Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic

Feuerjäger: Sammelband - Susanne Pavlovic


Скачать книгу
lehnte er sich zurück gegen den Fels und ließ den Blick schweifen. Der Himmel war nah hier oben, es schien, als müsse er sich nur ein wenig strecken, um eine Handvoll Blau zu greifen. Rund um ihn lagen majestätisch die Berggipfel in der hohen, klaren Luft. Ihre Spitzen waren mit schimmerndem Schnee bedeckt. Thork erinnerte sich, dass dies gestern noch nicht der Fall gewesen war. Tief unten lagen die grünen Auen der Ebene vor ihm ausgebreitet wie ein Teppich. Frischer Wind trieb ihm Haarsträhnen ins Gesicht, und er wischte sie weg.

      Er erinnerte sich nun, warum er in jungen Jahren so oft im Gebirge gewandert war. Er liebte es. Die Stille, die Größe und unbeeindruckte Erhabenheit taten seiner Seele gut.

      Er sah zu Lianna hinüber. Er verspürte den Wunsch, diese Eindrücke, die ihn erfüllten, mit ihr zu teilen.

      »Schön hier, nicht?«, sagte er.

      »Frühstück?« Sie hielt ihm ein aufgeweichtes Stück Fladenbrot hin.

      »Menschen«, sagte er.

      Sie legte das Brot in seine ebenso aufgeweichte Verpackung zurück.

      »Ich weiß nicht. Wahrscheinlich muss man ein Zwerg sein, um das hier zu mögen.« Sie sah hoch zu ihm und lächelte. »Schließlich seid ihr daraus erschaffen worden.« Sie klopfte mit der flachen Hand gegen den Stein. »Übrigens, ich fand sie schön, deine Geschichte«, fügte sie hinzu.

      »So schön, dass du darüber eingeschlafen bist.«

      »Das macht nichts. Das Wichtigste habe ich mitbekommen. Feuer und Stein. Gefällt mir, die Vorstellung.«

      Er sah sie an. Sie hatte ihren Zopf gelöst, damit der Wind ihr Haar trocknen konnte, und es lag wie ein Umhang um ihre Schultern, schwarz wie eine sternlose Nacht, der Wind spielte darin, Sonne lag auf ihrem Gesicht.

      Wenn du wüsstest, wie schön du bist, dachte er.

      »Wenn du wüsstest ...«, begann er und unterbrach sich erschrocken, als er feststellte, dass er laut sprach.

      »Was?«, fragte sie.

      »Nichts«, sagte er unfreundlich und wandte sich ab.

      Sie ließ es dabei bewenden, und er empfand grenzenlose Dankbarkeit dafür. Sie sprachen wenig, während sie sich zum Aufbruch bereit machten.

      Die stille, unbewegte Gebirgswelt und das gleichmäßige Steigen, auf das er seine Gedanken richten konnte, brachten Thork zurück in ein, wenn auch empfindliches, Gleichgewicht. Der Traum verblasste.

      »Weißt du was«, sagte Lianna, als sie etwa eine Stunde gewandert waren, ohne viel zu sprechen. »Ich habe nachgedacht.«

      »So«, sagte er. »Und worüber?«

      »Über gestern Abend«, sagte sie, und Thork stolperte plötzlich und konnte gerade noch seinen Fall bremsen.

      »Pass auf hier«, sagte er unwirsch. »Diese Steine sind locker.«

      »Vielleicht habe ich etwas übertrieben«, erklärte sie mit einer selbstkritischen Falte über der Nasenwurzel. »Mit den Fragen über dein Privatleben, meine ich. Ich wollte dich nicht quälen – nicht viel jedenfalls.«

      »Nicht viel«, schnaubte er. »Ein wenig aber schon, oder wie darf ich das verstehen?«

      »Na ja.« Sie grinste verlegen. »Manchmal geht es eben mit mir durch.«

      »Reiner Übermut also. Und ich dachte schon, du hättest aus Interesse gefragt.«

      »Aber es interessiert mich!«, widersprach sie.

      »Und warum?« Er hatte das Gefühl, einen Gegenstand in den Händen zu drehen, der jederzeit eine Stichflamme produzieren konnte.

      »Weil ...« Sie suchte nach Worten, als hätte sie nicht mit dieser Frage gerechnet. »Ich weiß nicht«, sagte sie schließlich ungeduldig, »Ich finde es spannend, persönliche Dinge über die Leute in meiner Umgebung zu erfahren.«

      »Dann machst du es also bei jedem?«

      »Nein!«, fuhr sie hoch. »Götter! Deine Rache ist grausam, weißt du das? Du befragst mich peinlicher, als ich es je bei dir getan habe!«

      »Die sprichwörtliche Rachsucht der Zwerge. Du als Menschliche solltest darüber Bescheid wissen, oder nicht?«

      Sie bewältigten ein steiles Hangstück. Oben ließ Lianna sich keuchend auf den felsigen Boden fallen. Er blieb stehen und nahm den Anblick der schneebedeckten Gipfel in sich auf.

      »Dann gibt es also nirgends in diesem Hochstahl eine hübsche, kleine Zwergin, die dein Herdfeuer schürt und dich erwartet, wenn du nach Hause kommst?«, knüpfte sie wieder an das Gespräch an.

      »Nein«, sagte er. »Das weißt du aber schon.«

      »Schade.«

      »Es ist, wie es ist.«

      Sie sah zu ihm hinauf, die Wangen gerötet von der Anstrengung, ihr Atem ging noch immer hart.

      »Es gab auch andere Zeiten«, sagte er, und sein Blick glitt von ihr ab und heftete sich auf die Berge: Fels, der mit breitem Fuß unerschütterlich in der Erde verankert war und doch in den Himmel strebte. »Wenngleich sie lange vergangen sind. Es hat sich vieles verändert ... danach.«

      Er machte eine Pause, atmete tief die klare Luft. Er hörte, wie ihr Rucksack über den Stein schabte, als sie sich bewegte.

      »Ich wollte heiraten«, sagte er. »Vor langer Zeit. Es hat nicht gehalten.«

      »Warum?«

      Er fragte sich, ob er nicht damit hätte rechnen können, dass sie wieder mit ihrem Verhör beginnen würde.

      »Es war, als man mich von dem Troll nach Hause brachte«, sagte er und ignorierte einen leise erwachenden Schmerz in seinem Inneren. »Sie sagte, sie wollte ihr Leben nicht mit einem ... Krüppel teilen.«

      »Alle Götter«, sagte sie, und es war echte Betroffenheit in ihrer Stimme. »Das muss hart gewesen sein.«

      »Es ist vergangen.«

      »Mein armer Thork«, sagte sie sanft.

      »Ich sagte bereits, es ist vergangen.« Er bemerkte, dass er die Hände zu Fäusten geballt hatte, und öffnete sie. Sie zitterten, und er verschränkte die Arme vor der Brust, um es zu verstecken.

      Sie stiegen weiter bergan. Sein mühsam wiedererlangtes inneres Gleichgewicht lag in Trümmern. Erinnerungen waren in ihm geweckt worden, die so tief unter den langen Jahren seines Zwergenlebens vergraben lagen, dass er um ihre Existenz beinahe vergessen hatte, und sie mischten sich auf beunruhigende Weise mit dem Traum und wühlten sein Inneres auf, und eine neue Frage stieg in ihm hoch und wurde plötzlich dringend und musste beantwortet werden, obwohl sein Verstand keinen Sinn darin sah.

      Sein Anlauf war gewaltig. Immer wieder wog er die Worte, verwarf sie und suchte neue, und als er sie schließlich aussprach, wusste er gleichzeitig, er machte alles nur schlimmer.

      »Was ist mit dir?«, fragte er. »Gibt es einen Prinzen für diese Prinzessin?«

      Sie sah ihn an, überrascht und gewissermaßen ertappt.

      »Na ja«, sagte sie und lachte nervös, »jede Prinzessin hat ihren Prinzen, oder nicht?«

      »Ich weiß nicht«, sagte er. »Ich bin ein gewöhnlicher Zwerg und pflege wenig Umgang mit Prinzessinnen.«

      »Ich werde in diesem Winter heiraten. Die Vorbereitungen haben bereits angefangen.«

      Für einen kurzen Augenblick blieb er stehen, fragte sich, warum seine Beine ihn plötzlich nicht mehr tragen wollten. Ein bitterer Geschmack strömte in seinen Mund und ließ sich nicht schlucken.

      »Wie schön für dich«, sagte er mit übergroßer Anstrengung.

      »Ja«, sagte sie abwartend und sah ihn von der Seite an.

      Er sah den Hang vor sich, den es zu ersteigen galt. Er setzte sich in Bewegung, automatisch, seine Beine trugen


Скачать книгу