Pandemie. Группа авторов

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Schutz.« Huang las es mit Erleichterung.

      Kaum schwand die Anspannung der gesundheitspolizeilichen Überprüfung, kehrte das krabbelige Gefühl am Maskenrand zurück. Was, wenn die Fliege doch infiziert war? Sie hatte sich eigenartig verhalten. Irgendwie siech und verwirrt. Ließ sich nicht verscheuchen, wich seinen rudernden Armen nicht aus. Unvernünftiges Trotzverhalten bis hin zu selbstzerstörerischer Aufmüpfigkeit, rief er sich die Symptome beim Menschen in Gedächtnis. Traf das auch auf Insekten zu?

      Ein mikroskopisches Tröpfchen reichte zur Übertragung. Und er hatte sich die volle Ladung der Innensäfte dieser Fliege förmlich ins Gesicht geklatscht. Der rotbraune Fleck.

      Der Erreger dringt in die Zellen der Nervenfasern an der Hautoberfläche ein und vermehrt sich darin.

      Die Worte des Kommentators beim Morgenbulletin drängten sich in Huangs Gedächtnis. Alles in ihm fieberte danach, die Maske wieder herunterzureißen. Die Stelle abzuwischen. Er musste seine geballte Selbstbeherrschung aufbringen, um die Hände unter Kontrolle zu halten.

      Er wünschte sich nichts mehr, als sich einer gründlichen Reinigung zu unterziehen. Das konnte er nur zu Hause. Ohne es wahrzunehmen beschleunigte er seine Schritte.

      Aufgeregtes Piepsen riss ihn aus den Gedanken. Der Kommunikator schlug Alarm. Offenbar tat das auch jener des Straßenbenutzers vor ihm. Dieser, soweit erkennbar ein junger Mann, hatte sich umgewandt und vollführte mit Händen und Armen hastige, wegscheuchende Bewegungen.

      Huang war unwillkürlich in die Sechsmeterzone vorgedrungen. Sofort blieb er stehen und dienerte entschuldigend, die Handflächen bittend flach aufeinandergelegt wie im Gebet. Nur nicht schon wieder eine Anzeige.

      Diesmal würde es zwangsläufig Konsequenzen nach sich ziehen.

      ENCE

      von Henrik Wyler

       Aus dem Tagebuch von Wolfgang Munro, leitender Ingenieur am Forschungszentrum Jülich

       27. März

      Es ist noch offen, welche Materialien und Konzepte sich für den Bau von Qubits, den kleinsten Speicherelementen eines Quantenrechners, am besten eignen. Marquardt hat sich für die Weiterentwicklung der supraleitenden Chips ausgesprochen, die bereits von Google genutzt werden. Aber ich möchte auch neue Arten von Qubits mit Hilfe anderer Materialsysteme entwickeln, die insbesondere im Hinblick auf die Fehlerrate und die Skalierbarkeit vorteilhaftere Eigenschaften haben.

      Zunächst haben wir gemeinsam den Ist-Zustand analysiert. Um die Kräfte zu bündeln, haben wir uns auf ausgewählte Ziele geeinigt. Denn man kann aus den Kompetenzen mehr herausholen, wenn man die Aktivitäten vernetzt. Wir haben sortiert, strukturiert, Beziehungen zwischen den Aktivitäten herausgearbeitet und gewichtet, welche wir stärken wollen.

      Danach haben wir unsere Forschungsaktivitäten für sieben Jahre konzipiert und dem Gutachter-Gremium vom Helmholtz-Institut vorgestellt. Insgesamt ist unsere umfassende, systemisch angesetzte Strategie dort sehr gelobt worden. Wir haben nun einen Plan, der sich weltweit sehen lassen kann und in der globalen Community Aufmerksamkeit erreichen wird.

       30. März

      Kugler, MinDir. im Forschungsministerium, hat uns Förderbudget von 500 Millionen Euro in Aussicht gestellt. Helmholtz, Fraunhofer, Max-Planck-Gesellschaft und die Universitäten müssen jetzt, so sagte er, in einem organisierten Prozess zusammenfinden, ihre jeweiligen Aktivitäten in der Quantenphysik und -technologie bündeln und lösungsorientiert aufstellen, um mit beschränkten Ressourcen im globalen Wettbewerb bestehen zu können.

      Am kommenden Wochenende feiern Evelyn und ich unseren dritten Hochzeitstag. Habe auch Marquardt, den ewigen Junggesellen, eingeladen.

       1. April

      Auf der Party mit Marquardt über Probleme in der strukturellen Dynamik von Ionenkanälen diskutiert, bis Evelyn und die anderen Gäste uns endlich auf andere Gedanken bringen konnten.

      Verstörende Nachrichten im TV: eine Häufung von Verkehrs- und Haushaltsunfällen in Irland, die offenbar allesamt auf menschliches Versagen zurückzuführen sind. Bilder von karambolierten Pkws und brennenden Hauswohnungen in Cork. In der Conolly Station von Dublin ist ein Personenzug aufs falsche Gleis geraten und dort mit einem anderen zusammengestoßen. Bilder von Krankenwagen, die Verletzte ins Beaumont Hospital aufnehmen. Und in der kleinen Stadt Kinsale soll ein Priester vom Dachfirst des Desmond Castle gesprungen sein. Evelyn glaubt an einen Aprilscherz des Senders.

       3. April

      Mit Marquardt und Eugene, unserem Stipendiaten aus Wales, zu Tisch. Eugene erzählte von unerklärlichen Unfällen gleich denen in Irland auch in Cardiff und Newport.

      Eugene arbeitet an der Optimierung des Grover-Algorithmus und hat eine Subroutine mitentwickelt, die Datenbankeinträge effizient nach dem Suchkriterium abgleicht.

      In den Abendnachrichten stand eine Pressekonferenz des Dr. Rifkin vom University Hospital in Cardiff im Mittelpunkt. Dr. Rifkin führte aus, dass den Menschen, die nach entsprechenden Polizeiberichten das jeweilige Unfallgeschehen verursacht haben und derzeit in seiner Klinik behandelt werden, signifikant eine unterschiedlich stark ausgeprägte Intelligenzminderung zu eigen ist. Diese reiche von Debilität bis zur Idiotie. Das sei insoweit unerklärlich, da viele einen Hochschulabschluss vorweisen können.

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       6. April

      Wegen Unwohlseins schon beim Aufwachen bin ich heute nicht nach Jülich. Eine allgemeine Übelkeit macht mir zu schaffen, bin auch lärm- und lichtempfindlich. Evelyn ist besorgt und rät zum Neurologen, falls die Symptome nicht abklingen. Ich telefonierte lange mit Marquardt wegen der memristiven Bauelemente.

      Die seltsame Geisteskrankheit – in der Boulevardpresse als »Schwachsinns-Syndrom« apostrophiert – hat jetzt auch nach Schottland übergegriffen. Auch aus Dänemark und Nordfrankreich werden erste Verdachtsfälle gemeldet. Dennoch hält unser Gesundheitsminister Graf Schenck die Gefahr einer epidemischen Ausbreitung aufgrund der gemeldeten geringen Fallzahlen für äußerst unwahrscheinlich.

      In Cardiff hat Dr. Rifkin in Zusammenarbeit mit seinem Virologenteam weitere Forschungsergebnisse veröffentlicht. Verantwortlich für die Intelligenzretardierung bei den untersuchten Probanden sei die Mutation eines expandierenden Trinukleotidrepeats im Gen FMR 2, allem Anschein nach verursacht durch ein neuartiges Virus, das die ungewöhnliche Fähigkeit besitzt, ähnlich den Enzephalitiden an den chemischen Synapsen im Gehirn anzudocken und die neuronalen Vernetzungen zu stören oder zu unterdrücken.

       7. April

      Aus Belgien wird die erste laborbestätigte Infektion mit dem Erreger »Ence30« bestätigt, so der Name des neuartigen Virustyps, der als Auslöser für die Intelligenzretardierung beim Menschen angesehen wird.

       8. April

      Der Termin bei Dr. Sendker war sehr anstrengend. Kann mich nicht konzentrieren und verstehe auch einige seiner Worte nicht. Jedenfalls soll ich zu Hause bleiben und mit niemandem persönlichen Kontakt aufnehmen.

      Zahlreiche Unfallberichte in Verkehr und Haushalten auch in Deutschland, wie Polizei und Feuerwehren mitteilen. Regierungsvertreter erwägen die Einführung eines allgemeinen Fahrverbots für den Individualverkehr, wie zuletzt vor sechzig Jahren bei der Ölkrise.

       11. April

      Erste Ence-Vorfälle außerhalb Europas in Marokko, Thailand und Japan. Die Ence30-Epidemie wird von der WHO nun offiziell als »gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite« eingestuft.

      Im Haus gegenüber ist eine Erdgasheizung in Brand geraten, nachdem der Wohnungseigentümer, ein Doktorand an der Kölner Uni, daran herummanipuliert hatte. Im Klinikum Hohenlind wurde bei ihm ein Intelligenzquotient von unter 70 festgestellt.


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