Walk by FAITH. Felicitas Brandt

Walk by FAITH - Felicitas Brandt


Скачать книгу
zu Besuch kommt.“ Tante Fionas Augen verengten sich. „Deine Schwester hat übrigens auf den Anrufbeantworter gesprochen und fragt, ob dein Handy vielleicht kaputt ist. Ignorierst du sie, Valerie?“

      Schuldbewusst dachte ich daran, dass ich Judes Nachrichten immer noch nicht beantwortet hatte, und fühlte mich augenblicklich schlecht. Aber ich hatte keine Antwort auf ihre Frage, ob ich zu dem Theaterstück kommen würde. Woher denn auch? „Nicht absichtlich“, murmelte ich. „Ich schreib ihr später.“

      „Das befürworte ich.“ Tante Fiona nickte. „In der Schublade am Couchtisch sind die Filme, die ich noch nicht gesehen habe. Such dir was aus, ich hole das Eis.“

      Zehn Minuten später saßen wir in bequemen Klamotten und mit selbst gemachtem Haselnusseis unter Wolldecken auf der Couch und schauten den Film Der letzte erste Kuss. Es war eine Buchverfilmung und Tante Fiona gestand mir, ein großer Fan der Autorin zu sein. Ich hatte weder von dem Buch noch von dem Film je gehört, aber die Handlung zog mich schnell in den Bann und ich mochte die weibliche Hauptfigur Elle von der ersten Minute an.

      „Hast du alles für morgen?“, fragte Tante Fiona, als ich gerade das Handy mit einer langen Nachricht an Jude beiseitegelegt hatte, und schlug sich in der nächsten Sekunde mit der flachen Hand vor die Stirn. „Mist, ich wollte doch die Visite tauschen, damit ich dich hinbringen kann. Tut mir leid!“

      „Ich bin schon groß, ich krieg das hin“, zwinkerte ich Tante Fiona zu und fügte im Stillen ein Hoffentlich jedenfalls hinzu, während ich das Kissen auf meinem Schoß etwas fester umarmte. Es war mir durchaus bewusst, dass das hier meine zweite und womöglich letzte Chance war. Keine Ahnung, was passieren würde, wenn ich auch hier versagte.

      „Geh auf jeden Fall früh ins Bett, damit du ausgeschlafen bist. Nicht noch heimlich Folgen über gut aussehende dunkelhaarige Detektive angucken“, ermahnte sie mich.

      Ich warf ihr unter hochgezogenen Brauen einen Blick zu. „Ich dachte, du hast nicht geschnüffelt.“

      „Habe ich auch nicht.“ Tante Fiona ließ den Fernseher nicht aus den Augen und grinste in sich hinein.

      Ich nutzte die gute Stimmung zwischen uns und kratzte meinen ganzen Mut zusammen. „Es … Ist es okay, wenn ich Leute mit herbringe? Tori und ich … wir haben …“

      „Natürlich ist es in Ordnung.“ Jetzt sah Tante Fiona mich doch an, die Stirn leicht in Falten gelegt. „Du bist hier nicht eingesperrt, Valerie. Ich bin nicht deine böse Stiefmutter, die dich in einem Turm festhält.“

      „Das … das sage ich auch gar nicht“, stotterte ich hastig. „Ich wollte nur … Ich dachte … nun ja –“

      „Ich bin froh, dass du hier anscheinend eine Freundin gefunden hast. Ich hoffe, dass sie dir guttun wird.“

      „Ihre Haare sind lila.“

      „Das ist mir aufgefallen.“

      „Mam würde es hassen.“

      Tante Fiona sah aus, als müsste sie ein Lachen unterdrücken. „Nein, sie würde es nicht hassen. Es ist nur einfach nichts, was sie an sich selber sehen möchte.“

      „Oder an mir.“ Es klang zu frustriert. Zu hart.

      Die Stirnfalten vertieften sich. „Hast du denn das Bedürfnis, dir die Haare lila zu färben?“

      „Nein.“ Ich schüttelte den Kopf. „Eigentlich nicht.“

      Tante Fiona schwieg eine ganze Weile. Ich dachte schon, das Thema wäre für sie abgeschlossen, doch dann sagte sie sanft: „Deine Mutter liebt dich, Valerie. Sehr. Sie will, dass es dir gut geht.“

      Da war er wieder. Der Kloß in meinem Hals, der jedes Wort blockierte und mich stumm und hilflos verharren ließ. Tante Fiona erzählte mir nichts Neues. Ich wusste, dass meine Eltern mich liebten und mir alles verzeihen würden. Aber gerade das machte es nur noch schlimmer und sorgte dafür, dass ich mich noch kleiner und elender fühlte. Ich hatte ihr Vertrauen nicht verdient.

      „Valerie, was tust du eigentlich die ganze Zeit hier, in Berlin?“ Die Frage traf mich so unerwartet, dass ich zusammenzuckte und fast mein Kissen verlor. „Wie meinst du das?“, krächzte ich mit einer Stimme, die vor Schuldbewusstsein nur so triefte. Ja gut, genau genommen tat ich ja nichts Illegales oder so. Aber trotzdem … Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie es gutheißen würde, mit Fremden in einer Bar abzuhängen und sogar einen Job anzunehmen, von dem ich streng genommen gar nicht viel Ahnung hatte.

      Tante Fiona schnaubte. „Ich glaube zumindest nicht, dass du die ganze Zeit ausschließlich in deinem Zimmer verbringst.“

      Vielleicht lag es an dem gesunden Eis, vielleicht hatte ich auch eine schlechte Haselnuss gegessen oder die Schoko-Croissants hatten mein Gehirn geschmolzen. Auf jeden Fall kamen die Worte einfach heraus. „Ich arbeite in einer Bar.“

      Einen Moment schien die Zeit stillzustehen, Tante Fiona bewegte sich und ich hatte kurz das Gefühl, das Universum mit diesen fünf Worten aus dem Gleichgewicht gebracht zu haben. Doch dann drehte Tante Fiona sich auf dem Sofa, bis sie mir völlig zugewandt war, und sah mich an. „Ach ja?“

      „Es … es ist keine richtige Bar. Also doch, es ist eine richtige Bar, aber … sie ist anders. Es gibt Musik, also gute Musik. Livemusik. Nicht dass Musik, die nicht live gespielt wird, schlecht wäre, das sage ich nicht. Auf jeden Fall gibt es gute Livemusik. Einfache Musik. Leute und Instrumente, weißt du? Ohne den ganzen Elektroquatsch. Wobei der auch gut ist. Wirklich, so allgemein sollte man Dinge ja nicht verurteilen, denn das ist gemein.“

      „Aha.“

      Tante Fiona verzog keine Miene, was ich ziemlich beeindruckend fand. „Du siehst nicht sonderlich schockiert aus.“

      „Von deiner Einstellung Livemusik gegenüber?“ Sie zuckte die Schultern. „Geht so. Also spielst d–“

      „Nein.“ Das Wort zuckte wie ein Blitz durch den Raum und zerschlug den Gedanken, ehe er von ihrem Kopf in den meinen überspringen konnte. „Nein, ich soll mich um die Buchhaltung kümmern. Da gibt es ziemlich viel Papierkram, der durchgesehen und sortiert werden muss. Keine Ahnung, was da so alles bei ist. Es sieht aus, als hätte der Vorbesitzer einfach alles aufgehoben. Aber ich habe schon eine Idee für ein System zur Vorsortierung und danach werde ich mir ein ganz einfaches Ablageschema überlegen.“

      „Das klingt nach einem Plan. Vielleicht könnte dein Großvater dir auch helfen, wenn du dir mit irgendwas nicht sicher bist.“

      „Ja … vielleicht.“

      „Schön.“

      „Schön.“ Nervös hielt ich mein Kissen im Würgegriff. Ein Blick auf den Fernseher zeigte mir Elle, die gemeinsam mit Luke gerade auf eine ziemlich schicke Villa zuging. „Tante Fiona?“

      „Ja?“

      „Sag’s nicht meinen Eltern.“

      „Was denn? Meinst du, du bist die erste Studentin mit Nebenjob? Ich habe während meines Abiturs gekellnert, in einer Bar. Deine Großeltern waren nicht gerade begeistert. Dein Vater übrigens auch nicht, obwohl er sonst immer auf meiner Seite gestanden hat. Aber mir hat es gefallen und ich habe es das ganze Studium über weitergemacht. Ich habe mir übrigens auch die Haare gefärbt. Erst bunte Strähnchen, dann wurde es immer mehr. Meine Mutter war kurz davor, mir eine Glatze zu rasieren.“ Sie sah mir in die Augen. Erst jetzt bemerkte ich, dass ihre Iris der meinen gar nicht so unähnlich war. Bei ihr überwiegte das Grün noch ein bisschen mehr. „Erfahrungen machen ist eine gute Sache. Wenn du ein gutes Gefühl mit diesem Ort hast, dann ist es für mich okay. Aber du hältst dich von allem fern, was Ärger bedeutet, verstanden?“ Sie kniff die Augen zusammen. „Deine Mutter skalpiert mich bei lebendigem Leib, wenn ich ihr von einer eventuellen Las-Vegas-Hochzeit berichte.“

      Ich verdrehte die Augen. „Oh ja, Tante Fiona. Die Wahrscheinlichkeit, dass das passiert, ist unheimlich groß.“

      „Hey,


Скачать книгу