Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic

Feuerjäger: Sammelband - Susanne Pavlovic


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sie durch ein Gitter getrennt war.

      »Halt’s Maul, Odan«, murmelte sie.

      Eine bucklige, verwachsene Gestalt mit bleicher Haut und langen, verfilzten Haarsträhnen drängte sich gegen das Gitter. Eine neue Welle von Fäulnisgestank überflutete Krona.

      »Du armes Mädchen«, sagte Odan, dessen Stimme nicht mehr war als ein heiseres Quieken. »Haben sie dich geschlagen, die bösen Wachen? Ist mein Mädchen unartig gewesen? Komm zu mir und lass dich trösten.« Er riss den Mund auf, enthüllte dabei eine Reihe brauner Zahnstümpfe und vollführte eine obszöne Geste mit der Zunge.

      »Fick dich selbst«, knurrte Krona und sammelte Kraft, um sich zu bewegen. Die Zelle auf ihrer anderen Seite war nicht belegt, und sie hatte den einzigen Einrichtungsgegenstand, eine schmale, flohverseuchte Pritsche, so verschoben, dass ein geschützter Winkel in der Ecke entstanden war. Solange ihre Kraft ausreichte, konnte sie entsetzt darüber sein, dass sie einen solchen ärmlichen, stinkenden Winkel tatsächlich als Zuflucht betrachtete.

      »Wenn ich könnte, würde ich’s tun«, sagte Odan mit seinem hektischen, irren Lachen. »Ich würde den ganzen Tag nichts anderes tun.«

      Stöhnend kam Krona auf Hände und Knie und zog sich in ihren Winkel zurück. Ihr Körper fühlte sich völlig zerschlagen an. Hunger wühlte in ihren Eingeweiden. Sie zog den Wassereimer zu sich heran, das Einzige, was sie seit Tagen bekommen hatte. Sie trank so wenig wie möglich von dem Wasser, auf dessen Oberfläche ölige Schlieren schwammen. Sie sah hinein, roch den leichten, widerwärtig-süßen Geruch und schob den Eimer wieder weg.

      »Ich könnte es dir hier drin einfacher machen«, hörte sie Odan brabbeln. »Du weißt es. Ich habe es dir schon oft angeboten. Gib dem guten Odan ein kleines Goldstück, oder tu ihm einen kleinen Gefallen, und er tut dir auch einen Gefallen. Odan weiß, welche Wachen das Gold gerne haben. Er gibt ihnen Gold, und sie geben ihm Brot und sauberes Wasser und gute Decken. Und er gibt es dir.«

      »Und ich habe dir schon gesagt, dass ich kein Gold habe«, knurrte Krona. »Das, was ich hatte, haben sie mir abgenommen.«

      »Armes Mädchen«, sagte Odan. »Hat kein Gold, armes Mädchen, und keine Freunde, die ihr Gold bringen, keine Freunde, die sie besuchen kommen, nein, nein, ist ganz allein, armes Mädchen.«

      »Halt’s Maul!«, schrie Krona, obwohl ihr Brustkorb dabei schmerzte. Sie hatte nichts von Fenrir und Pintel gehört, seit sie hier war – wie lange? Eine Woche? Sie machte sich Sorgen. Die beiden waren nicht mit ihr zusammen verhaftet worden, was allerdings nicht hieß, dass sie sich tatsächlich noch auf freiem Fuß befanden. Im Rechtssystem dieser Stadt herrschte die Willkür; dass man sie am einen Tag laufen ließ, hieß nicht, dass man sie nicht am nächsten schließlich doch einsperrte. Sie erinnerte sich an Pintels wütenden, lautstarken Protest, als man sie abgeführt hatte. Sie hoffte, dass nicht schon allein die Wahl seiner Worte ihn hinter Gitter gebracht hatte.

      »Odan macht bei dir eine Ausnahme«, hörte sie ihren Zellennachbarn quieken. »Odan macht es bei dir ganz ohne Gold. Du tust ihm einen Gefallen, und er verschafft dir Suppe und Brot und saubere Decken, damit du nicht mehr auf dem kalten Boden schlafen musst!«

      »Halt’s Maul, ein für alle Mal«, sagte sie, »oder ich greife durch diese Gitterstäbe und breche dir deinen Hals.« Ihre Stimme klang so erschöpft und verausgabt, wie sie sich fühlte, doch es verfehlte nicht seine Wirkung. Murmelnd und schlurfend zog Odan sich in die abgewandte Ecke seiner Zelle zurück, und Ruhe kehrte ein.

      Stöhnend streckte Krona sich auf dem kalten, feuchten Steinboden aus. Die Pritsche hätte ein wenig Bequemlichkeit geboten, doch sie fürchtete die Flöhe und was immer noch darin wohnen mochte. Sie lächelte müde. Welch unpassende Eitelkeit, angesichts der Tatsache, dass sie in einigen Tagen ohnehin aufgehängt würde, mit oder ohne Ungeziefer.

      Sie wusste, dass Geschäfte, wie Odan sie ihr anbot, hier drin an der Tagesordnung waren. Sie hatte schon beobachtet, wie man Besucher zu den Zellen führte. Zweifellos ließen sich die Wächter schon das Betreten des Zellentraktes gut bezahlen. Meist blieben die Besucher nicht lange, sondern schoben lediglich ihre verschnürten Bündel zwischen den Gitterstäben durch, wobei sie sich Tücher vor die Nase pressten, bevor sie eilig ins Freie flohen. Die Bündel enthielten zusätzliche Lebensmittel und Gegenstände zum Tauschen, meist Schmuck oder Geld. Es war kaum möglich, ohne diese Unterstützung für längere Zeit zu überleben.

      Vergeblich versuchte sie, auf dem harten Boden eine Stellung einzunehmen, in der ihr nichts weh tat, doch ihr ganzer Körper war mit blauen Flecken übersät und schmerzte. Sie setzte sich auf, um die frischen Schwellungen auf ihrem Rücken zu schonen, und lehnte den Kopf gegen die Gitterstäbe. Sie wünschte, sie hätte etwas gehabt, um sich damit die Ohren zu verstopfen, damit sie wenigstens von den Geräuschen verschont blieb: Murmeln, Stöhnen, Kettenrasseln, das Schlurfen der Stiefel, wenn die Wachen zwischen den Zellen entlang gingen, ihre dämlichen Witze, das Quieken von Ratten, die sich um einen Lumpen oder einen Knochen stritten.

      Ein Schatten erschien im schmutzigen Zwielicht auf dem Gang. »Psssst!«, machte jemand leise und dringlich. Krona schrak hoch.

      »Pintel?«, sagte sie ungläubig und kam mühsam auf die Füße.

      »Psssst«, sagte der Schatten wieder und drängte sich gegen die Gitterstäbe. »Ich habe mich eingeschlichen. Wir haben drei Mal versucht, zu dir vorgelassen zu werden, aber sie gestatten dir keinen Besuch.«

      »Wundert mich nicht«, sagte Krona leise und drückte Pintels Hand durch die Gitterstäbe.

      »Wir haben nicht viel Zeit«, flüsterte Pintel. »Fenrir ist draußen und veranstaltet eine Ablenkung. Ich habe ewig gebraucht, dich hier zu finden! Wusstest du, dass es Abteilungen in diesem Gefängnis gibt, die viel besser aussehen als dies hier? Sie haben dich hier zu den Härtefällen gesteckt, den Lebenslänglichen und so. Du solltest eigentlich drüben sein bei den Untersuchungshäftlingen …«

      »Wundert mich genauso wenig. Hast du etwas zu essen für mich?«

      »Klar.« Pintel holte ein dickes Bündel unter seinem Mantel hervor. Ein Duft nach frischem Brot entstieg ihm, der Krona die Tränen in die Augen trieb.

      »Ist ja nicht so, dass ich nicht wüsste, wie es in solchen Anstalten zugeht.« Pintel grinste verschwörerisch. »Weißt du schon, was sie mit dir vorhaben?«

      »Sie werden mich in vier Tagen aufhängen«, sagte Krona und nahm dankbar das Bündel an sich. »Das heißt, falls euch nicht zwischenzeitlich etwas einfällt.«

      »Vier Tage«, sagte Pintel und blies die Backen auf. »Na gut. Das ist weniger Zeit, als wir gehofft hatten. Aber wir haben schon einen Plan. Wir haben ein paar Leute kennengelernt, die an der gleichen Sache dran sind wie wir. Sie haben schon versprochen, uns bei deiner Befreiung zu helfen.«

      »Gleiche Sache? Du meinst die Feuerfrau? Wie kann das sein?«

      »Erzähl ich dir, sobald du hier raus bist.« Pintel warf einen eiligen Blick über die Schulter. »Ich muss los. Sie sollten mich besser hier nicht finden, sonst hängen sie dich vorsichtshalber gleich.«

      »Macht schnell. Es ist fürchterlich hier.«

      »So schnell wir können.« Mit diesem Versprechen verschwand Pintel im Schatten. Am Fuß der Treppe hörte Krona laute Stimmen und Schritte, dann wurde es wieder still. Sie wickelte das Brot aus, brach große Stücke davon ab und schlang sie gierig hinunter. Die Welt sah plötzlich nicht mehr gar so trüb aus. Pintel und Fenrir waren auf freiem Fuß und wohlbehalten, sie würden sie hier herausholen, und vielleicht ergab sich die Gelegenheit, die eine oder andere ihrer Drohungen gegen den Oberamtmann wahr zu machen, bevor sie diese widerwärtige Stadt verließen.

      Der Gedanke an ihre unehrenhafte Entlassung hatte sich in ihrem Kopf festgebissen und schwoll an, je länger sie sich damit befasste. Sie hatte sich auf den Südlichen Inseln für unbestimmte Zeit beurlauben lassen und noch nicht entschieden, ob sie jemals wieder in den Militärdienst zurückkehren wollte. Wurde sie nun entlassen, war ihr diese Entscheidung abgenommen. Nach achtundzwanzig Dienstjahren stünde sie mit leeren Händen da. All ihr Blut umsonst vergossen, kein


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