Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster. Torsten W. Burisch

Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster - Torsten W. Burisch


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Rücken um ein wesentliches Stück verlängerte, wurden von zwei der kleinen Männchen nach und nach in eine auf den Kopf gestellte Gemüsekiste getrieben. Über die gesamte Länge des Balkens waren unzählige kleine Parzellen angebracht, die wie Bienenstöcke aussahen.

      „Flusenläufer“, erklärte Akinna, ohne auf die Frage zu warten. „Sie haben sehr viele natürliche Feinde, daher sind sie besonders selten. Der Baron ist sehr stolz, dass er die kleine Kolonie überreden konnte, hierher umzusiedeln. Denn auch wenn er für ihre Sicherheit bürgen kann, ist ihnen die Entscheidung nicht leichtgefallen. Sie sind ein Volk mit Traditionen. Nicht nur innerhalb ihrer Gemeinschaft, auch was die Gefahren von außen angeht, haben sie ihre jahrhundertelang gepflegten Bräuche, damit umzugehen.“

      „Und was hatten sie für ein Problem, dass sie sich doch entschieden haben, hierherzukommen?“, fragte Dantra.

      „Genau dasselbe wie fast alle hier. Den Menschen. Er breitet sich und seinen Lebensraum aus, ohne dabei Rücksicht auf irgendjemanden oder irgendetwas zu nehmen. Aber das Thema Mensch und Anmaßung hatten wir bereits.“

      Als das Ende der Flusenläuferkolonne an Refizul vorbei war, setzten sie ihren Weg fort. Kurz bevor sie durch eine weitere Tür die Halle wieder verlassen wollten, erspähte Dantra in einer weiteren Bretterbucht ein schneeweißes, glänzendes Ross. Und obwohl er es nur von hinten sah, konnte er doch erkennen, dass dem Tier ein langes in sich gedrehtes Horn aus der Stirn wuchs.

      „Da ... da ...“, stammelte er.

      Das Ross drehte seinen Kopf in Dantras Richtung und zeigte ihm so seine ganze zauberhafte Pracht. Allerdings ebenfalls ein zweites Horn, kürzer und direkt unter dem anderen gelegen. Dieses zeigte bei gehobenem Kopf nicht gen Himmel, wie es das obere tat, sondern direkt nach vorn.

      „Ein Doppelhorn“, erklärte ihm Akinna, als sie durch die Tür und um die Ecke in einen schmalen Flur gelangten. Die Wände waren hier bis auf einige Haken, die in regelmäßigen Abständen angebracht waren, kahl. „Sie sehen einem Einhorn zum Verwechseln ähnlich. Nur zwei Sachen unterscheiden sie. Das zusätzliche Horn und dass das Doppelhorn real ist und nicht nur ein Mythos wie das Einhorn.“

      „Du glaubst also nicht, dass es Einhörner gibt?“

      „Ich glaube nur an das, was ich gesehen habe. Und ein weißes Ross von vollkommener Schönheit mit nur einem in sich gedrehten Horn war noch nicht dabei.“ Dantra sah sie staunend an. „Was?“, fragte Akinna irritiert.

      „Kennst du das Gefühl, eine Situation schon einmal erlebt zu haben? In diesem Fall waren es deine gerade gesprochenen Worte, die mir schon einmal genau so in den Ohren lagen.“

      „Wer soll das sein, der meine Einstellung in dieser Sache teilt und auch noch dieselben Worte wählt?“ Akinna starrte ihn gespannt und gleichzeitig streitlustig von der Seite an.

      „E’Cellbra war es, die fast genau dasselbe zu mir gesagt hat. Sie hält Einhörner ebenfalls für einen Mythos.“ Dantra sah nun seinerseits Akinna erwartungsvoll an. Diese schwieg jedoch und wendete den Blick von ihm ab. Allerdings nicht ohne Dantra in ihrem Gesicht lesen zu lassen, was sie gerade empfand: Stolz, Glück und eine ungeheure Zufriedenheit, dass sie mit der von ihr so bewunderten E’Cellbra einer Meinung war.

      Sie bogen nun in eine Art Vorhalle ein, von der aus mehrere Treppen nach oben führten. Die breiteste von ihnen zog sich wuchtig aus der Mitte des Raumes nach oben. Die Stufen, die im Viertelkreis angelegt waren, teilten sich auf halber Höhe in zwei schmalere Treppenläufe, die von dort nach links und rechts weiter hinaufführten. Diesen monströs, aber geschmackvoll wirkenden Aufgang ließen sie ungenutzt hinter sich und strebten stattdessen auf eine schwere zweiflügelige Eichenholztür zu. Sie war mit glänzend schwarzem Eisen beschlagen und mit der Zeichnung eines Wappens verziert, das von Anmut und Pracht zeugte.

      An den Wänden links und rechts von Dantra führten nochmals je zwei Treppen nach oben. Sie verliefen parallel zur Wand und jede von ihnen wurde von drei Podesten unterbrochen. Die zu jedem Treppenabsatz gehörenden Türen, die das Dahinterliegende verschlossen, waren zwar wesentlich einfacher und schlichter angefertigt, jedoch zeugten auch sie von hoher Handwerkskunst. Die Wände hingegen waren nackt und kalt.

      „Ich war zwar noch nie auf einer Burg oder in einem Schloss, aber wenn die Bilder in den Büchern, aus denen ich mein zugegeben ausbaufähiges Wissen habe, nicht völlig nutzlos waren, müssten doch Gemälde wichtiger Ahnen, Waffenschmuck und Ritterrüstungen dem Ganzen etwas mehr Glanz verleihen, oder? Ich meine, diese beeindruckende Tür und die große Treppe hinter uns sehen in ihrer Pracht doch etwas verloren aus“, merkte Dantra an.

      „Der Beruf des Barons lässt ihn finanziell gut dastehen. Das war bei seinen Vorfahren allerdings nicht immer der Fall. Und auf so einem Anwesen zu leben ist kostspielig. Da mussten die einen oder anderen Abstriche gemacht beziehungsweise Notverkäufe getätigt werden. Der Speisesaal allerdings, den wir jetzt gleich betreten, ist von dieser traurigen Notwendigkeit weitestgehend verschont geblieben. Du kannst dich also darauf freuen, den Bildern in deinen Büchern nun gleich in der Realität zu begegnen.“

      Akinna hatte nicht zu viel versprochen. Als die majestätische Tür nach einem leisen Klopfen von Refizul von innen geöffnet wurde, bot sich ein Anblick von königlicher Anmut. Der lang gezogene Saal war mit schwarzem Marmor ausgelegt, dessen Verbund von dezenten, lieblichen Mosaikkunstwerken in regelmäßigen Abständen unterbrochen war. Die Wände waren mit blau-goldenem Seidendamast bespannt, der im exakten Einklang mit den Hintergründen der aufgehängten Porträts stand. Diese waren eingerahmt von verschnörkelten, goldüberzogenen Bilderrahmen.

      In den vier Ecken des Raumes waren Ritterrüstungen aufgestellt, die mit Lanzen bewaffnet waren. An den beiden langen Wänden standen nochmals je zwei davon, die allerdings mit Schwertern bewaffnet in kampfbereiter Pose standen. Hinter ihnen waren mannsgroße, bis zum Marmorboden reichende, geschwungene Spiegel angebracht, die man der Kupferepoche zuordnen konnte. Der Übergang von der Wand zur Decke war mit Stuckaturen kunstvoll hervorgehoben, die mit ihrem leichten Gelbstich den imposanten Glanz unter ihnen wie mit einem Heiligenschein krönten. Die Decke selbst war mit Bildern verziert, die Figuren und Begebenheiten aus der umbrarischen Mythologie darstellten. Und die zwei Kronleuchter, die von ihr hinabhingen, waren verziert mit unzähligen tropfenförmigen Glassteinen in den verschiedensten Größen, die das herabfallende Licht der zahllosen Kerzen brachen und so anmutig wie eine Sternenansammlung wirkten. Das Mobiliar war in dunklem Eichenholz gehalten. Einige Ziertische waren mit für diese Gegend überraschend bunt blühenden Blumengestecken geschmückt. Doch der Hauptblickfang war ohne Zweifel der Esstisch. Während Stuhlhussen die weich gepolsterten Sitzgelegenheiten in ein mattes Silber tauchten, war der Tisch selbst aus dem dunklen Holz gefertigt, wobei jedes der acht Beine eine andere Tierpfote darstellte. Die Tafel war eingedeckt mit silberglänzendem Besteck, Tellern, reich gefüllten Schalen, opulent belegten Fleischplatten und bis zum Rand wahlweise mit Wein, Wasser oder Blütenmet gefüllten Karaffen. Nur die Gläser ließen fürstliche Ansprüche vermissen. Genauer gesagt waren sie nicht einmal aus Glas. Es waren einfache Holzbecher, die dem Gesamtbild etwas die Vollkommenheit nahmen.

      „Meine lieben Gäste.“ Um den Tisch herum waren noch einige Stühle unbesetzt. Auf den anderen hatten zwei ältere, verschrobene, aber glücklich aussehende Damen Platz genommen. Ihnen gegenüber saß ein Junge mit rundem Kopf, leicht untersetzter Figur und einem freundlichen Lächeln auf dem blassen Gesicht. Zwischen den dreien, am Kopfende, hatte sich ein Mann erhoben, der Dantra sehr stark an den Ortsvorsteher seines Dorfes erinnerte. Die drahtige Figur war vornehm gekleidet, er hatte gepflegte dunkelblonde Haare und ein Strahlen in den Augen wie ein Bauer beim Betrachten einer Regenfront nach einer vierteldauernden Dürre. „Meine über alles geschätzte Akinna“, fuhr er fort und kam dabei auf die Elbin zu. Er nahm ihre Hand in die seine und deutete einen Handkuss an. „Es tut so gut, dich wiederzusehen.“

      Dantra wäre das Gerede normalerweise viel zu aufgesetzt und zu schnulzig gewesen. Jedoch sprach der Baron mit so einer Begeisterung, dass es sich einfach nur ehrlich anhörte. Und zu Dantras Verwunderung begrüßte er nicht anschließend ihn, sondern den etwas nach hinten versetzt stehenden Comal.

      „Ein Nalc


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