Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster. Torsten W. Burisch

Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster - Torsten W. Burisch


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der Baron nun auch Dantra sympathisch wurde. Jeder Mensch, dem sie bisher begegnet waren, machte entweder einen großen Bogen um Comal, oder bewarf ihn mit Obst und Gemüse, sobald er sich in sicherer Entfernung wähnte und er den dem Nalc angelegten Fesseln vertraute. Doch hier und heute bekam er endlich den Respekt, der ihm zustand. Und das mit einer Geste, die, da war sich Dantra sicher, für Comal nicht schöner sein konnte: einer einladenden Handbewegung in Richtung eines reich gedeckten Tisches. Akinna stellte Comal vor und wandte sich anschließend Dantra zu, um auch seinen Namen zu nennen.

      „Es ist mir eine große Freude, einen Wegbegleiter Akinnas begrüßen zu dürfen“, sagte der Baron freundlich und blickte fragend zurück zu der Elbin.

      „Wir sind auf dem Weg zu ihm“, flüsterte sie nur kurz und die Augen des Barons weiteten sich.

      „Ist das so?“, fragte er ebenfalls mit gesenkter Stimme und musterte Dantra. „Die Zeit für große Taten ist wahrlich überfällig“, fuhr er fort. „Meine bescheidenen Möglichkeiten, dir dabei zu helfen, stehen dir uneingeschränkt zur Verfügung, mein Freund.“ Seine Stimme war nun ernster und ein flammender Kampfgeist loderte in seinen Augen auf. Für einen Moment war nur das Knistern des Kaminfeuers zu hören.

      „Aber genug der vielen Worte.“ Die Stimme des Barons war übergangslos wieder laut und klar geworden, sodass Dantra etwas zusammenzuckte. „Lasst uns essen. Kein Kampf, kein Schlaf, keine Glückseligkeit, wenn der Magen leer ist wie ein Kornspeicher wenige Tage vor der Neuernte.“

      Sie setzten sich, wobei Comal neben den älteren Damen Platz nahm, die kurzzeitig etwas eingeschüchtert wirkten. Doch ein breites Grinsen und freundliches Kopfnicken seinerseits stimmte sie sogleich wieder fröhlich. Da Refizul am anderen Kopfende Platz genommen hatte, war Dantra froh, dass Akinna sich an dessen Seite setzte, sodass er nicht neben ihm, sondern zwischen der Elbin und dem immer noch freundlich lächelnden Jungen saß.

      Der Baron hatte sich ebenfalls wieder auf seinem Stuhl niedergelassen und stellte nun die anderen am Tisch Sitzenden vor. „Refizul habt ihr ja bereits kennengelernt. Die jung gebliebenen Damen zu meiner Rechten“, die charmant Betitelten ließen ein leises, verlegenes Kichern hören, „sind meine Tanten väterlicherseits, Patma und Selty. Und zu meiner Rechten sitzt mein Sohn und Stolz Malus.“ Sie himmelten sich kurz gegenseitig an, bevor der Baron den vor ihm stehenden Becher ergriff, um, nachdem seine Gäste ihre eigenen gefüllt hatten, einen Toast auf den Zusammenhalt auszusprechen. Dantra, der etwas irritiert auf seinen Becher schaute, bekam ungefragt eine Erklärung vom Baron. „Du denkst sicherlich, dass die alten Holzbecher des restlichen Tischgedecks nicht würdig sind, oder?“ Dantra suchte in seinem Kopf nach einer Antwort, die genau das besagte, sich jedoch höflicher anhörte. „Sie sind das Würdigste auf diesem Tisch“, fuhr der Baron fort. „Sie erinnern uns an unsere Wurzeln. Und die kann und sollte man auch nicht verleugnen. Auch wenn wir auf einer prachtvollen Burg leben und von silbernen Tellern essen, so soll uns doch jeder Schluck, den wir nehmen, daran erinnern, dass wir mit dem Adel nichts zu tun haben. Dass wir einer Handwerkerzunft angehören und unser Geld verdienen und nicht eintreiben.“ Das waren Worte, die Dantra gefielen. Worte, denen er gerne zugestimmt hätte. Jedoch fühlte er sich dem Baron gegenüber so klein und unwichtig, dass er lieber seinen Mund hielt und stattdessen noch einen großen Schluck Blütenmet seine Kehle hinunterrinnen ließ. Als er annahm, dass sich sämtliche anwesenden Augenpaare wieder von ihm abgewendet hatten, inspizierte er die Leckereien vor sich, wobei sein Blick erneut auf Refizul haften blieb. Dantra lehnte sich zu Akinna hinüber und flüsterte ihr ins Ohr: „Wenn die Schwester Oberin sehen würde, dass ich mit dem Teufel an einem Tisch sitze, würde sie auf der Stelle tot umfallen.“ Ein böser Blick als Antwort ließ ihn sich wieder dem Essen zuwenden.

      Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte er, dass Malus nun seinerseits seinem Ohr nahe kam, und kurz darauf hörte er ihn flüstern. „Ja, du sitzt mit dem Teufel an einem Tisch. Nur sitzt er nicht an dessen Ende, sondern direkt neben dir.“ Mit einem kurzen, hämischen und herablassenden Lachen untermauerte er seine Worte noch, dann lehnte er sich in seinem Stuhl zurück.

      Dantra sah den Jungen fragend und gleichermaßen verblüfft an. Dieser hatte sich ein großes Stück blutiges Steak in den Mund geschoben und kaute munter vor sich hin, als hätte es seine gerade ausgeführte teuflische Aufklärung nie gegeben. Mit einem Stirnrunzeln wandte sich Dantra von ihm ab und fing an zu essen. Sein ausgelaugter Körper und vor allem sein leerer Magen dankten es ihm.

      Das zunächst steife Abendessen mauserte sich zu einem geselligen Beisammensein. Dantra wollte sich gerade nachnehmen, als ein Geräusch erklang, das dem eines kurzen, stumpfen Glockenschlages sehr ähnlich war. Alle sahen etwas irritiert in die Runde. Nur Comal und Malus ließen sich nicht stören. Ein rascher Blickkontakt mit dem Nalc verriet Dantra, dass er unter den Tisch schauen sollte. Also ließ er ungeschickterweise seine Gabel fallen, sodass er sich bücken musste. Mit dem Kopf unter der Tischplatte angekommen sah er, dass Comal sich eine kleine Silberschale zwischen die Beine gestellt hatte, sodass seine Weichteile vor einem Frontalangriff geschützt waren. Als er den Kopf wieder hochziehen wollte, fiel ihm auf, dass Malus eine Steinschleuder auf seinem Schoß liegen hatte. Dantra setzte sich wieder aufrecht hin und bemerkte Comals breit grinsendes Gesicht. Er musste sich gar nicht nach links wenden, um zu erfahren, wie Malus gerade schaute. Er konnte ihn laut schnauben hören. Wahrscheinlich hätte er am liebsten die Schleuder hochgeholt, um Comal direkt zwischen die Augen zu schießen.

      Da der Tisch ohnehin bis zum Bersten vollgestellt war und auch Akinna keine Anstalten machte, Dantra wegen unhöflichen Verhaltens Einhalt zu gebieten, hatte dieser vier volle Teller mit den verschiedensten Gemüsesorten, Fleisch und Brot verputzt. Auch die anderen schienen ihren Hunger gebändigt zu haben. Man hatte das Besteck beiseitegelegt, hier und da wurde eine Unterhaltung geführt oder einfach nur stumm zugehört.

      „Zeit für etwas Süßes, möchte ich meinen“, ließ der Baron so hörbar verlauten, dass er die erhoffte Aufmerksamkeit der anderen bekam. Die beiden älteren Damen glucksten wieder einmal heiter in sich hinein und Malus nahm den großen Löffel zur Hand, den er sich bereits vor einiger Zeit aus einer der Kartoffelschalen gesichert hatte. Der Baron nickte kurz zu seiner rechten Seite und sogleich ertönte ein lautes Klatschen.

      Erst jetzt fiel Dantra neben dem Stuhl des Barons ein kleines Männchen auf. Es war nicht höher als die Stuhlsitzfläche. Die Knollnase des kleinen Kerls saß so weit oben in seinem ansonsten schmalen Gesicht, dass seine Augen nicht darüber, sondern seitlich davon waren. Sein Mund war streng nach vorne zugespitzt. Mehr konnte Dantra von ihm nicht sehen, ohne dafür aufzustehen. Allerdings kamen als Reaktion auf das Klatschen aus einer der Türen, die im hinteren Teil des Raumes gelegen waren, über ein Dutzend dieser kleinen Zwerge heraus. Die ersten beiden trugen eine Leiter mit sich, die sie links neben dem Baron an den Tisch lehnten. Die beiden Träger stiegen hinauf, und bevor sie die Tischplatte betraten, zogen sie sich ihre kartoffelsackähnlichen Schuhe aus. Sie trugen, manchmal unter enormer Anstrengung, die Schalen, Fleischplatten und Teller zum Rand, wo sie ihnen von den anderen abgenommen wurden. Auf einer leer gegessenen Fleischplatte sammelten sie die Knochenreste. Diese wurde einem von ihnen gereicht, der die gleiche untersetzte Figur hatte und ebenfalls eine Hose mit Latz trug. Nur sah dieser irgendwie betroffen aus, so als hätte er beim Streichholzziehen verloren und müsste nun seine Schuld abarbeiten. Er verließ den Raum durch die große Eingangstür, durch die zuvor Dantra, Akinna und Comal hereingekommen waren.

      Als Dantra wieder nach vorn sah, standen bereits die ersten Schalen, gefüllt mit schokoladenüberzogenen Früchten sowie Obstsalat auf Milchschaum, und halbe Kokosnüsse, gefüllt mit verschiedenen Beerensorten, auf dem Tisch. Die kleinen Männchen, dessen Spezies laut Akinnas Hinweis als Renlek bezeichnet wurde, verließen nach getaner Arbeit wortlos den Saal.

      Dantra schien mit seinem nachdenklichen Blick wieder die Aufmerksamkeit des Barons auf sich zu ziehen. „Bedienstete?“, fragte dieser ihn.

      „Bitte?“, entschuldigte sich Dantra und befürchtete, irgendetwas Wichtiges verpasst zu haben.

      „Das war doch das, was du gerade gedacht hast. Erst redet er von seinen nicht adeligen Wurzeln und wie wichtig sie ihm sind, und dann lässt er sich wie ein echter Baron bedienen.“

      Eigentlich


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