Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster. Torsten W. Burisch

Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster - Torsten W. Burisch


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wie man hier sagte, um Buße zu tun, den Rest des Tages in seiner Kammer verbringen. Eine erzieherische Maßnahme, die er bereits gewohnt war und die er in keiner Weise als lästig empfand. Ganz im Gegenteil. So musste er die Anwesenheit seiner ungeliebten Mitschüler wenigstens nicht mehr ertragen. Aber dieses Mal war es anders. Er war wesentlich aufgebrachter als sonst, nachdem Schwester Arundel, eine verbitterte alte Frau, bei der man den Eindruck hatte, sie würde jeden Tag aufs Neue ihren Eintritt in den Orden bereuen, die Tür hinter ihm geschlossen hatte. In Gedanken vertieft, flüsterte er vor sich hin: „Der Rabe. Er muss es gewesen sein.“ Urplötzlich prallte etwas mit einem lauten Klacken keine Armlänge von seinem Kopf entfernt an die Wand. Er zuckte zusammen und hob reflexartig die Hand schützend vor sein Gesicht. Noch bevor er sah, was ihn fast getroffen hätte, schimpfte er los: „Verdammt!“, gefolgt von einem gen Himmel gerichteten „’tschuldigung“. Er hasste es, wenn ihn etwas erschreckte, aber deshalb in einem Gotteshaus zu fluchen, war natürlich auch nicht richtig. Diese Einsicht half ihm jedoch wenig, wenn sein Mund mal wieder schneller als sein Verstand war, was leider sehr oft vorkam. Daher versuchte er, durch sofortige Reue Schadensbegrenzung zu betreiben.

      Dantra richtete sich auf, um zu betrachten, was seinen verbalen Ausrutscher verursacht hatte. Er war für sein Alter relativ groß. Bei der letzten jährlich durchgeführten Untersuchung des Hausarztes war er auf fast sechs Fuß gekommen. Er war schlank und ohne sichtbare Gebrechen. Kurz: ein ganz normaler Junge. Er ging zu einem taubeneigroßen Stein, der zwei Schritte vor ihm zum Liegen gekommen war. Als er ihn aufhob und ansah, verengten sich seine Augen und in Richtung Oberlicht brummelte er: „Biff, du Mistkerl, auch du wirst irgendwann dein Haupt vor mir senken.“

      Biff war sein größter Widersacher, und es war nicht selten, dass sie beide aneinandergerieten. Dantra wusste, dass er heute Morgen mit Essensdienst dran war. Diese Aufgabe verlangte unter anderem, Eier aus dem Hühnerstall zu holen, der im Innenhof stand. Die Gelegenheit, von den Schwestern unbemerkt einen Stein durch das Oberlicht zu schießen, das zum Hof hin auf Bodenhöhe gemauert war, würde sich Biff nicht entgehen lassen. Dessen konnte sich Dantra sicher sein. Denn er hätte an seiner Stelle genauso gehandelt. Charakterlich waren sie sich eben sehr ähnlich. Aber dennoch - oder gerade deswegen - hegten sie eine große Abneigung gegeneinander.

      Er spürte, wie der Zorn vom Vortag erneut in ihm aufflammte. Er schloss seine Hand um den Stein und holte aus. Mit voller Wucht warf er ihn in Richtung Oberlicht. Das Geschoss streifte dummerweise während seines Flugs die Kellerdecke und anstatt des Fensters traf es nun mit einem erneuten lauten Klacken die massive Kellerwand und wurde daraufhin zurückgeschleudert.

      Dantra versuchte erneut, Deckung hinter seinem Arm zu finden. Nur war es dieses Mal vergebens. Der Stein traf ihn an der Stirn, direkt über seinem rechten Auge. Der sogleich einsetzende Schmerz ließ ihn jämmerlich aufschreien. Er fasste sich an die Stirn und schaute anschließend auf seine Hand. Blut war nicht zu sehen, aber er bemerkte recht schnell, dass die Wucht des Aufpralls trotzdem Wirkung zeigen würde. Erst war die Folge seiner Torheit rot, kurz darauf wechselte sie in ein auf seine Augen farblich abgestimmtes Blau. Und das Ganze wurde außerdem durch eine buckelförmige Beule abgerundet. Diese ließ sich, zu seinem großen Bedauern, auch nicht durch seine relativ langen, struppigen dunkelblonden Haare verdecken. Beinahe wäre ihm ein weiterer Fluch über die Lippen gekommen, hätte sich nicht in diesem Moment ein Schlüssel von außen im Schloss gedreht.

      Die schwere Eichentür öffnete sich mit einem leisen Kratzen und das von Falten durchfurchte Gesicht von Schwester Arundel erschien. Grimmig und verächtlich sah sie ihn an. Wenn Dantra sich nicht täuschte, konnte er heute Morgen sogar eine Spur Ekel in ihrer Mimik lesen. Sie stand gut zwei Schritte von ihm entfernt, aber dennoch fiel ihr Blick sofort auf seine Stirn. Mit einer gewollt hörbaren Schadenfreude in der Stimme lästerte sie: „Na, haste dir den Kopf gestoßen? Bei manchen Menschen muss der Herr früh anfangen, sie für ihre Sünden zu bestrafen. Denn er weiß genau, dass diese verdorbenen Kreaturen es nicht einmal in der Ewigkeit, die zweifellos auf uns alle nach unserem Tod wartet, schaffen können, für ihre vielen Missetaten zu büßen. Und nun geh und hol dir Wasser aus der Zisterne.“

      Mit gesenktem Blick ging Dantra an ihr vorbei und nahm ihr dabei wortlos den Krug aus der Hand, den sie ihm entgegenhielt. Er schlurfte den dunklen, leicht moderig riechenden Kellergang entlang bis in einen kleinen Raum, der sich nach einigen Schritten zu seiner Rechten öffnete. Aus der Wand, die der Tür gegenüberlag, ragte ein kurzes Tonrohr, aus dessen Ende in Hüfthöhe Wasser in einen ummauerten Behälter plätscherte. Die aufgestaute Flüssigkeit quoll auf der anderen Seite mittels eines Überlaufes wieder heraus und wurde auf diesem Wege zurück in die Wand geleitet. Es handelte sich um kaltes, sauberes Wasser aus dem Wieselbach. Dieser hatte seinen Ursprung in der Werre, einem Fluss, der sich durch den halben Culter von Umbrarus zog.

      Schon vor geraumer Zeit hatte man dort einen künstlichen Bachlauf angelegt und so die Quelle des Wieselbachs, seinerzeit hieß er noch Eberbach, geschaffen. Damit konnte sichergestellt werden, dass die Orte hinter dem Kampen ausreichend mit Trinkwasser versorgt wurden. Der kleine Bach verließ das riesige Waldareal nahe dem Ort und zog sich dann einmal quer durch ihn durch. Die Erbauer des Klosters hatten die geniale Idee gehabt, einen Teil des Wassers vom Bach abzuzweigen und es über Tonrohre in die Kellergewölbe des Wohntraktes der Schwestern zu leiten. Über ein weiteres Rohr, das wesentlich länger war und ein ganzes Stück stromabwärts wieder auf den Bach traf, wurde das nicht benötigte Wasser zurückgeleitet. Somit war das Eberbachkloster das einzige Gebäude diesseits des großen Waldes, welches mit fließendem Wasser ausgestattet war. Und soweit Dantra wusste, war es sogar das einzige Gotteshaus in ganz Umbrarus, das mit so einem Luxus versehen war. Nachdem Dantra seinen Krug gefüllt hatte, ging er zurück zu seiner aufgezwungenen Nachtbehausung, wo Schwester Arundel im Türrahmen ungeduldig auf ihn wartete. Als er vor ihr stand, giftete sie erneut los: „Du bist ein Taugenichts, Dantra. Wenn es nach mir gegangen wäre, würdest du heute noch den ganzen Tag ohne Essen und ohne Unterricht in dieser dir gleichwertigen Kammer bleiben. Aber Schwester Oberin nimmt die meiner Meinung nach veraltete Regel, nach der man einem Schüler nicht mehr als eine Mahlzeit vorenthalten darf, viel zu genau. Die Tür jedoch, die du bei deinem kleinen Wutanfall gestern eingeschlagen hast, wird vorläufig nicht ersetzt.“

      „Ich habe die Tür nicht einmal berührt.“

      „Schweig, deine Lügen widern mich an. Geh und mach dich fürs Frühstück fertig, bevor ich der Versuchung, die Anordnung der Schwester Oberin zu ignorieren, nicht widerstehen kann und dich doch wieder hier einsperre.“ Ohne einen weiteren Versuch, sich zu verteidigen, stieg Dantra die steinerne Wendeltreppe hinauf, der man die bereits jahrzehntelange Benutzung an den tiefen Kuhlen in den Stufen ansehen konnte. Er ging den Flur entlang, bis er zu einer Kammer gelangte, deren eigentlich robust wirkende Tür in der Mitte fast auseinanderfiel. Nur die Tatsache, dass die beiden Hälften jeweils an einem völlig verbogenen Eisenscharnier hingen, verhinderte, dass sie endgültig zusammenbrach.

      Der Anblick, der sich Dantra in seiner Stube bot, war niederschmetternd. Am Vortag ging alles so schnell, dass er das Ausmaß der Verwüstung gar nicht wahrgenommen hatte.

      Er stellte den Krug mit dem Wasser auf die Fensterbank und machte sich frustriert daran, die durcheinanderliegenden Kleidungsstücke und Schulsachen zu sortieren. Der Großteil seiner Einrichtung war leider durch das, was sich auch immer hier drin abgespielt hatte, unbrauchbar geworden. Egal, ob es seine Holzpritsche war, die einst mit schweren Eisenketten und Scharnieren an der Wand befestigt gewesen war, sodass man sie hochklappen konnte, und die nun nur noch an einer Stelle in ihrer Vorrichtung hing. Oder sein Schreibtisch, der mit solch einer Wucht an die hintere Kammerwand geschleudert worden sein musste, dass man ihn als solchen nur noch erkannte, wenn man wusste, dass es einmal einer gewesen war. Auch seine Waschkommode, ein kleiner Holztisch mit einem Loch in der Mitte, in das eine emaillierte Schüssel einzuhängen war, glich dem Feuerholzhaufen im Speisesaal, allerdings eher demjenigen mit den besonders kleinen Stücken zum Feuerentzünden. Einzig die aus dickem Eichenholz gefertigte Wäschetruhe war unversehrt. Sie war lediglich aufgesprungen und hatte fast ihren gesamten Inhalt ungleichmäßig in der Kammer verteilt. Ansonsten waren von der Zerstörungswucht nur noch seine Waschschüssel und sein kleiner Dreibeinschemel verschont geblieben. Eine ernüchternde Bilanz.

      Aber woher kam


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