Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster. Torsten W. Burisch

Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster - Torsten W. Burisch


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einen Drachenangriff überlebt?“

      „Natürlich gibt es Menschen, die behaupten, ihren lodernden Flammen entkommen zu sein. Das sind allerdings auch die Leute, die dir sagen, dass sie schon einmal ein Einhorn gesehen haben. Ich denke, ich muss also deine Frage mit einem entschiedenen Nein beantworten.“ Auch wenn Dantra davon überzeugt war, dass er es niemals mit einem Drachen zu tun bekommen würde, ging er dennoch an diesem Abend mit einem unguten Gefühl zu Bett. Er starrte noch lange die dunkelbraunen Deckenbalken an und grübelte über das Erlebte nach. Erst als die Dunkelheit das schwindende Licht endgültig besiegt hatte, kroch die Müdigkeit an ihm hoch und ließ ihn einschlafen.

      Am nächsten Morgen verrichtete er seine tägliche Arbeit, ohne Zeit zu vertrödeln. Die Ankündigung von E’Cellbra, mit ihm die Beherrschung seiner Kraft unter Stress zu trainieren, trieb ihn an.

      Am frühen Nachmittag war es so weit. Sie hatte sich ihren Gehstock und einige Stoffsäckchen gegriffen, einen mit Wasser gefüllten Lederschlauch umgehängt und schlug nun einen Weg ein, den sie, wie Dantra feststellte, bis dahin noch nie gegangen waren. Er führte sie tief in den Fons-Teil des Kampen. Ihr Schritttempo war überraschend normal und ließ Dantra gut mithalten. Ihm schien es die perfekte Gelegenheit für eine Frage zu sein, die ihn schon seit langer Zeit beschäftigte und die er am Vorabend vergessen hatte zu stellen. Denn ihre Laune und ihr Mitteilungsbedürfnis waren, zumindest für ihre Verhältnisse, auch heute noch ausgesprochen gut.

      „Sag mal“, fing er zögernd an, „warum hilfst du Tami und mir eigentlich? Ich meine, was hast du davon? Es ist doch sicher gefährlich für dich, Fremde bei dir aufzunehmen. Du wusstest doch gar nicht, ob du uns vertrauen konntest.“

      „Gefährlich war es schon“, sagte sie nach kurzem Zögern, „aber über meine Hochachtung vor deinem Vater haben wir ja bereits gesprochen, und außerdem bittet man mich ja nicht jeden Tag um einen Gefallen.“

      „Du wurdest von jemandem gebeten, dich um uns zu kümmern?“ Dantra konnte seine Überraschung über diese Antwort nicht unterdrücken.

      „Ja“, erwiderte E’Cellbra kurz und schwieg.

      „Von wem?“, drängte Dantra sie. Er konnte nicht glauben, dass er ihr immer alles aus der Nase ziehen musste. Vor allem bei solch einem wichtigen Thema.

      „Einige Tage bevor Tami ihren neunzehnten Geburtstag feierte, kam ein Mann zu mir. Er sagte, er hätte eure Eltern gekannt und wäre der beste Freund deines Vaters gewesen. Von ihm wusste er wohl auch, wo er mich finden konnte. Er meinte, er hätte deinem Vater seinerzeit versprochen, sich um euch zu kümmern, wenn ihm oder eurer Mutter etwas zustoßen würde. Doch nun, kurz bevor es so weit war, dass er sein Versprechen einlösen konnte, hielt er es wohl für zu gefährlich, wenn man euch zusammen sähe. Und so bat er mich, dass ich euch aufnehme und auf diese für euch fremde Welt und ihre unzähligen Gefahren vorbereite.“

      Als sie den Satz beendet hatte, blieb Dantra nachdenklich stehen. Sie waren nun schon fast ein halbes Jahr bei der Hexe. Aber erst jetzt, und vor allem erst auf sein Nachfragen hin, erzählte sie ihm mit einer Selbstverständlichkeit, als würde sie über das Wetter reden, dass es anscheinend nicht weit entfernt jemanden gab, der mit großer Wahrscheinlichkeit über das Schicksal seiner Eltern Bescheid wusste. Er schloss zu der Hexe auf und ließ seinem Fragenrausch mit zorniger Stimme freien Lauf. „Wieso hast du uns das nie erzählt? Was hat er noch über unsere Eltern gesagt? Und wie kann ich ihn finden?“

      Nun war es E’Cellbra, die stehen blieb. Sie sah ihn mit einem Blick an, der ihm sofort klarmachte, dass von ihrer guten Laune nun nicht mehr viel übrig war. Sie streckte ihr buckeliges Kreuz, so gut es ging, durch und wuchs damit eine Handbreit in die Höhe. „Ich hätte es euch schon noch erzählt“, sagte sie leise, aber dennoch bestimmt. „Und über eure Eltern hat er nichts weiter berichtet. Und was das Finden anbelangt, hast du mir nicht zugehört? Er hält es für zu gefährlich, sich mit euch zu treffen. Also, selbst wenn ich wüsste, wo du ihn finden kannst, würde ich es dir nicht sagen. Und nun lass uns weiter.“ Sie setzte ihren Weg fort, und wie zu erwarten zog sie das Tempo dabei wieder einmal merklich an.

      Der Rest der Strecke verlief schweigsam. E’Cellbra unterbrach den Marsch erst, als sie an einem tiefschwarzen Waldabschnitt ankamen. „Wir sind da“, sagte sie und betrachtete dabei die vor ihnen hoch aufragende, dunkle Wand aus einer Pflanzenspezies, die Dantra völlig fremd war, mit großer Skepsis.

      Die Grenze zu dem übrigen Wald ringsherum schien peinlich genau eingehalten zu werden. Kein Blatt, kein Ast berührte das Dunkel. Die Pflanzenwand lief an der einen Seite einen Hang hinauf und verschwand dahinter, während die andere Seite nur einige Schritte von ihnen entfernt eine Ecke bildete, sich anschließend durch eine lange Senke emporzog und irgendwo in der Ferne verschwand.

      „Was ist das für eine grässliche Baumart? Schwarze Äste, schwarze Blätter, selbst die Büsche am Boden und das Erdreich selbst haben diese trostlose Farbe. Es sieht aus, als wäre dort drin tiefe Nacht, und das, obwohl doch die Sonne von Wolken ungehindert direkt darauf scheint.“

      „Es ist ein schwarzer Baumwald“, erklärte sie ihm, wobei ihre Stimme fast in einen Flüsterton absank. „Es gibt ziemlich viele von ihnen. Sie sind überall in Umbrarus zu finden. Meist an Orten, wo vor langer Zeit die Pocken oder die Pest alles menschliche Leben dahingerafft hat. Der Tod herrscht über den schwarzen Baumwald.“ Dantra war vor E’Cellbra noch nie einer Hexe begegnet. Doch wenn er früher darüber nachgedacht hatte, wie sich wohl die Stimme eines solchen Wesens anhörte, dann entsprach seine Vorstellung genau dem unheimlichen Ton, in dem E’Cellbra gerade den letzten Satz gesagt hatte. Er ließ ihm die Nackenhaare hochstehen und ein unangenehmes Kribbeln lief ihm entlang der Wirbelsäule den Rücken hinunter. „Der Tod?“, fragte er in einer Mischung aus Angst und Verwunderung, nun ebenfalls mit gesenkter Stimme.

      „Na ja.“ Dantra erschrak, denn E’Cellbra sprach jetzt wieder in normaler Lautstärke. „Ich will damit nur sagen, dass es dort drin Geschöpfe gibt, die vom Aussehen her den Anschein erwecken könnten, sie seien bereits tot. Was aber wirklich diese skurrilen Pflanzen wachsen lässt und warum die Tiere dort alles andere als gesund aussehen, weiß niemand so genau. Man kann nur darüber mutmaßen. Manche glauben, es sei dunkle Magie am Werk. Wenn es aber wirklich so ist, dann muss sie sehr mächtig sein, denn so was mit Zauberei zu erschaffen, hinterlässt Spuren, und von denen habe ich noch keine finden können. Die meisten sagen, und das ist auch meine Meinung, es liege daran, dass diese Orte seit vielen Jahren von den drei großen Völkern - den Menschen, den Elben und den Nalcs - gemieden werden. Selbst die Drachen haben Respekt vor dem Unerforschten und halten sich von ihm fern.“

      „Und niemand versucht herauszubekommen, was wirklich die Ursache ist?“

      „Niemand kann man nicht sagen. Ich zum Beispiel arbeite seit vielen Jahren daran. Aber es ist sehr schwer und vor allem gefährlich. Ich selbst sah mutige Männer, die mit gezücktem Schwert hineingingen und von denen man nie wieder etwas hörte. Verschollen in der Dunkelheit. Anfangs habe ich versucht, die Pflanzen auf ihre Beschaffenheit hin zu untersuchen, aber ...“ Sie machte einige Schritte nach vorn und zupfte eines der schwarzen Blätter von einem Baum. In dem Moment, in dem sie ihre Hand aus dem Schatten zog, zerfiel das Blatt zu so feinem Staub, das nichts von ihm übrig blieb. „Und ich kann auch nicht lang genug drin bleiben, um es dort zu untersuchen.“

      „Du warst da drin?“, fragte Dantra entsetzt und zeigte dabei mit dem Finger aufs Schwarze.

      „Wie ich bereits sagte, ich forsche seit vielen Jahren hier. Und wenn man einfach nicht weiterkommt, siegt irgendwann die Ungeduld über die Vernunft. Aber so habe ich wenigstens einige Fortschritte machen können.“

      „Fortschritte? Was für Fortschritte?“ Dantras Neugierde war geweckt.

      „Nun, ich habe einige der Tiere gesehen und konnte geeignete Abwehrstoffe gegen ihre Angriffe entwickeln.“

      „Sie greifen einen an?“

      „Warum glaubst du, dass du hier bist? Wenn ich dir bloß erzählen wollte, wie es dort drinnen aussieht, hätte ich das auch beim Abendbrot machen können. Dann wäre uns der


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