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da er sich immer anschnallte, bevor er losfuhr. Dies hatte ihm womöglich das Leben gerettet. Ja, so hatte sie es geträumt. Sie überlegte: „Was soll ich tun? Ich muss doch wissen, wie es ihm gesundheitlich ergangen ist. Ob er zu Hause ist? Ich werde anrufen, dann habe ich Gewissheit.“ Sie lief leise die Treppe hinunter in Urs Büro. Die Nummer der Angermayers hatte sie im Kopf, aber sie musste das Ferngespräch erst beim Fernmeldeamt in Pontresina anmelden. Hektisch schaute sie auf den Sekretär. Dann fand sie die Amtsnummer. Das Fräulein vom Amt meldete sich sofort, sie gab die Vorwahl von Deutschland und die Rufnummer an. Das Amtszeichen ertönte und eine verschlafene Stimme, die Rosel gehörte, meldete sich: „Ja, hier bei Angermayer, Herr Dr. Renner, haben Sie noch was vergessen oder – ist was mit meinem Bruder?“

      „Rosel, hier ist Ulli Giebelmeyer aus der Schweiz, was ist mit Fritz? Ich habe geträumt, er wäre verunglückt und im Graben gelandet. Ist er im Hospital, liegt er im Traunsteiner Krankenhaus? Wie schlimm ist seine Verletzung?“, fragte Ulli ganz aufgeregt.

      „Naa Madl, es hat ihn einer rammen wollen und er ist ihm ausgewichen. Zum Glück hat er nur ein paar Prellungen, eine leichte Gehirnerschütterung und einige Schürfwunden“, erklärte Rosel schlaftrunken. „Uschilein, schlaf gut, net aufregen. Der Bazi ist mal wieder zu schnell gefahren, es hätte schlimmer sein können. Aber du weißt ja, Unkraut vergeht nicht. Er ist es nicht wert, dass du dir Sorgen machst!“

      „Ich mache mir absolut keine Sorgen wegen dem Hallodri Rosel, aber er ist ein Teil meiner Kindheit und wie ein Bruder für mich gewesen.“

      „Ja, ich bin im Bilde, Ulli. Du meinst es gut mit ihm, er ist es nicht wert, host mi?“

      „In Ordnung, Rosel, pfüet di, gute Nacht!“

      „Gute Nacht, Ulli, i werd Grüße ausrichten und er wird sich sicher selber melden, wenn er erfährt, dass du angerufen hast.“

      „Servus Rosel.“

      „Servus Ulli!“

      Sie legte den Hörer auf und dachte bei sich: „Dieser Malefiz-Bua. Na, mir sollst recht sein.“ Sie wollte sich zum Gehen wenden, da stand Diether plötzlich hinter ihr und fragte besorgt: „Was ist passiert, Kleines? Ist etwas mit deiner Mutter?“

      „Ach, Diether, ich hab geträumt, Rosels Bruder wäre mit dem Auto verunglückt. Es kam ihm ein Geisterfahrer entgegen, aber er konnte ausweichen und ist im Graben gelandet. Darum habe ich bei Angermayers angerufen, da ich wissen wollte, ob es sich so zugetragen hat. Er hatte tatsächlich einen Unfall auf dem Heimweg von Rosenheim nach Trostberg. Er liegt im Krankenhaus von Traunstein. Verdammt, und ich dachte, es wäre mit der Träumerei endgültig vorbei. Herrschaftszeiten, jetzt geht das wieder los! Welche Geschichten werde ich wohl von dir träumen, Diether, wenn du in die Berge fährst, Karakorum und sonst wo hin.“

      „Mei, Madl, du brauchst koa Angst haben um mich. Unsere Ausrüstung ist perfekt, wenn wir die Siebentausender besteigen. Auch net bei der Matterhorn-Nordwand, weil ich sie schon kenne. Mich reizt es nur, sie alleine zu durchsteigen!“, beruhigte er sie leise.

      Mitten im Gespräch ging Marieles Schlafzimmertüre auf. Diese war ganz erstaunt, die beiden in Urs Arbeitsraum vorzufinden. „Nun sagt amoal, ihr Nachtgeister, was spukt ihr denn um halb vier in der Früh am Telefon? War mitten in der Nacht ein Anruf gekommen oder weshalb hockt ihr zwoa hier unten und seid’s nicht im Bett?“, fragte Mariele.

      „Gut, auf die Schnelle, Tante: Ich hatte wieder einen Albtraum. Der Bruder meiner Freundin Rosel wäre verunglückt, und zwar mit dem PKW. Deswegen habe ich die Rosel angerufen. Und die hat mir bestätigt, was ich wieder einmal gesehen hatte.“

      „Oh grüne Neune, geht das schon wieder los. Erst mit der Bande und jetzt das wieder, mein Gott, Madl.“

      „Dös hab i zu Diether auch gesagt! Aber, Patentante, es ist, wie es ist, man kann nichts daran ändern, das hat der Psychologe damals gesagt“, antwortete Ursula traurig. „Denk an Tante Clarissa, bei ihr ist das Phänomen immer noch vorhanden, genau wie bei mir.“

      „Nun, ihr zwei, aber marsch in die Federn, i hol mir mei Milli und bin auch gleich wieder in der Heia!“, sagte die Patentante und verschwand in der Küche. Die beiden gingen ebenfalls nach oben und legten sich wieder zum Schlafen nieder.

      *

      Der Verlorene am Piz Bianco

      Über den Berggipfeln war Ruh und der Mond zog oberhalb der Berninagruppe seine Bahn. Am Firmament glitzerte das Mondlicht silberhell jenseits des Biancogrates, um eine verlassene, verlorene und einsame, männliche Gestalt zu bescheinen. Mühsam kämpfte der Mann sich den steilen Weg hinauf. Ohne Steigeisen und Pickel, weder mit einem Seil noch mit Eishaken oder sonstiger Kletterausrüstung stieg er mühselig weiter bergan, um auf den Gipfel des Piz Bianco beziehungsweise den des Piz Bernina zu gelangen. Hinter ihm waren die Männer des Schweizer Bundesheeres, einer Spezialeinheit der Heeresbergführer, die ihn jagten. Er war der Kapuzenmann, der an der Diavolezza Bergstation entwischt war, als man im Begriff war, die Bande zu verhaften. Stunden hatte er gebraucht, bis er hier oben mitten auf dem Grat den Steig zum Gipfel des Piz Bianco erstiegen hatte. Gegen die Steilheit dieses Berggrates ankämpfend, der sich dann als Himmelsleiter entpuppte, schob er sich diesem weißen Berg entgegen: 3995 Meter war der Berg des Grates hoch. Sein Ziel war die Marco e Rosa-Hütte des C.A.I Sondrio. Aber bis dahin hatte er noch einen weiten Weg vor sich: Er musste den Hauptgipfel, den Piz Bernina, den einzige Viertausender der Ostalpen, ersteigen, aber nicht nur den, denn dann ging es über den Piz Alv und ein Stück über den Spallagrat hinunter und über Schneefelder und Spalten zur italienischen Hütte. Dass der Flüchtling über diese besagten Gipfel musste, das wusste er nicht. Hätte er es gewusst, er wäre mit Sicherheit nicht auf diese Himmelstreppe gestiegen. Es war ein Höllentrip und sein Wille war es, zu überleben. Aber das wäre nur möglich gewesen, wenn er wie ein Bergsteiger eine spezielle Ausrüstung dabei gehabt hätte. Da half auch kein Spezialtraining in den Anden. Er war am Ende seiner Kräfte, seine Lungen schmerzten, sein Atem ging schwerer. „Nur einmal kurz hinsetzen, ausruhen, ich kann nicht mehr“, dachte er bei sich. „Sollen sie mich doch finden.“ Es war aussichtslos. Mitten auf dem Grat des Piz Bianco fiel er auf die Knie und krabbelte auf allen vieren bis zum Beginn der Felsen empor. Dort ließ er sich erschöpft nieder und schloss die Augen. Sein Herz raste, sein Kopf dröhnte, er sah nichts mehr, die Schneeblindheit hatte seine Augen erfasst. Sein Weg des Lebens war hier und jetzt zu Ende.

      Am nächsten Morgen fand ihn Uerli, der Pilot, mit dem Helikopter. Uerli war mit dem Heli von der Basis Air Pontresina aus aufgestiegen, um nach ihm zu suchen. Er gab die Meldung durch, dass der Gesuchte gefunden worden war.

      Bei Urs Sutter klingelte an diesem Morgen, als er beim Frühstück saß, das Telefon. Schimpfend stand er auf und meldete sich.

      „Hallo Urs, hier ischt Uerli. Bin mit dem Hubschrauber uffgestiege. Han den Vermissten gefunde am Biancograt. Er ischt erfrore und net mehr weiterkumme, der Kollege von der Air Base soll ihn mit der Seilwinde heruffhole. Aber den Doktor müsset ihr mitbringe, um zu schaue, ob er noch am Läbe ischt, die Vorschrift halt, Urs.“

      „Hab verstande, Uerli!“, antwortete Urs.

      „Bischt so guet, Urs, und gebest Bescheid fürs Gelinge.“

      „Ischt in Ordnung, Uerli. Salü!“ Urs legte den Hörer auf. Er machte sich ein paar Notizen und ging wieder frühstücken. Es war noch sehr früh am Morgen, alle andern schliefen noch. Laut gähnte er und dachte bei sich: „Junge, du kannst noch ein paar Stunden auf der Couch ausruhen.“ Gedacht, getan. Er ließ sich nieder und es dauerte keine Viertelstunde, da hatte ihn die Müdigkeit überwältigt.

      Ursula hatte gut geschlafen. Leise zog sie ihren Trainingsanzug an und schlich aus dem Zimmer. Geräuschlos stieg sie die Treppe hinab, huschte zur Haustüre hinaus und begab sich im Dauerlauf hinunter zum Diavolezza-See. Sie drehte zuerst eine langsame Runde, machte Lockerungsübungen und merkte bald, dass man in dieser Höhe alles etwas ruhiger angehen musste. Ihr Atem wurde kürzer, sie spürte ihre Lungen beim Luftholen. Nach der zweiten Runde um den See lief sie zurück zur


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