Berufliche Belastungen bewältigen. Группа авторов

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stellt eine fürsorglich gemeinte Form dieser dar, die jedoch immer auf ihre Angemessenheit zu prüfen ist. Auch wenn diese von Fachkräften nicht als Gewalt verstanden würde, findet sie in der Arbeit mit Menschen – etwa in Zwangskontexten – statt. Vernachlässigungen hingegen lassen genau dieses fürsorgliche Verhalten vermissen, sie zeichnen sich durch bewusst unterlassene oder unzureichende Hilfe aus. Selbstbehauptungen können als gewalttätig empfunden werden, etwa, wenn Pflegende körperliche Abwehrmaßnahmen als eine Form von Notwehr nutzen. Abwehrmaßnahmen durch Drohungen, Kränken und Schimpfen stellen hingegen immer eine Form der Misshandlung dar, auch wenn sich Menschen im privaten Alltag anders wehren würden, sind verbale Zurückweisungen ebenso wie Anschreien oder Alleinlassen häufig unangemessen (vgl. Oelke 2012, S. 673).

      So können Fachkräfte wie auch AdressatInnen folgende Gewaltformen erleben (image Tab. 1):

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      Zahlreiche Beispiele für Misshandlungen und Vernachlässigungen auf beiden Seiten der helfenden Beziehung – als eine Gewaltspirale – finden sich ebenfalls bei Rövekamp und Sommer (image Tab. 2). Dazu zählen:

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      Können Sie diese Ausführungen ergänzen? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht hinsichtlich der Eskalation von Gewalt, welche Beteiligten waren vielleicht noch betroffen?

      Mit einer eher systemisch orientierten Perspektive bieten deshalb Rövekamp und Sommer (Rövekamp/Sommer 2016, S. 96 ff.) ein Verständnis von Gewalt als einem Regelkreislauf in der helfenden Beziehung an, in dem die Begriffe »Täter« und »Opfer« unschärfer werden (image Abb. 1). Dabei wird zunächst nachgespürt, wie sich die Beteiligten einerseits als Opfer fühlen, aber gleichzeitig auch zu Tätern werden. Einseitige Schuldzuweisungen wirken so reduziert. Betroffene sind vielmehr oft Beteiligte in einem Teufelskreis der Gewalt. Dieser ist zudem von umgebenden strukturell bzw. strukturellen Belastungen beeinflusst. Diese wirken prädisponierend auf die Beziehung. Insofern kann Gewalt als illegitime und behindernde Machtbeziehung zwischen Menschen und ihren Bedürfnissen verstanden werden. Daran können mehrere Menschen beteiligt sein, auch wenn das folgende Schaubild lediglich zwei Beteiligte darstellt. Natürlich darf ein solches Erklärungsmodell nicht zur Rechtfertigung gewalttätigen Verhaltens missbraucht werden.

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      Im Einzelnen:

      Frustrationen entstehen bei Beteiligten immer dort, wo der Austausch zwischen ihnen als unfair erlebt wird. Behindernde Machtbeziehungen, die Bedürfnisse unbefriedigt lassen, lösen bei Menschen u. U. das Gefühl aus, zum Opfer zu werden, unabhängig davon, ob sie es tatsächlich sind. Eine daraus folgende aggressive Durchsetzung einer als »logisch empfundenen Reaktion« ihrerseits empfinden andere Beteiligte wiederum als Frustration und sehen sich in der Opferrolle. Aggressiv Handelnde werden zu TäterInnen, wenn sie Ohnmachtsgefühle entstehen lassen. Äußerungen wie etwa »Ab heute lass ich mir das nicht mehr gefallen« dokumentieren einerseits das Gefühl, Opfer zu sein, und gleichzeitig die Bereitschaft, Täter zu werden. Somit entsteht ein Kreislauf zwischen Beteiligten, die sich als Opfer fühlen und zum Täter werden. Wo dieser Zyklus begann und »wer angefangen hat«, lässt sich von den Betroffenen oft nicht objektiv feststellen. Die Beteiligten haben jedoch das subjektive Empfinden, ihre Reaktion sei nachvollziehbares Verhalten auf das Frustrationserlebnis, was wiederum beim »Anderen die gleiche Kette freisetzt und damit einen Teufelskreis in Gang hält.« (Rövekamp/Sommer 2016, S. 97)

      Personale Übergriffe können als das Ergebnis von Frustrationen, etwa durch eigene Gewalterfahrungen, als Ergebnis mangelnder Fachlichkeit oder erlebter Provokation verstanden werden. Das systemische Verständnis zur Erklärung des Phänomens, mittels dessen die Arbeitsbeziehung als ein soziales System, »in dem sich die handelnden Personen aufeinander beziehen« (Rövekamp/Sommer 2016, S. 96), verstanden wird, zeigt: Gewalt wird in solchen sozialen Räumen wahrscheinlich, in denen Frustrationen erzeugt oder Professionalität verhindert wird, weil Bedürfnisse nicht befriedigt werden. Dieses Modell wurde in Anlehnung an die bedürfnisorientierte Systemtheorie von Silvia Staub-Bernasconi entwickelt (vgl. Staub-Bernasconi 2018). Die Autorin setzt sich darin klar nicht nur für Werte körperlicher Unversehrtheit und psychischen Wohlbefindens ein. Sie sieht auch in diesen Zusammenhängen die Aufgabe für die Beteiligten darin, ihre Bedürfnisbefriedigung durch Kooperation und Gegenseitigkeit zu erlernen, ohne behindernde Macht- oder Gewaltstrukturen aufzubauen. Die helfende Beziehung zwischen Fachkraft und KlientIn als soziales System hat, so kann die Theorie Staub-Bernasconis ausgelegt werden, emergente, also heraustretende, aber auch alternativ nutzbare Eigenschaften, etwa Interaktionsregeln, die ihren Mitgliedern die Befriedigung dieser Bedürfnisse ermöglichen sollten. Unerfüllte Bedürfnisse werden zu sozialen Problemen. Diesen entgegenzuwirken bedeutet im Sinne Staub-Bernasconis, individuelle Bedürfniserfüllung durch die Erweiterung von Wissens- und Handlungsspektren zu ermöglichen und faire Umgangsformen mit gleichen Rechten und Pflichten sowie Regeln der Machtbegrenzung und -verteilung zu etablieren.

      Neben der systemischen Perspektive werden auch der tiefenpsychologische Ansatz, die Frustrations-Aggressions-Hypothese oder der lerntheoretische Ansatz zur Erklärung von Gewalt und Aggression herangezogen. Diesen wird im Folgenden nachgegangen.

      Wenn personale Gewalt sich in schädigenden Resultaten zwischen Fachkräften und ihren AdressatInnen vollzieht, kann die Aggression als das schädigende Verhalten gegen den Willen des anderen verstanden werden (vgl. Breakwell 1998, S. 19 ff.). Im Folgenden werden zunächst einige Aspekte des Phänomens Aggression beleuchtet.

      Dazu ist eine genauere Auseinandersetzung mit dem Aggressionsbegriff notwendig. Der umgangssprachliche Gebrauch und die fachliche Perspektive unterscheiden sich darin, dass ersterer häufig nur eine negative Betonung erhält, wenn die destruktiven Anteile im Vordergrund stehen, während wertfreie Interpretationen der Aggression auch deren positive Möglichkeit eines »In-Angriff-Nehmens« einschließen. So kann Aggression grundsätzlich als in spezifischen Situationen durch besondere Reize, etwa Frustrationsgefühle, ausgelöstes Verhalten beschrieben werden, welches das Ziel verfolgt, Ressourcen zu verteidigen und bedrohliche Situationen unbeschadet zu überstehen, indem Lebenskraft aktiviert wird. Dabei sind die Formen der Aggression natürlich von sozialen Normen abhängig. Gewalttätige, aktive Aggression ist »jedes psychische oder verbale Verhalten, mit dem die Absicht verfolgt wird, zu verletzen oder zu zerstören, egal ob es reaktiv aus Feindseligkeit entsteht oder aktiv als kalkuliertes Mittel zum Zweck fungiert.« (Myers 2008, S. 665) Die schädigende Absicht lässt destruktive statt konstruktiver Anteile erkennen: Denn während aggressives Verhalten einerseits einem Menschen zur Durchsetzung notwendig erscheint, mag es auf den anderen als Angriff oder Verteidigung bedrohlich oder gewalttätig wirken. Dennoch: Empfundene Schädigung muss nicht automatisch Schädigungsabsicht beinhalten. Pflegefachkräfte, die Spritzen setzen, führen diese Handlung nicht aus, weil ihr Hauptziel offenkundig die Schädigung der PatientInnen wäre. Hierbei handelt es sich um eine instrumentelle Aggression, es ist nicht die Intention, sondern die Wirkung,


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