraten und die Tür hinter sich heran zogen, um den Regen draußen zu halten.

      »Papiere«, sagte Nardon. »Aufzeichnungen, Bücher oder Ähnliches. Üblicherweise gibt es in einem solchen Lagerhaus ein kleines Büro, wo der Papierkram erledigt wird.«

      »Und du meinst, ausgerechnet dort hat Markholt etwas über den geheimen Schädel verzeichnet?«

      »Unwahrscheinlich«, gab Nardon zu. »Ich möchte aber nichts übersehen.«

      Lomir blies die Backen auf und ließ den Blick über die Regale schweifen. Reihe für Reihe lagerten dort in grobes Leinen gepackte Tuchballen, übereinander geschichtet wie die Brut eines riesenhaften Insekts.

      »Mann, Mann, Mann«, sagte er. »Was für Werte hier lagern! Die Stadt könnte auf ihre Kosten das Markholt-Anwesen komplett wieder aufbauen, sie hätten trotzdem einen Verdienst gemacht, wenn sie das alles einbehalten würden.«

      »Dort hinten«, sagte Nardon und zeigte in die entsprechende Richtung. »Ich glaube, ich sehe dort eine Tür. Könnte das Büro sein.«

      Die Zwerge setzten sich in Bewegung und tauchten in den staubigen Schatten zwischen den Regalen. Nach zehn oder zwölf Schritten wurden die Tuchpakete in den Regalen durch Kisten abgelöst. Lomir blieb stehen, um die blasse, undeutliche Aufschrift zu entziffern.

      »Zentallinische Glaswaren«, sagte er staunend. »Er betrieb Handel auf höchstem Niveau, der gute Markholt. Möchte wetten, er hat auch den Königshof beliefert …«

      Ein erstickter Aufschrei ließ ihn herumwirbeln. Fast von selbst sprang ihm seine Axt vom Rücken in die Hände. Hinter ihm klirrte es in den Kisten, gegen die er gestoßen war. Eine dunkel behandschuhte Hand hatte sich über Nardons Mund gelegt, und jemand zog ihn rückwärts in eine schmale Seitengasse zwischen den Regalen. Mit zwei langen Sprüngen holte Lomir auf und brachte sich in Kampfreichweite.

      »Lasst ihn los!«, donnerte er. »Gebt Euch zu erkennen, oder ich lege Euch Euren Kopf vor die Füße!«

      »Psssst!«, machte eine helle, flüsternde Stimme. »Nicht so laut! Hab ich dir nicht gesagt, er wird herumschreien? Hab ich es dir nicht gesagt? Zwerge sind immer so indiskret!«

      »Ich bin dabei, nicht nur indiskret, sondern auch schrecklich unhöflich zu werden, wenn nicht sofort … Was? Ihr schon wieder? Was soll das, zum Teufel?«

      Der kleine Jongleur mit der Sturmfrisur trat aus einer dunklen Ecke, wo er praktisch unsichtbar gestanden hatte, und wedelte beschwichtigend mit den Händen.

      »Ich wäre Euch wirklich sehr verbunden, wenn Ihr Eure Stimme senken könntet«, sagte er in lautem Flüsterton. »Wir legen nicht so viel Wert darauf, dass die Lagerbeamten von unserer Anwesenheit erfahren. Wir sind nämlich nicht angemeldet.«

      »Wenn Ihr nicht sofort meinen Freund loslasst, werdet Ihr im Nullkommanichts nicht nur alle Lagermitarbeiter, sondern auch die gesamte Stadtwache am Hals haben«, drohte Lomir mit gesenkter Stimme, aber nicht minder gefährlich.

      Die große, dunkle Gestalt, die Nardon festgehalten hatte, ließ ihn los und trat einen Schritt zurück. Mit einem raschen Schritt rettete Nardon sich an Lomirs Seite und rückte seinen Mantel zurecht.

      »Vielleicht könnten wir erfahren, worum es hier geht«, sagte er etwas heiser. »Und warum Ihr uns auf diese Weise überfallt.«

      »Und wer Ihr überhaupt seid«, ergänzte Lomir. »Fangen wir doch damit an.«

      »Pintel Luffelheim«, sagte der Kleine und machte eine drollige Verbeugung. »Und das hier ist mein Freund Fenrir.« Er zerrte am Mantel der großen Gestalt, bis sie widerstrebend aus dem Schatten kam und sich als schlanker, dunkelhaariger Mann entpuppte, in dessen Augen ein irritierender goldener Schimmer lag.

      »Ihr befasst Euch mit der gleichen Sache wie wir«, sagte der Kleine und machte ein geheimnisvolles Gesicht. »Das ist Grund genug, um mit Euch in Kontakt zu treten.«

      »Ich weiß nicht, was Ihr meint.« Nardon sah plötzlich sehr wachsam aus.

      »Wir wären natürlich lieber öffentlich auf Euch zu gekommen«, fuhr Pintel fort. »Aber wir haben derzeit so unser Problem mit der Öffentlichkeit. Wir fühlen uns nicht mehr wirklich wohl in dieser Stadt, seit sie unsere Gefährtin ins Gefängnis gesteckt haben. Wir halten es für klüger, nicht unnötig auf unsere Anwesenheit aufmerksam zu machen.«

      »Der Waldläufer und der Zauberkundige«, sagte Lomir. »Ich verstehe. Und wer ist jetzt wer?«

      »Na, rate mal«, sagte Nardon mit gesenkter Stimme und deutete mit dem Kinn auf den kleinen Jongleur. »Sieht der aus, als könnte er mit Bäumen?«

      »Nicht unhöflich werden«, sagte Pintel eingeschnappt. »Ich lege wirklich Wert auf gepflegte Umgangsformen, wisst Ihr.«

      »Weshalb Ihr auch nichtsahnende Leute gegen ihren Willen in staubige Ecken nötigt«, sagte Nardon.

      »Wir versuchen, möglichst wenig Aufsehen zu erregen, was, wie ich Euch erklärt habe, in unserer Lage unausweichlich wichtig ist. Darüber hinaus tut es uns wirklich leid. Aber immerhin habt Ihr es unbeschadet überstanden, oder nicht?«

      »Das ist ja wohl das mindeste«, knurrte Nardon.

      »Wie seid Ihr eigentlich hier reingekommen?«, fragte Lomir. »Die Tür war abgeschlossen, als wir kamen.«

      »Ich hab uns reingelassen.« Pintel lächelte entwaffnend.

      »Aha«, sagte Lomir argwöhnisch.

      »Und wie kommt es, dass Ihr uns ausgerechnet hier abpasst?«

      »Es ist eine ruhige, unauffällige Ecke«, erklärte Pintel.

      »Aber woher wusstet Ihr …« Lomir unterbrach sich selbst, als die Antwort auf seine Frage ihm dämmerte. »Es war kein Zufall! Unsere bisherigen Begegnungen. Ihr habt uns beschattet!«

      »Die erste war ein Zufall«, sagte Pintel. »Ich fand es sehr interessant, dass jemand versuchte, zu Krona vorgelassen zu werden, gerade nachdem ich dabei erfolglos


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