LAND UNTER. Dieter Rieken
doch jeder«, antwortete Adrian.
Tarik musterte ihn misstrauisch. »Ich denke, ich weiß, was du dir vorstellst, womit ich mein Geld verdiene. Aber wir, meine Familie und ich, sind jetzt anders unterwegs als früher. Unsere Geschäfte sind heute legal.«
Seine Leibwächter grinsten.
Adrian wusste einiges über Tariks Geschäfte. Er hatte vor seinem Besuch gründlich recherchiert. Dabei hatte er in Erfahrung gebracht, dass der Clan, der von Berlin, Bremen und dem Ruhrgebiet aus operierte, zahlreiche Firmen kontrollierte und ein großer Player im deutschen Immobilienmarkt war. Viele Investitionen des Clans standen unter dem Verdacht der Geldwäsche. Die Polizei brachte ihn außerdem mit einer ganzen Palette anderer krimineller Machenschaften in Verbindung, darunter Drogenhandel, Schutzgelderpressung und Betrug. Nach außen gab Tarik sich als Manager und Macher. Er bewegte sich in den einflussreichen Kreisen der Bremer Gesellschaft. Doch für viele galt er als der Kopf hinter den Clanaktivitäten in der Hansestadt.
Das war es, was Adrian dazu bewogen hatte, seinen ehemaligen Mitschüler aufzusuchen. Er war ein Krimineller – der Einzige, den er kannte. Und er schien schlau zu sein, denn es war noch keinem gelungen, ihm etwas nachzuweisen.
»Vielleicht kannst du mir trotzdem helfen«, sagte er.
»Weil du was klauen willst und denkst: He, der gehört zu einer Verbrecherbande, der macht das schon für mich? Voll das Klischee, Mann!«
Adrian schüttelte den Kopf. »Nein, weil ich das, was ich plane, keinem anderen zutraue. Ich kann das nur mit dir zusammen durchziehen … oder gar nicht.«
Er musste verzweifelter ausgesehen oder geklungen haben als beabsichtigt. Tarik ließ ihn reden und hörte sich seinen Plan an. Er stellte einige Fragen und wollte alles genau erklärt haben. Am Ende klatschte er in die Hände, lachte und sagte Adrian seine Hilfe zu.
»Aber nicht wegen des Geldes, Mann, sondern weil du’s bist.«
Adrian hatte an der Universität einen regen Handel mit Informationen und Dienstleistungen begonnen: von den Fragen und Aufgaben bevorstehender Klausuren über technische und logistische Unterstützung bei mündlichen Prüfungen bis zu kompletten wissenschaftlichen Arbeiten. Alles klappte reibungslos. Die Hacker hinterließen keine Spuren, die Mikroohrhörer arbeiteten einwandfrei, und die »Ghostwriter«, die Tarik weiß der Teufel woher auftrieb, lieferten ihre Ergebnisse stets pünktlich.
Adrian konnte es kaum fassen, was die Söhne und Töchter betuchter Eltern für einen Hochschulabschluss zu investieren bereit waren – oder deren Väter und Mütter für sie. Achtzig Prozent der Einnahmen gingen an den Clanführer. Dafür erhielt Adrian die Unterstützung, die er bis zum Bachelorabschluss benötigte, umsonst.
Tarik war ihm außerdem in der einen oder anderen privaten Angelegenheit behilflich, die über ihre geschäftliche Vereinbarung hinausging. Adrian hätte sich niemals als nachtragend bezeichnet. Doch er konnte die Demütigungen, die er in der Schule erlitten hatte, nicht vergessen. So kam es, dass sein früherer Mitschüler Claas, der mittlerweile in München Sport studierte, Opfer eines Unfalls mit Fahrerflucht wurde. Dabei erlitt er eine Knieverletzung, die seine Handballkarriere beendete. Frau Grieswald, ihre langjährige Klassenlehrerin, wurde kurz darauf als Sympathisantin einer irakischen Terrorgruppe entlarvt. Die Daten, die sich im Cloudspeicher ihres PUCs fanden, führten zu ihrer Entlassung aus dem Schuldienst.
Adrian war sich stets darüber im Klaren gewesen, dass man viel Geld benötigte, um daraus mehr Geld zu machen. Nach dem Bachelor hatte er genau gewusst, wo und wie er investieren musste. Die nötigen Mittel wollte er sich aber weder von Tarik leihen, noch gehörte er zu denjenigen, die eines Tages Millionen erben würden.
Also galt es, eine Frau zu heiraten, die über ein gewisses Vermögen verfügte.
Bei diesem, dem zweiten Teil seines Plans, war Adrian der Zufall zu Hilfe gekommen, der ihn an der Universität in eine Arbeitsgruppe mit Marlies führte.
Hätte die junge Frau ihn nicht angesprochen, wäre sie ihm nicht aufgefallen. Marlies hatte schöne braune Augen, das musste er zugeben. Leider war sie eher klein und für seine Begriffe zu flachbrüstig. Als sie ihn anlächelte, bemerkte er eine leichte Fehlstellung ihres Oberkiefers, die sie offenbar nicht behandeln ließ. Ihre mausblonden Haare trug sie zu kurz und hatte auch sonst wenig Sinn für Mode, fand er. Dazu kam, dass sie als überdurchschnittlich klug galt und sich in Frauengruppen engagierte – für Adrian eigentlich ein absolutes No-Go.
Eine kurze Recherche ergab jedoch, dass sie Einzelkind, ihre Mutter tot und die Familie vermögend war. Außerdem hatte ihr Vater Krebs im Endstadium. Das ließ Adrian über alles andere hinwegsehen. Er warb um die junge Frau so zielstrebig, wie er jedes Projekt verfolgte. Es dauerte nicht lange, bis Marlies und er ein Paar waren. Als sie ihn das erste Mal mit nach Hause nahm und ihrem Vater vorstellte, sah er sich am Ziel seiner Träume. Der Mann war ans Krankenbett gefesselt, und nach dem, was sie ihm erzählte, hatte er höchstens noch zwei Monate zu leben.
Am nächsten Tag fragte Adrian sie, ob sie ihn heiraten wollte. Vier Wochen später fand in ihrem Elternhaus eine traditionelle Trauung statt.
Doch ihr Vater wollte nicht sterben. War es, weil er seinen Schwiegersohn durchschaute? Adrian wusste es nicht. Und dann tauchte auch noch dieser Doktor Yang auf und brachte alles durcheinander …
Rückblickend betrachtet hatte der Doktor Schuld, dass nichts mehr so gelaufen war wie geplant. Marlies hatte sich mit ihrem Vater nach Singapur abgesetzt und war von der Bildfläche verschwunden. Seitdem sprach sie mit Adrian nur noch aus weiter Ferne. Sie war vorsichtig und traf Sicherheitsmaßnahmen, ließ ihn nie mehr als ihre Augen sehen und fasste sich kurz. Meistens endeten die Gespräche damit, dass sie ihn beschimpfte.
»Ihr Heli steht zum Abflug bereit, Adrian«, riss ihn der PUC aus den Gedanken. Das Gerät unterstrich die Erinnerung mit einem sanften Vibrieren.
»Verstanden«, sagte er, um die Benachrichtigung abzustellen. Er straffte die Schultern und ging zur Garderobe. Nachdem er den Regenschirm vom Haken genommen hatte, verharrte er für einen Moment vor dem Spiegel und musterte sich von oben bis unten. »Du bist kein Arschloch«, bestätigte ihm sein gut aussehendes Gegenüber. »Du bist ein Mann mit einem Plan.« Adrian nickte seinem Spiegelbild zu und öffnete den Fahrstuhl, der ihn auf das Dach bringen würde.
»Ihre voraussichtliche Flugzeit nach Luxemburg beträgt drei Stunden und zehn Minuten«, meldete der PUC sich zu Wort. »Bitte denken Sie daran, vor Ihrem Abflug eine Toilette aufzusuchen.«
»Leck mich«, gab Adrian zurück.
Die Reaktion war so professionell, wie er es von einem Communicator dieser Preisklasse erwarten konnte: »Aktion nicht ausführbar«, informierte ihn die aufregende Frauenstimme.
4·Aussicht auf mehr
Am Samstagvormittag ging bei Enno ein Auftrag der Stufe zwei ein. Der Touchscreen zeigte als Einsatzort die Gondel von Nummer 42. Enno tippte auf das blinkende Dialogfeld und bestätigte.
Nach einer angenehm kühlen Nacht war die Temperatur auf neunundzwanzig Grad geklettert. Er hätte den Einsatz auf die Abendstunden schieben können – in der Hoffnung, dass es bis dahin nicht mehr so heiß sein würde. Weil er abends jedoch ins Heaven wollte, fuhr er sofort zur Windkraftanlage hinaus.
Wie sich herausstellte, war das Anschlusskabel eines Sensors lose, der die Schwingungsdaten des Rotors im Lager erfasste. Enno ersetzte es durch ein neues, das er mit Tape sicherte. Ein Blick ins Protokoll bestätigte seine Vermutung, dass gestern ein Wartungstrupp in der Gondel gewesen war. Der Eintrag vermerkte den Austausch der Antriebswelle. Enno betrachtete das riesige Bauteil und war beeindruckt. Bei der Arbeit musste das Team das Kabel versehentlich ein Stück herausgezogen haben. Die Männer hatten sich gegen zweiundzwanzig Uhr ausgeloggt. Das erklärte wiederum, warum die Steuerzentrale in Achim erst am Morgen auf den Alarm reagiert hatte.
Auf dem