Das flüsternde Glas (Glas-Trilogie Band 2). Heiko Hentschel

Das flüsternde Glas (Glas-Trilogie Band 2) - Heiko  Hentschel


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Mehltau wandte sich an Moritz. »Tut mir leid, Junge, aber ich habe noch nie von diesem Mock gehört.« Er blickte Rita hilfesuchend an.

      »Die Hintertür?«, brummte diese mehr zu sich selbst. »Ent­schuldigt, ich schaue kurz, dass diese Halunken nichts mitgehen lassen.« Sie hob einen der letzten unversehrten Krüge vom Boden auf und folgte den Männern.

      Moritz, Konstanze und die Elster sahen sich an. Helene hingegen glättete ihr zerrissenes Kleid und ging hinterher.

       Ein kleiner, niedriger Raum erwartete Helene auf der anderen Seite des Durchgangs. Bruchsteinwände und Deckenbalken, die von Ruß geschwärzt waren. Die Küche der Schwarzen Katze.

      Ein großer Arbeitsblock, quadratisch und steinern, stand in der Mitte des Raumes, bedeckt mit Töpfen, Kellen, Messern, Tellern und allerlei anderen Küchenutensilien. Der Rest der Einrichtung presste sich an die umliegenden Wände. Helene entdeckte zu ihrer Rechten eine große Tür, die von einer Sitzbank und einer offenen Feuerstelle flankiert wurde.

      Dort standen die Herren Kante, Tonke, Stiller und Jauche – Namen, die zweifellos zu ihren Besitzern passten. Einer nach dem anderen passierte Rita auf dem Weg hinaus in die stinkende Nacht und musste eine kurze Taschenkontrolle über sich ergehen lassen. Ein halber Krug Bier, eine Wurstpelle und eine vertrocknete Mohrrübe kamen zum Vorschein. Letztere zog Rita dem Mann namens Stiller aus der Manteltasche, der nur entschuldigend die Schultern hob.

      »Morgen früh um acht«, knurrte Rita den Herren hinterher, ein Küchentuch vor den Mund gepresst. Im Hintergrund schlug eine Turmuhr die dritte Stunde.

      Der Einzige, der nichts hatte mitgehen lassen, war Jauche. Dafür verweilte er etwas länger auf der Schwelle und sog die un­­appetitliche Luft in vollen Zügen ein. Rita schloss die Tür erst, als auch er in der Dunkelheit verschwunden war. Dann legte sie ihre absurde Waffe auf einem Schränkchen ab und kramte in einer Schublade. Sie fand ein Medizinfläschchen und entkorkte es mit den Zähnen, bevor sie etwas von der Arznei auf ein Tuch träufelte. Vorsichtig betupfte sie damit ihren Arm.

      »Wie ist der Schmerz?«

      »Himmel Herrgott!« Rita stand der Schrecken ins Gesicht ge­­schrieben. »Schleich dich nie wieder so an, Mädchen!«

      »Das war keine Absicht.«

      Ein Moment verstrich, in dem Hele­ne sie anstarrte. »Können Sie den Schmerz beschreiben?«

      »Es brennt höllisch«, brummte die Wirtin.

      »Möchten Sie, dass ich Dr. Mehltau hole?«

      Rita schüttelte den Kopf und wickelte sich den Lappen um den Arm. »Lass nur, mein Täubchen. Das heilt schneller, als du denkst.« Mit einer Hand versuchte sie, einen Knoten festzuzurren.

      »Warten Sie, ich helfe Ihnen.«

      Rita ließ das Mädchen gewähren.

      »Eine interessante Waffe haben Sie da«, sagte Helene mit einem Blick auf das dickbäuchige Schießeisen.

      »Mein Brezelwächter? Der ist uralt.« Rita tätschelte den Lauf des Unikums. »Aber funktioniert noch wie am ersten Tag!«

      »Brezelwächter?«

      Rita grinste schief. »Mein Mann Alfred hat ihn so getauft. Hat ihn selbst gebaut, von unseren letzten Groschen.«

      Helene suchte die Augen der Frau und tauchte einen Moment darin ein. Sie fand Schmerz und Einsamkeit und Vermissen. »Wie ist er gestorben?«, fragte sie leise.

      Ritas Gesicht veränderte sich. »Du redest nicht lange um den heißen Brei herum, was?«

      »Verzeihen Sie«, sagte Helene.

      »Schon gut. Das Ganze ist ein paar Jährchen her.« Rita lächelte. »Zu viele.«

      »Was ist ihm zugestoßen?«

      »Eines dieser Biester«, sagte Rita und deutete vage in die Nacht jenseits der Küche hinaus. »Er wurde verschleppt. Habe ihn nie wieder gesehen …«

      Helene nickte kaum merklich.

      Rita rang sich ein Lächeln ab. »Mein Alfred war ein zäher Hund. Ich schätze, das Biest ist an ihm erstickt.« Sie mühte sich redlich, ihren Schmerz zu verbergen. Helene sah jedoch, wie ihre Hand flüchtig etwas an ihrer Brust berührte: einen silbernen Anhänger – die Hälfte einer zerbrochenen Brezel. »Möchtest du etwas trinken, mein Täubchen?«

      »Danke, ich trinke nie.«

      Rita sah sie betroffen an. »Verstehe. Aber die andere Kleine, äh, Konstanze? Sie trinkt doch bestimmt etwas, oder?«

      »Sicher.« Helene versuchte erneut, einen Blick in Ritas Augen zu erhaschen. »Es ist bestimmt nicht leicht, hier zu leben.«

      »Man gewöhnt sich daran.« Rita holte einen Krug hervor und füllte ihn mit Wasser. »Wenn diese Biester nicht wären, hätten sich zuerst die Franzosen und jetzt die Russen oder die Schwe­den hier breitgemacht. Wir haben also Glück im Unglück.« Sie reichte Helene ein Tablett.

      »Sie leben mit diesen Wesen Seite an Seite?«

      »Mehr oder weniger.« Rita stellte ein paar Becher auf das Ser­­vier­­brett. »Wir haben uns daran gewöhnt, in der Stadt zu blei­­ben. Meine Großmutter hat immer gesagt: Halt dich fern vom Beschwipsten Pfaffen und der alten Wesselburg! Das ist ver­­­fluchtes Land.«

      »Der Beschwipste Pfaffe?«

      »Der Berg, auf dem die Wesselburg steht. Niemand geht dort hin – seit Jahrhunderten nicht.«

      Helene legte den Kopf schräg. »Warum nicht?«

      »Dort wimmelt es nur so von diesen Ungeheuern«, sagte Rita. »Manchmal hört man sie bis in die Stadt. Was auch immer die dort treiben, es ist nichts Gutes, so viel steht fest.«

      »Die Monster kommen von der Burg?«

      »Worauf du deinen Hintern verwetten kannst, mein Täub­chen.«

      Helene senkte die Lider. Ein Gedanke flammte in ihrem Geist auf. So nahe waren sie noch nie an der Möglichkeit gewesen, in Kontakt mit unterschiedlichen Monstern zu treten. »Vielleicht …«, murmelte sie.

      »Vielleicht was?«

      Helene sah Rita geradeheraus an. »Vielleicht kann uns eines dieser Wesen helfen, den Mock zu finden.«

      Rita reckte das Kinn. »Ich glaube, du machst dir keine Vor­stel­lung davon, wo du hier bist, mein Täubchen. Das ist Greifen­stein! Wir leben hier, weil wir hier unsere Wurzeln haben. Wir haben uns mit den Biestern arrangiert.« Sie deutete zum Fens­ter. »Der Gestank, der draußen durch die Stadt weht, das sind die! Mit dieser Teufelei wollen sie uns loswerden. Jede gottverdamm­te Nacht! Aber wir gehen hier nicht weg. Das ist unsere Stadt und wir verteidigen sie! Und ihr Kinder solltet besser gar nicht hier sein. Wir gehen nicht hinauf und die kommen nicht herunter, so lautet die Regel.«

      »Die sind aber doch schon da!«

      Die Stimme kam von der Tür. Moritz lehnte zittrig im Rah­men. Hinter ihm standen Konstanze mit der Elster und Dr. Julius Mehltau. »Diese Kreaturen kommen hierher und zerstören euer Zuhause. Konstanze sagte, es wäre bereits das dritte Mal in diesem Jahr – abgesehen von den getöteten Tieren.«

      Rita schwieg.

      »Regeln nützen nur dann etwas, wenn sich beide Seiten daran halten.« Moritz blickte finster drein. »Ich glaube, es wird Zeit, dass jemand da hochgeht und herausfindet, was dort vor sich geht.«

      Wenig später schlug Moritz den Kragen seiner Jacke hoch, zum Schutz vor den Dämpfen. Mit wackligen Knien brachte er die wenigen Stufen der Schwarzen Katze hinter sich und trat in die Nacht hinaus. Überall lauerte dunkelgrauer Stein. Er blickte die schmucklose Pflasterstraße hinunter, die im fahlen Licht des Halbmondes diesig und verwaschen aussah.

      Die wenigen Schritte bis zur rückwärtigen Tür des


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