Walk by FAITH. Felicitas Brandt

Walk by FAITH - Felicitas Brandt


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an. „Erster Tag von was?“, fragte Tori.

      „Ähm … ich habe so einen Job angenommen, meine Tante hat darauf bestanden. Im Estrell.“

      „Hui.“ Tori pfiff leise durch die Zähne. „Nette Hütte.“

      „Deine Tante?“, fragte Jayden.

      Ich nickte. „Ich wohne bei ihr. Sozusagen. Und sie hat mir das Vorstellungsgespräch besorgt.“

      „Ich sollte Leute, die bei mir wohnen, auch verpflichten, sich einen Job zu suchen“, überlegte Jayden laut und griff sich mit einer übertrieben nachdenklichen Geste ans Kinn. „Das hätte was.“

      „Klingt nach Sklaventreiberei, wenn du mich fragst.“ Tori musterte mich besorgt. „Sie hat aber selber auch einen Job, oder? Kinderarbeit ist verboten.“

      Ich schnaubte. „Ich glaube, als Kind gehe ich nicht mehr so ganz durch. Und ja, sie hat einen Job, Tori. Einen guten sogar.“

      „Ein Küken bist du allemal.“ Tori pustete sich eine lila Strähne aus der Stirn und beäugte dann erneut skeptisch unseren Barkeeper. „Jayden, geh nach Hause und leg dich hin, du siehst grausig aus.“

      Jayden salutierte und geriet dabei ein kleines bisschen ins Wanken. Konzentriert kniff er die Augen zusammen und sah mich an. „Warum weint Snoopy?“

      Ertappt berührte ich meine Wangen. „Ich weine nicht.“

      „Nicht mehr.“

      „Ich … ich habe … es war nur, dass … Es ist kompliziert“, endete ich ziemlich lahm und stieß mit dem Fuß aus Versehen gegen die Tüte.

      „Aha“, brummte Jayden und sein Blick glitt über meine Füße. „Was habt ihr da?“

      „Eine Geige“, sagte Tori bemüht harmlos. „Val fand sie schön.“

      „Ich dachte, sie könnte ins Balou passen“, hörte ich mich sagen. „Aber sie ist etwas beschädigt. Ich werde einen Instrumentenbauer suchen, der sie repariert.“ Abrupt schaffte ich es, mein Geplapper zu beenden. Was genau hatte ich mir dabei gedacht? Wo waren diese Worte überhaupt hergekommen? Ich stützte die Ellenbogen auf meine Oberschenkel und bettete den Kopf in meine Hände. Ich will nach Hause zu Tante Fiona, dachte ich und wunderte mich gleichzeitig, dass ich mein Exil jetzt als Zuhause bezeichnete. Seufzend schloss ich die Augen. Ich war plötzlich so müde.

      Schritte neben mir ließen mich die Augen wieder öffnen, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Jayden mit einem Ächzen vor mir in die Hocke ging und sich an meinem Knie abstützte. Unsere Köpfe waren beinahe auf selber Höhe. Ich schob meine Hände unter mein Kinn und erwiderte seinen Blick, wobei da wieder dieses leise Ziehen in meinem Bauch war, das ich immer verspürte, wenn er mich auf diese Art musterte. Als wäre da nur ich und nichts anderes vor seinen Augen. Keine Vergangenheit, keine Pläne, keine Schäden. Nur ich. „Hey, Snoopy“, sagte er leise. „Ich kenne da jemanden. Ist es okay, wenn er sich das Schätzchen einmal ansieht?“

      Ich nickte mechanisch.

      „Schön. Schön.“ Er fuhr sich mit der freien Hand über die Augen, die ebenso müde aussahen, wie ich mich fühlte. „Wie geht’s dir so?“

      „Ging schon besser“, gab ich zurück und wappnete mich für die Fragen, die ich ja doch nicht beantworten würde. Oder? Würde ich es ihm sagen? Oder Victoria? Nein, nicht heute. Aber irgendwann vielleicht.

      „Kann ich was für dich tun?“ Sein Daumen malte Kreise auf mein Knie und zog kleine Schauer nach. Sein Gesicht war meinem so nahe, dass ich die kleine Narbe über seinem Auge sehen konnte. Ein kleiner heller Streifen, der mir noch nie aufgefallen war. Sein Atem roch nach Menthol und Pfefferminz. „Irgendwas?“

      Tust du doch schon. Du tust so viel, weil du nett zu mir bist und mich nimmst, wie ich bin. Weil du mich aufgenommen hast, ohne Antworten zu verlangen. Weil du weißt, was mein Lieblingsgetränk ist, und mir eine neue Glühbirne in die Bürolampe geschraubt hast, als ich meinte, dass die alte zwischendurch flackert. Weil du irgendwas mit dem Fenster gemacht hast, sodass ich es leichter aufbekomme. Weil du hier bist. Weil du du bist.

      All diese Worte verhallten ungehört zwischen uns, weil meine Lippen sie nicht bilden konnten. Stattdessen schüttelte ich nur den Kopf und versuchte es mit einem entschuldigenden „Halb so wild“-Lächeln, das mir mit Sicherheit kläglich misslang. Jayden sah mich einen langen Moment prüfend an, dann hob er die Hand, strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und berührte meine Wange. „Wenn du etwas hast, was dich bedrückt, das Balou steht dir immer offen.“

      „Das weiß ich.“ Ich blinzelte und drängte die Tränen zurück in ihre Ecke. Ich habe jetzt echt keine Zeit für euch, Leute! Jetzt loszuheulen geht gar nicht! „Danke.“

      „In Ordnung.“ Jayden schien noch etwas sagen zu wollen, doch er tat es nicht und richtete sich wieder auf. „Ich muss weiter. Aber wir sehen uns, in Ordnung? Falls du heute Abend kommen möchtest, reserviere ich dir einen Tisch in der Nähe der Bühne. Aber ich versteh auch, wenn du zu Hause bleibst. Bereite dich in Ruhe auf morgen vor, die Jungs spielen noch oft genug bei uns.“

      Ich nickte erneut. Federleicht strichen seine Finger über meine Wange, als er sich aufrichtete. Er drückte Tori einen Kuss auf die Stirn, murmelte ihr etwas zu und ging seiner Wege. Mit der Violine.

      Und ich saß einfach da wie ein verlorenes Etwas und starrte auf den leeren Platz zu meinen Füßen. Jedenfalls bis Tori meine Hände nahm und mich sanft in die Höhe zog. „Na komm, Küken. Ich wollte dir doch noch zeigen, wo es die Schokocroissants gibt. Und auf dem Weg schauen wir bei mir vorbei, ich muss meine Einkäufe loswerden. Hast du was zum Anziehen für deinen ersten Arbeitstag am Montag? Ich kann dir helfen, etwas auszusuchen. Und du musst mir alles erzählen über das, was du da tun sollst. Das ist wirklich eine piekfeine Hütte. Angeblich servieren die da Kaviar wie andere Orte Erdnüsse.“

      9

       Über bunte Haare und fragwürdige Jobs

      Wir gingen nicht zu Tori, denn ich war ein Feigling und schon bei dem Gedanken daran, einen Fuß ins Studentenwohnheim zu setzen, begann mein Herz zu rasen. Viel zu viele Erinnerungen würden dort auf mich lauern. Dinge, denen ich mich nicht stellen wollte. Wie zum Beispiel daran, dass meine Mitbewohnerin mich heute Morgen wieder mit Nachrichten bombardiert hatte. Also überredete ich Tori, lieber zu mir zu gehen. Sie durchschaute mich, da war ich mir sicher, aber sie war ein zu wundervoller Mensch, um mir nicht diesen Gefallen zu tun. Die versprochenen Schokocroissants waren köstlich, ebenso wie die Auswahl an Getränken, die dazu angeboten wurden. Ich bekam so einen Zuckerschock, dass meine düstere Stimmung einfach k. o. ging. Vielleicht lag es auch an Tori. Sie plapperte vor sich hin und riss mich mit sich wie ein glücklicher Wirbelsturm mit lila Haaren.

      In Tante Fionas Wohnung warfen wir uns auf die Couch und guckten so lange Sherlock, bis wir wieder Hunger bekamen.

      „Lass uns den Kühlschrank plündern.“ Tori stemmte sich in die Höhe und warf dabei fast ihre Wasserflasche vom Sofa. „In diesem Palast gibt es sicher wahnsinnig gutes Essen. Ich will es heiß und fettig und gut.“

      Ich schnaubte. „Der Palast wird von einer Gesundheitskönigin regiert. Hier gibt es nichts, was auch nur ansatzweise ungesund sein könnte. Aber einen grünen Smoothie haben wir sicher noch da.“

      „Uh ja, so was wollte ich schon immer mal probieren.“ Tori hüpfte euphorisch auf und ab, doch der vernichtende Blick, den ich ihr zuwarf, unterbrach das recht schnell. „Oder doch nicht? Okay, ich bin gegen Smoothies! Absolut und total. Sie gehören verbannt und vergessen. Diese Untiere.“

      „Danke.“ Ich gähnte und richtete mich auf. „Hinter der S-Bahn-Station ist doch eine Pizzeria, willst du da hin?“

      Tori zerknautschte nachdenklich eins der Sofakissen. „Hm, eigentlich ist mir mehr nach Nudeln. Vielleicht Chinesisch? Ich kenne einen tollen


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