Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster. Torsten W. Burisch
bestätigte Akinna. „Jedoch wird die Dämmerung dadurch früher eintreffen. Und das wiederum bedeutet, dass wir den Rest des Weges im Laufschritt hinter uns bringen müssen.“
Für einen Moment wurde Dantra schwach. Er wollte ihnen gerade erklären, dass sie ohne ihn weitermussten, da er für sich keine Chance sah, nach dem bisherigen Gewaltmarsch nun auch noch zu rennen. Sein Körper, seine Lunge und vor allem sein innerer Schweinehund drängten ihn förmlich dazu, klein beizugeben. Doch als die anderen beiden ihn erwartungsvoll ansahen, allerdings beide nicht mit einem Blick, der seine geplante Reaktion erwartete, sondern eher Mut machend mit einem Ausdruck, der ihm sagte: „Du schaffst das, du musst es schaffen“, zögerte er. Er sah Akinna in die Augen, dann Comal. Schließlich nickte er. „Ich weiß zwar nicht, wie, aber irgendwie muss es ja gehen.“ Es hörte sich zwar in keiner Weise optimistisch an, schien Akinna aber zu reichen. Sie setzte den Marsch fort. Allerdings in gleicher Geschwindigkeit wie bisher.
„Ich will euch erst noch etwas über diese Gegend und über unser Nachtquartier erzählen“, erläuterte sie ihnen. „Wenn wir erst da sind, müssen wir sicher sofort nach drinnen verschwinden und dann ist es unangebracht, über den Hausherrn und seine Gepflogenheiten zu reden. Also, das hier ist das Moor Braunenbruch. Hört sich erst mal ziemlich unspektakulär an. Jedoch gibt es viele Geschichten und Mythen, die diesen zugegebenermaßen weitläufigen Ort umgeben. Ich jedoch gebe nicht viel auf dieses Gerede. Das Problem ist der Nebel. Er ist immer, zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter, da. Es gibt dafür keinen plausiblen Grund. Und wie immer, wenn Menschen etwas nicht mit Logik erklären können, hat das Phänomen übernatürliche Wurzeln. Und für die meisten Leute bedeutet Übernatürlichkeit gleich böse Mächte. Aber wie dem auch sei, mir ist noch nie etwas aufgefallen, was mich beunruhigt hätte. Also verschwendet daran keine Gedanken. Weshalb ich das trotzdem erzählt habe, hängt mit unserer Nachtunterkunft zusammen. Vor ungefähr 250 Jahren wurde das Land von König Egief dem Zweiten regiert. Er wurde vom Volk hinter vorgehaltener Hand als der reichste König aller Zeiten betitelt. Aber nicht wegen seiner großen Macht, des Geldes und der Ländereien. Nein. Der Titel bezog sich auf seine Angst. Seinerzeit sagten die Menschen von Umbrarus, dass sie mutiger seien, als die Nalcs und die Elben zusammen, denn ihr König habe so viel Angst, dass sie für alle seine Untertanen ausreiche. Eine Schmach, die seine Majestät, als sie davon erfuhr, natürlich nicht auf sich beruhen lassen konnte. Also beschloss der Herrscher, in einem Teil seines Reiches, vor dem bekanntlich ein jeder Angst oder zumindest eine gehörige Portion Respekt hatte, eine Burg zu bauen.“
„Er baute sie hier in diese Sumpflandschaft?“, warf Dantra ungläubig ein und blickte dabei verständnislos in die Trostlosigkeit, die ihn umgab.
„Genau das tat er. Man mag es nicht glauben, aber es gibt tatsächlich einen trockenen Flecken Erde in diesem Sumpf. Und so wurde getan, was befohlen wurde. Die Bauzeit betrug stolze zwölf Jahre. Was zum größten Teil daran lag, dass der König unentwegt die Baupläne änderte. Doch am Tag der Einweihung geschah etwas, das das Vorhaben des Königs, hin und wieder auf der Burg zu residieren, unwiderruflich zunichtemachte. Aber dazu komme ich gleich. Er nannte die Burg Sternberg. Wenn schon kein Berg da war, auf dem er sie errichten konnte, so sollte doch wenigstens einer im Namen vorkommen. Der Stern rührt daher, dass er seine Frau Gemahlin immer mit mein liebster Stern angesprochen hat. Und um sie wegen der schwindelerregenden Kosten, die der Burgbau verschlungen hatte, milde zu stimmen, beschenkte er sie mit der Ehre, in gewisser Weise die Namensgeberin des Gebäudes zu sein. Er ließ in das Fenster des großen Saals einen weißen Stern einarbeiten. Da es ein sehr großes Fenster war, hatte der Stern den Durchmesser eines kleinen Hauses. Er wirkte gigantisch. Allerdings entsprach er nicht ganz den Vorstellungen des Königs. Seiner Meinung nach sah er aus wie eine Sonne und nicht wie ein Stern. Und so kam es, dass der Handwerker, der das Fester gebaut hatte, gerade einmal einen Krato als Bezahlung bekam. Was ihn natürlich nicht für seine Mühe entschädigen sollte, sondern vielmehr ein Zeichen des Spotts war. Als dann der König mit seinem gesamten Hofstaat am besagten Einweihungstag das Burgtor durchschritt, verfärbte sich der Stern von oben nach unten, von schneeweiß zu pechschwarz. Zur gleichen Zeit zog ein Gewitter von selten da gewesener Stärke über die Burg. Ein jeder der Anwesenden sah sich dem sicheren Tod gegenüber. Panisch verließen sie die Burg und keiner von ihnen kam je zurück. Jahre später, nach dem Tod des Königs, erschien ein junger Mann am Hofe der Witwe und erwarb von ihr die Burg für einen obligatorischen Krato. Im Volk sagt man noch heute, dass er der Sohn des Handwerkers wäre, der seinerzeit das Fenster gebaut hatte. Und das wiederum warf den Verdacht auf, dass dieser besagte Handwerker etwas mit den seltsamen Vorgängen zu tun hatte.“
„Und? Wurde er zur Rede gestellt?“, fragte Dantra gespannt nach.
„Nein. Niemand, der wirklich Interesse daran hatte, die Sache zu untersuchen, war mutig genug, um zu dem Ort des Geschehens zurückzukehren. Aber genau dort lebte nun einmal der junge Mann. Und selbst wenn er von Zeit zu Zeit in die nächste Stadt ging, um Vorräte zu kaufen, hatte niemand den Mumm, ihn darauf anzusprechen. Immerhin lebte er in einem verfluchten Moor auf einer gespenstischen Burg. Daher wurden auch ihm selbst oft dunkle Mächte angeheftet.“ Für einen Moment waren alle in ihre Gedanken vertieft. Nur das Knarren der Bohlen unter ihren Füßen war zu hören.
„Und glaubst du, es ist etwas an der Sache dran?“, brummte Comal schließlich.
„An der Sache mit den dunklen Mächten? Nein. Ganz sicher nicht. Ob der Vater des jungen Mannes der Handwerker war und etwas mit dem Schwarzwerden des Sterns zu tun hatte? Beide Male: ja. Ich habe mir das Fenster etwas genauer angesehen. Der Stern war aus einem Doppelglas gefertigt. Und in ihn wurde von oben schwarze Tinte eingelassen. Dem Handwerker waren die Launen des Königs bekannt gewesen. Und so hatte er wohl für den Fall, der dann ja auch eintrat, vorgesorgt. Das Gewitter war einfach nur eine glückliche Laune des Schicksals. Es hat dem genialen Plan noch die Krone aufgesetzt.“
Akinna schwieg, als wollte sie das Gesagte bei ihren Zuhörern erst einmal sacken lassen. Nach einiger Zeit fuhr sie fort. „Unser Gastgeber für heute Nacht ist der Enkel des besagten Handwerkers in der achten Generation. Er lebt nun seinerseits mit seinem Sohn auf der Burg. Der Kleine, er müsste jetzt dreizehn sein, ist sein Ein und Alles. Also versucht gar nicht erst, ihn bei seinem Vater schlechtzumachen. Für ihn ist er ein Engel.“
„Warum sollten wir das auch tun?“, wunderte sich Dantra.
„Weil der Engel Hörner auf dem Kopf trägt. Das ist natürlich nicht wörtlich zu nehmen“, verdeutlichte sie ihre Aussage. „Aber er hat es faustdick hinter den Ohren und kann einen bis aufs Blut reizen. Dabei verhält er sich so geschickt, dass sein Vater davon nichts mitbekommt. Also lasst euch einen gut gemeinten Rat geben und ignoriert seine Sticheleien, auch wenn es schwerfällt. Ach, und noch etwas. Lauft nicht alleine durch die Burg. Sie ist sehr weitläufig. Man kann sich dort schnell verirren. Und öffnet auf keinen Fall Türen, von denen ihr nicht wisst, was dahinter ist. Das gilt insbesondere für dich.“ Sie sah Dantra mahnend an.
„Wieso insbesondere für mich?“
„Weil du ein Händchen dafür hast, etwas zu machen, was man tunlichst nicht machen sollte. Deswegen!“ Dantra war klar, dass beide, Akinna und Comal, annahmen, dass er versuchen würde, sich gegen den Vorwurf zu verteidigen. Doch dieser war nicht völlig von der Hand zu weisen. Und als Akinna klar wurde, dass er zu dem Thema schweigen würde, fuhr sie fort. „Unser Freund heißt Callidus Cerdo. Aber er, so wie auch schon seine Vorfahren, wird von den Leuten nur der Baron genannt. Er besitzt zwar diesen Adelstitel nicht, jedoch das Anwesen eines solchen. Also, wenn ihr ihn ansprecht, sagt einfach nur Baron. Nicht etwa Herr Baron oder Ähnliches. So spricht man Adelsleute an. Und von denen will er sich verständlicherweise distanzieren. Sein Sohn heißt Malus. Bis zu dem Tag, an dem er das Zepter seines Vaters übernimmt, wird er mit diesem Namen angesprochen. So, damit wäre eigentlich alles gesagt.“ Sie legte eine kurze Denkpause ein. „Was vielleicht noch erwähnenswert ist, sind die Geräusche in der Nacht.“
„Was für Geräusche?“ Dantra sah sie skeptisch an.
„Das hat mit den besagten geschlossenen Türen zu tun. Der Baron hat eine Schwäche für magische Geschöpfe und fast ausgestorbene Kreaturen. Und da er seine Leidenschaft zum Beruf gemacht hat, beherbergt