Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster. Torsten W. Burisch
monströses Hinterteil. Man konnte sagen, dass seine Gedanken nicht einmal halb so bedeutsam waren, wie der Baron es ihm unterstellte. Von der Situation absolut überfordert, zuckte Dantra nur verlegen mit den Schultern. Der Baron schien seine Unsicherheit nicht zu bemerken oder aber übersah sie aus Höflichkeit.
Stattdessen fing er an, seine eigene in den Raum gestellte Kritik zu erklären. „Ich habe mit jedem von ihnen“, er zeigte in die Richtung, in der die Renlek verschwunden waren, „mit überhaupt jedem in dieser Burg, an diesem Tisch zusammen gegessen, getrunken und mich mit ihm unterhalten. Doch in jeder Gemeinschaft, gerade wenn es so eine ist wie die unsere, in der so viele unterschiedliche Individuen zusammenleben, muss jeder mit anpacken, damit sich das Rad der allgemeinen Zufriedenheit unaufhörlich weiterdreht. Hierbei achte ich natürlich darauf, dass die Aufteilung der Arbeit gabenorientiert erfolgt. Und die Renlek zeigen ein enormes Engagement, wenn es um die Bewirtung geht. Wieso sollten sie nicht durch diese Stärke ihren Beitrag leisten?“ Er sah Dantra mit einem selbstzufriedenen Lächeln an. Dieser zuckte abermals verlegen mit den Schultern und lächelte etwas verwirrt zurück. Ab diesem Moment versuchte Dantra, seinen Blick nur noch auf seinem Teller zu lassen, um möglichst unsichtbar für die alles sehenden Augen des Barons zu sein.
Er war heilfroh, als das Abendessen nach dem Nachtisch und drei Met-Runden, zu denen jeweils ein anderer Trinkspruch durch den Speisesaal geprostet wurde, sein Ende fand. Sie standen auf, verabschiedeten sich herzlich voneinander und wünschten sich eine angenehm friedliche Nacht. Anschließend verließen Akinna, Comal und Dantra, in genau dieser Reihenfolge, Refizul folgend den Saal. Sie stiegen eine der Treppen empor, die sich zu ihrer Rechten parallel zur Wand befand.
Als die drei vor Dantra bereits durch eine Tür in einen langen Gang abgebogen waren, spürte er einen stechenden, heftigen Schmerz am Rücken. Leise aufstöhnend schaute er sich um und sah Malus in der schweren Eichentür stehen. Er grinste ihn bis über beide Wangen an und winkte mit seiner Steinschleuder. Er ließ keinen Zweifel daran, dass er sich freute wie eine Maus mit dem Kopf in einem Laib Käse, dass er heute doch noch mit seiner Waffe einen Treffer landen konnte. Böse Worte oder gar eine gleichwertige Antwort empfand Dantra trotz der heftigen Schmerzen als unangebracht. Er folgte den anderen in den Flur, allerdings nicht ohne Malus so lange im Auge zu behalten, bis er vor einem eventuellen zweiten Treffer sicher war.
Akinna hatte Comal überholen lassen und wartete auf Dantra. „Was war das denn wieder für eine Aktion?“, fuhr sie ihn aufgebracht an. „Du bist mir manchmal echt unangenehm.“
„Wieso? Was meinst du denn?“, fauchte Dantra zurück, während er versuchte, die schmerzende Stelle an seinem Rücken mit der Hand zu erreichen.
„Ich habe dir doch ausdrücklich gesagt, wenn du Fragen hast, dann stell sie mir!“
„Ich weiß immer noch nicht, wovon du redest.“ Sie gingen weiter, um nicht den Anschluss zu verlieren.
„Na, die Sache mit den Bediensteten. Es ist doch mehr als nur unhöflich, den Gastgeber mit solchen Fragen in Verlegenheit zu bringen.“
„Bist du jetzt völlig von der Rolle?“ Dantra erhob ungewollt seine Stimme. Bremste sich aber selbst, noch bevor Akinna einen mahnenden Blick aufsetzen konnte. „Er hat die Frage doch selbst in den Raum gestellt.“
„Weil du sie gedacht hast“, erwiderte sie ihm.
„Er glaubte, dass ich das gedacht habe. Habe ich aber gar nicht.“
„Und warum hast du ihm dann nicht gesagt, was dir stattdessen durch den Kopf ging?“
„Weil ich mir in Wirklichkeit Gedanken darüber gemacht habe, dass die Renleks solche doofen Hosen tragen, dass es aussieht, als hätten sie Ärsche wie Wagenräder. Ich würde daher sagen, ich habe mit meinem Schweigen das kleinere Übel gewählt. Meinst du nicht auch?“ Er sah sie herausfordernd an. Eine Antwort bekam er aber nicht, da Refizul stehen geblieben war und eine Tür aufhielt.
„Dein gewohntes Zimmer, Akinna“, sagte er, wobei seine Augen es schafften, Freundlichkeit auszustrahlen, was dem Rest seines feuerroten Gesichts nicht gelang. Akinna bedankte sich ebenfalls herzlich und ging hinein.
Refizul setzte seinen Weg bereits fort, doch als Dantra ihm folgen wollte, hielt ihn Akinna am Arm zurück und ermahnte ihn: „Dann wähle heute Nacht auch das kleinere Übel und bleib auf deinem Zimmer. Egal, was passiert!“ Sie ließ von ihm ab und verschwand hinter der ins Schloss fallenden Tür.
Zwei Ecken und einige Türen weiter blieb Refizul erneut stehen. Er öffnete einen Raum, ließ Dantra mit einer höflichen Geste den Vortritt und erklärte ihm anschließend die Begebenheiten. „Hinter der Tür zu meiner Linken befinden sich die Wasch- und Notdurftverrichtungsmöglichkeiten. Die Tür gegenüber bietet eine zweite Möglichkeit, den Raum zu verlassen. Davon sollte man aber, wenn es sich vermeiden lässt, absehen. Denn es ist ein sehr großes Haus, in dem man sich schnell verirren kann.“ Refizul schaffte es, die mahnenden Worte im Gegensatz zu Akinna feinfühlig zu verpacken. „So, und nun wünsche ich dir eine angenehm ruhige Nacht.“ Er verließ das Zimmer, noch bevor Dantra reagierte und ihm ebenfalls eine gute Nacht wünschen konnte. Aber die Bewunderung für das, was er gerade betrachtete, hatte ihn völlig in Besitz genommen. Seine Augen glänzten, als würde er erneut zum ersten Mal einen Süßwarenstand sehen. Das Schlafgemach war nicht nur faszinierend schön, sondern makellos königlich. Das weiße Himmelbett war zweifelsohne das Prunkstück des Raumes. Das Daunenbettzeug war überspannt von einer hell- und dunkelblau karierten Tagesdecke, deren Farbbrücken mit einem zierlichen Goldfaden abgesetzt waren. Die vier Pfosten, die den Himmel trugen, deuteten mit ihren zurückhaltenden Farben und liebevollen Formen die vier Elemente an: Feuer, Wasser, Erde und Luft. Der Holzrahmen, den sie hielten, war wie der Seidenhimmel selbst dunkelblau mit kleinen goldenen Sternen darauf. Die Wände waren in einem warmen Beige gehalten, auf dem hin und wieder akkurat gezeichnete Blumenranken in einem hellen Braun von der Decke bis zum dunklen Buchenholzfußboden verliefen und dann und wann einen Bilder-, Tür- und Fensterrahmen mit einbezogen.
Ansonsten war es ein Zimmer, wie es sich für ein Adelshaus gehörte. Porträts von elegant wirkenden Vorfahren, edle Vorhänge vor den Fenstern, drei Ziertische, einer links, einer rechts vom Bett und der dritte neben einer der Türen. Dieser war flankiert von zwei Stühlen aus demselben Holz, deren Sitzpolster mit dunkelblauem Satin bezogen waren.
Es war ein Schlafgemach wie aus einem Märchen. Nur ohne böse Hexe und sinnloser Mission. Oder? Dantra verwarf seinen letzten Gedanken, da ihm eines der Worte Refizuls, das wohl doch sein Gehör gefunden hatte, in den Sinn kam: Notdurftverrichtungsmöglichkeit. Er ging durch die besagte Tür und war überwältigt von dem Einfallsreichtum. Die Waschmöglichkeit sah aus wie gewohnt, nur viel edler. Ein silberglänzender Krug, gefüllt mit klarem Wasser, neben einer in weißen Marmor eingelassenen, ebenfalls silbernen Waschschüssel. Doch die Toilette war eine Klasse für sich. Normalerweise war Dantra es gewohnt, wenn er durch das Loch hinunterschaute, neben summenden Fliegen das zu sehen, was jeder Mensch aus gutem Grund loswerden wollte. Hier war das anders. Eine Beschreibung an der Wand ließ jeden Gast die richtige Umgangsweise mit dieser zukunftsweisenden Konstruktion erlernen.
1. Ein Blatt durch das Loch auf das Holz legen, das sich zwei Handbreit tiefer befindet.
2. Notdurft verrichten.
3. Mit einer Hand den Hebel neben dem Loch nach vorn
drücken und gleichzeitig mit der anderen Wasser aus dem
Krug hinterhergießen. (Bitte nicht den silbernen Krug
nutzen, sondern den Emaillekrug auf der Erde.)
4. Immer dafür sorgen, dass der Krug anschließend wieder
mit ausreichend Wasser gefüllt ist.
Dantra folgte der Beschreibung und war entzückt, als das Holz beim Bedienen des Hebels nach unten wegkippte, sodass alles vorher dort Befindliche in die Tiefe stürzte. Nachdem er sich ausgiebig gewaschen hatte, ging er zurück in sein Schlafgemach. Nachdem er sämtliche Kerzen gelöscht hatte, kroch er unter das Bettzeug aus Seide und hatte sogleich das Gefühl, im Himmel selbst zu schlafen.