Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster. Torsten W. Burisch

Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster - Torsten W. Burisch


Скачать книгу
„Oder?“ durch den Kopf ging, packte ihn etwas am Fuß, zog diesen blitzschnell unter der Decke hervor und biss hinein. Dantra schrie auf und versuchte, den unsichtbaren Angreifer mit seinem anderen Fuß wegzutreten. Doch er hatte bereits von ihm abgelassen und der Tritt ging ins Leere. Ein hinterhältiges, aber bekanntes Lachen war irgendwo in der Dunkelheit zu vernehmen. Dann öffnete sich die Tür, deren Benutzung Dantra meiden sollte, und im von draußen hereinfallenden Licht war Malus zu erkennen, wieder breit grinsend und mit seiner Schleuder im Anschlag. Dantra konnte sich gerade noch rechtzeitig wegdrehen, um nicht dem heranschnellenden Stein mit seinem Gesicht zu begegnen. Als er wieder aufsah, war die Tür bereits beinahe wieder geschlossen und Malus verschwunden. Dantra sprang auf, und noch bevor die Tür endgültig ins Schloss gefallen war, hatte er sie hinter sich gelassen und setzte nun dem Übeltäter nach.

      Jedes Mal, wenn Malus um eine Ecke bog, wartete er anschließend so lange an der nächsten, bis Dantra ihn wieder sehen konnte. So rannten sie einige Zeit die Gänge entlang und hechteten dabei Treppen hoch oder runter. Als Dantra zum wiederholten Male um eine Ecke bog, war von Malus nichts mehr zu sehen. Jedoch hatte er kurz zuvor eine Tür zuschlagen hören. Langsam und schwer atmend ging er den Flur entlang. Hinter irgendeiner dieser Türen musste er sich verstecken. An manchem Durchlass hielt Dantra inne und lauschte. Neben seinen eigenen tiefen Atemzügen hoffte er, das Keuchen von Malus wahrnehmen zu können. Da! An der vierten Tür auf der linken Seite konnte er ein ganz leises Schnaufen vernehmen. Er legte seine Hand auf die goldfarbene Türklinke.

      „Öffne keine Türen!“, hörte er Akinnas Stimme in seinem Kopf, als würde sie neben ihm stehen. „Er schleicht sich in mein Zimmer, während ich auf der Toilette bin. Er jagt mir einen Höllenschrecken ein und beschießt mich mit seiner Schleuder. Auch wenn er nur ein verwöhntes Balg ist, was vor lauter Langeweile nicht weiß, wie es sich friedlich beschäftigen soll, was zu viel ist, ist zu viel!“

      Nach der Entschuldigungsrede an sich selbst drückte er langsam und möglichst geräuschlos die Klinke hinunter. Durch den entstandenen Spalt blickte er in das Zimmer. Es war nicht ganz so schön eingerichtet wie seins. Es sah eher verwohnt aus. Von Malus war allerdings nichts zu sehen. Er schob die Tür noch etwas weiter auf. An einem Tisch stand ein kleiner Mann, dessen vollbehaarter Rücken zum Buckel geformt war. Die Tür gab ein leises, kaum wahrnehmbares Knarren von sich. Der Mann drehte ruckartig seinen Kopf zur Tür und blickte Dantra aus dunklen Augen an, die tief in seinem kantigen Schädel saßen. Stumm wandte er sich wieder um und ging eilig rückwärts auf Dantra zu. Im gleichen Moment entzündete sich sein Buckel. Lodernde Flammen tauchten das ansonsten nur leicht erhellte Zimmer in ein flackerndes Licht. Geistesgegenwärtig zog Dantra die Tür von außen zu und ging seinerseits rückwärts, bis ihn die Wand gegenüber stoppte. Sein Herz raste.

      „Was war das?“ Er traute sich kaum zu atmen. Er bewegte sich nicht einmal die Flügelspannweite einer Mücke von der Wand weg. Erst als er sich sicher war, dass die Tür geschlossen blieb und sie allem Anschein nach auch kein Feuer gefangen hatte, ging er vorsichtig weiter den Gang entlang.

      Wieder lauschte er an den Türen, obwohl Malus sich wahrscheinlich längst von der Hetzjagd erholt hatte. Er kam an eine Tür, auf der mit großen schwarzen Buchstaben NICHT ÖFFNEN stand. War es wirklich gefährlich oder sollte es nur den Anschein erwecken? Dantra legte sich vor die Tür und spähte durch den Spalt zwischen Holz und Fußboden hindurch. Drin war es stockdunkel. Verdächtig. Wenn Malus sich hinter einer dieser Türen versteckt hielt, so würde er sicher kein verräterisches Licht entzünden. Er überdachte die ganze Sache nochmals, kam aber erneut zu dem Entschluss, die richtige Tür gefunden zu haben. Er legte abermals seine Hand auf die Klinke und drückte sie behutsam hinunter. Lautlos öffnete sie sich. Erst einen Fingerbreit. Alles ruhig und in der Tat stockdunkel. Zwei Fingerbreit. Die Tür schwang weiter unhörbar auf. Drei Fingerbreit. Das einfallende Licht wurde auf unnatürliche Art von der Dunkelheit verschluckt. Vier Fingerbreit. Zunehmende Kälte strömte aus dem Raum, zog sich an Dantras Arm entlang und an seinem Rücken hinunter. Fünf Fingerbreit. Ein moderiger, fauler Geruch fand seinen Weg in Dantras Nase. Sechs Fingerbreit. Im Türspalt wurde ein kleiner Knochen sichtbar. Sieben Fingerbreit. Erste Zweifel durchdrangen Dantras Entschlossenheit, alles Notwendige zu tun, um Malus zu bestrafen. Acht Fingerbreit. Ein Atemzug war hörbar. Aber nicht von Malus. Vermutlich nicht einmal von einem Menschen. Es hörte sich eher an wie von einem Wolf, der eine Fährte aufnimmt. Wie von einem sehr großen Wolf. Noch nicht ganz neun Fingerbreit. Dantras Instinkt schlug Alarm. Er stockte. Die Tür verharrte. Der Gedankenblitz: „Zumachen! Laufen! Nicht umsehen!“

      Eine Hand, eine Klaue, eine Sechs-Sporen-Kralle schoss aus der Dunkelheit hervor und packte Dantras Unterarm. Sein Atem stockte und ging dann unwillkürlich in ein stoßweises Luftholen über. Sein Herzschlag beschleunigte sich so schnell, wie eine Schlange für das Vorschnellen braucht, um ihrem Opfer ihr tödliches Gift zu injizieren. Er drückte seine linke Hand mit aller Kraft gegen die Tür und versuchte so, seine rechte wieder freizubekommen, sie aus dem Klammergriff zu lösen und sie wieder herauszuziehen. Von innen wurde ebenfalls gegen die Tür gedrückt. Die Krallen versenkten ihre Spitzen so tief in Dantras Haut, dass sein hervorquellendes Blut sie umschloss. Dabei kam die braune, von ledrig rauer Haut überzogene Kralle aber nicht weiter aus dem Raum heraus, sondern zog Dantra immer tiefer in die schaurige Dunkelheit hinein. Seine Gedanken ließen keinen Spielraum für die nahe liegendste Vorgehensweise: den Hilfeschrei.

      Stattdessen rang er mit der Frage, ob seine magische Kraft ihm hier irgendwie helfen konnte. Er musste, wenn er sie geballt auf die Kralle warf, das Risiko eingehen, dass sie ihm den Arm abreißen würde, wenn die Tür sich nicht weiter öffnete. Und wenn er die Kraft direkt auf die Tür prallen ließe, hätte es vermutlich zur Folge, dass er mit ihr in den Raum hineingezogen werden würde. Eine Tatsache, die es zu verhindern galt. Doch seine menschlichen Kräfte schwanden dahin. Der Kampf war aussichtslos. Er war bereits verloren, als er begonnen hatte. Die Schmerzen, die die Kralle hervorrief, vernebelten unaufhaltsam seine Sinne. Er war in kürzester Zeit so tief in die tödliche Falle hineingezogen worden, dass er sich mit der anderen ausgestreckten Hand nicht mehr abstützen konnte, sondern bereits mit seinem Unterarm gegen die Tür drückte. Ein Gefühl der Übelkeit befiel seinen zum Bersten gefüllten Magen, denn etwas glitschig Feuchtes umrankte die Finger seiner Hand, die für ihn schon nicht mehr zu sehen war. Die erste Kralle hatte nun seine Schulter erreicht. Und zog. Unverändert. Unaufhaltsam. Die Tür ihrerseits drückte. Gegen seine Rippen, gegen seine Hüfte, gegen sein Knie, das er nun ebenfalls als Widerstandspunkt nutzte. Doch auch der abermals aufkommende Zorn auf sich selbst, weil er wieder nicht auf Akinna gehört hatte, und die dadurch mobilisierten letzten Kraftreserven reichten nicht einmal annähernd aus, um auch nur eine Haarbreite an Raum zurückzugewinnen. Es gab nur noch eins: die magische Kraft einzusetzen, um die Schmerzen zu verkürzen und den zweifellos folgenden Tod zu beschleunigen.

      Er sammelte seine Konzentration, so gut es ihm möglich war. Das Weiß der Tür verschwamm vor seinen Augen. Aufsteigender Druck. Jetzt ... Eine leise Hoffnung zerriss die gespannte Sehne seines inneren Bogens. Seine Konzentration und seine magische Kraft ließen nach. Eine Hand. Im Augenwinkel sah er sie. Über seine rechte Schulter hinweg legte sie sich auf die sogleich regungslos verharrende Kralle.

      „Pss ... Freunde“, hörte Dantra ein leises Flüstern. Sein Kopf drückte bereits so stark mit der linken Seite gegen die Tür, dass es ihm unmöglich war, ihn zu drehen, um zu erkennen, wer dieser Bestie Einhalt gebot. Doch auf die Erkenntnis musste er nicht lange warten. Die Kralle löste sich aus seinem Arm, der kraftlos an Dantras Seite zurückfiel. Sogleich taumelte er schwindelig nach hinten. Die Tür fiel ins Schloss und das Blut lief langsam aus den Wunden den Arm hinunter, wo es aber nach kurzem Wege rasch trocknete. Dantra rang nach Luft, als hätte die Kralle nicht seinen Arm, sondern seine Kehle umklammert. Vor ihm stand der Baron, besorgt und fragend zugleich schaute er sich schweigend den geschundenen Arm an. Dantra selbst wusste nicht, was er sagen sollte. Es war für ihn eine höchst unangenehme Stille, bis der Baron endlich mit ihm sprach.

      „Ist sonst alles in Ordnung mit dir?“ Dantra nickte. Der Tonfall war so ausdruckslos, dass er immer noch nicht einschätzen konnte, ob der Baron wirklich besorgt war oder nur aus Höflichkeit die Frage gestellt hatte, innerlich jedoch wütend oder viel schlimmer enttäuscht war. „Gut. Das ist wirklich gut.“ Dantra war sich nun sicher,


Скачать книгу