Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster. Torsten W. Burisch

Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster - Torsten W. Burisch


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      „Nein Dantra, sind sie nicht. Deswegen auch meine mahnenden Worte. Sie sind miteinander und natürlich mit dem Baron vertraut. Sie würden sich gegenseitig nie etwas antun. Schon weil jeder von ihnen weiß, dass er damit sein unbeschränktes Bleiberecht auf der Burg unwiderruflich verlieren würde. Aber wenn jemand Fremdes kommt, jemand, den sie nicht kennen, von dem sie also auch nicht wissen, ob er ihnen auf irgendeine Weise Leid zufügen will, könnten sie durchaus gefährlich werden.“ Akinna verlieh ihren warnenden Worten den passenden Blick. „Aber wie gesagt, wenn ihr keine Türen öffnet und somit auch nicht in den ihnen zugesprochenen Bereich eindringt, kann euch auch nichts passieren.“

      „Wie meinst du das, er hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht?“, fragte Comal nach.

      „Nun, wenn jemand oder etwas auftaucht, was nicht in das Schema Mensch passt, und wenn der oder das auch keine Anstalten macht, die Flucht zu ergreifen, nur weil man mit Mistforken und brennenden Fackeln vor ihm rumfuchtelt, dann ruft man nach dem Baron.“

      „Eine mitunter ziemlich gefährliche Leidenschaft, nicht?“, merkte Dantra an.

      „Für jemand Ungeübten oder mit einem überheblichen Charakter kann es in der Tat eine kurzlebige Art sein, Geld zu verdienen. Aber mit dem gebührenden Respekt, einem immer wachsamen Auge und vor allem mit einer guten Lösung für das Problem ist es eine Arbeit wie jede andere.“

      „Mit guter Lösung meinst du sicher, dass er ihnen einen sicheren Unterschlupf bei sich auf der Burg gewährt?“, wollte Dantra wissen.

      „Ganz genau.“

      Ein leises Donnern erklang in der Ferne. Akinna schaute prüfend zu den sich quirlig fortbewegenden Wolken. „Genug geredet“, stellte sie fest, „wir sollten uns nun wirklich beeilen.“ Ihr schneller Schritt ging nun ins Laufen über. Dantra, der während Akinnas Vortrag seinen körperlichen Zustand weitestgehend vergessen hatte, wurde nun, als er es ihr gleichtat, schmerzlich daran erinnert.

      Das leise Knarren der Bohlen unter ihren Füßen ging nun in ein lautes Knacken und Poltern über. Nicht selten gab unter der Last von Comal eines der älteren Bretter nach und brach durch. Nur die Größe seiner Füße verhinderte, dass er stolperte oder gar ins Moor abrutschte, denn ihre Länge überspannte zwei komplette Bohlen, was dem Nalc einen permanent guten Halt gab.

      Doch zum Leidwesen von Dantra konnte er sich nun nicht mehr in Comals Windschatten aufhalten. Wenn er in eines der aufgebrochenen Löcher getreten wäre, hätten sie nicht nur wertvolle Zeit verloren, er hätte sich auch schmerzhafte Verletzungen zuziehen können. Und es reichte ihm schon völlig, dass jeder einzelne Atemzug in seiner Lunge einen Flächenbrand entfachte und seine Schienbeine schmerzten, als hätte sie jemand mit einem Schmiedehammer bearbeitet. Es waren Qualen, die er bis zu diesem Tag nicht gekannt hatte. Das Seitenstechen jedoch übertraf alles. Trotz der vielen Gefahren, denen er sich in den letzten Tagen gegenübersah, war er bisher von einer Schwertverletzung verschont geblieben. Doch das Leid, das solch eine offene, blutende Wunde verursachte, musste er gerade durchleben, denn die Stiche, die seinen Bauch drangsalierten, standen jener Verletzung in nichts nach.

      Er krümmte sich im Laufen vor Schmerzen. Es war eine Höllenpein, die die Grenzen seiner körperlichen Fähigkeiten schon lange hinter sich gelassen hatte. Unter anderen Umständen wäre er längst stehen geblieben und hätte jeden weiteren Schritt vehement verweigert. Doch nicht nur, dass Akinna ihn bereits an seiner Jacke hinter sich herzog, auch Comal half ihm, nicht aufzugeben, indem er ihm seine große Pranke sanft, aber bestimmt ins Kreuz drückte und ihn so vorwärtsschob. Aber der größte Ansporn war natürlich die Verantwortung, die ein jeder in ihrer Gruppe für den anderen hatte. Würde er stehen bleiben, aufgeben und damit ihr sicheres Ziel unerreichbar werden lassen, setzte er das Leben seiner Gefährten aufs Spiel. Nein, solange seine Beine noch die an sie gestellte Aufgabe erledigten, so lange musste sein Kopf die Schmerzen sammeln, prüfen und in diesem Moment allesamt als unwichtig zur Seite schieben.

      Der Holzsteg endete. Das Gepolter ihrer Schritte verstummte. Der Boden war nun weich und stumm. Dantra schaute hoch. Zwischendurch hatte er immer wieder bereits einige Kraftreserven aufgebracht, um nach vorn zu sehen. Da war die Burg noch ein dunkler, aber schon markanter Punkt in der Ferne gewesen. Nun erkannte er ein imposantes und mindestens genauso wuchtiges, erdrückendes Bauwerk. Sie liefen auf ein hölzernes Tor zu, das den Vergleich mit dem Stadttor von Blommer nicht scheuen müsste. Den hohen Burgmauern war eine Art Wassergraben vorgelagert. Nur dass es kein Wasser gab. Stattdessen - wie sollte es hier auch anders sein? - Sumpf.

      Es ertönte erneut lautes Gepolter, als sie die Zugbrücke überquerten. Dantra konnte noch einen kurzen Blick in den Innenhof werfen, in dem er einen Brunnen erkannte, der aus weißem Marmor gefertigt schien, bevor er von Akinna seitlich durch eine Tür gezogen wurde. Es musste niemand etwas sagen. Dantras Unterbewusstsein erkannte sofort, dass er sich nun in Sicherheit befand, und gab unmittelbar darauf zwei Kommandos ab, deren Umsetzung sogleich eintrat. Seine Beine stellten abrupt den Dienst ein, sodass er erst auf die Knie und dann auf die Seite fiel. Und sein Magen entleerte das wenige, was in ihm war, mit bitter schmeckender Magensäure angereichert. Kurz fühlte er sich in der Zeit zurückversetzt, als er inmitten des Drachenangriffs in seinem vermeintlichen Grab lag und seinen Mund eigentlich zum Atmen brauchte, der jedoch mit Erbrechen schon völlig ausgelastet war. Während er wieder einmal nach Luft schnappte, knallte es dreimal. Die Tür hinter ihnen fiel zu. Das Burgtor wurde geschlossen und die Zugbrücke war unter dem Rasseln sich aufrollender Ketten mit besagtem drittem Knall hochgezogen und eingerastet. Der Boden, auf dem Dantra lag und den er gerade mit seinem übel riechenden Inneren beschmutzt hatte, war aus großen, glatten Natursteinplatten gefertigt. Das Beste an ihnen jedoch war die Kälte. Als Dantras Magen sich beruhigt hatte, legte er seine heiße Wange auf den kühlenden Stein. Sein Kopf und auch der Rest seines Körpers schienen sämtliche Wärme von sich stoßen zu wollen. Er schwitzte aus jeder erdenklichen Pore. Es dauerte einige Zeit, bis er in der Lage war, sich auf sein Umfeld zu konzentrieren. Dabei wunderte er sich, dass ihn nicht schon längst irgendjemand auf die Beine gezogen hatte und ihn brüllend weiterscheuchte.

      Er drehte sich auf den Bauch und war gerade im Begriff, sich hochzustemmen, als er vor sich zwei Hufe bemerkte. Wohlgemerkt zwei, nicht vier. Und was an sie anschloss, waren auch keine behaarten, sondern glatte feuerrote Beine. Er ließ seinen Blick weiter hinaufwandern. Das, was sich zu bedecken gehörte, war von einem zum Teil zerschlissenen, aber sauberen Stofffetzen verhüllt. Doch alles, was man an Haut sah, war auch hier rot. Die Arme, die lang hinunterhingen, endeten in zwei dürren Händen, an denen spitz zusammenlaufende schwarze Fingernägel bedrohlich wirkten. Als Dantras musternder Blick am Kopf angelangt war, sprang er ruckartig auf. Keine Spur mehr von körperlicher Erschöpfung oder Schmerzen bei jeder Bewegung. Er stolperte nach hinten, wobei er sogar Comal ungewollt ein Stück zur Seite stieß. Erst die verschlossene Tür, durch die sie hereingekommen waren, beendete seinen panischen Rückzug.

      „Das ... das ... ist der Teufel!“, stammelte er. Das ebenfalls rote Haupt seines Gegenübers war mit zwei daumenlangen Hörnern gespickt, dessen Schwarz sich von dem der Fingernägel nicht unterschied. Haare suchte man hier genau wie überall anders an der Kreatur vergebens. Die Stirn erschien unwahrscheinlich lang und wurde nach untenhin durch zwei Augen abgeschlossen, dessen Pupillen aussahen wie funkelnde Kohlesplitter. Die Nase des Wesens war schmal und zum Hacken geformt, sein Mund, geprägt durch längst faltige Lippen, schien unentwegt ein gehässiges Lächeln von sich zu geben. Doch dieses verflog, als Dantra den Namen für das Erscheinungsbild, das sich ihm bot, nannte. Es verfiel zu einem traurigen, enttäuschten, Mundwinkel hängen lassenden Schmollmund. Überhaupt machte das Geschöpf den Eindruck, als würde es nicht gerne mit der Wahrheit oder zumindest mit dem, was Dantra für die Wahrheit hielt, konfrontiert werden.

      „Nimm es ihm nicht übel, Refizul“, sagte Akinna, „er ist nur ein unwissender Mensch in einer ihm völlig fremden Welt.“

      „Du hast natürlich recht, Akinna“, seine Stimme war eine Mischung aus dem Kratzen von Kreide an einer Tafel und dem Hauchen eines Sterbenden, der mit letzter Kraft versucht, noch etwas zu sagen. „Ich wurde nur schon seit etlichen Jahren nicht mehr so bezeichnet, seitdem ich in diesem Haus Gast sein darf. Es war für mich gerade


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