Walk by FAITH. Felicitas Brandt

Walk by FAITH - Felicitas Brandt


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aber ich habe dich nicht gehört und von meiner Seite kam meistens Geschrei. Aber ich wollte Danke sagen. Für heute. Für die letzten Tage. Es fühlt sich besser an. Ich fühle mich besser an. Und ich hoffe, was ich hier tue, entspricht deinen Vorstellungen. Aber verzeihen kann ich dir noch nicht, weißt du? Alle sagen, dass du mich liebst, aber du hast mein Leben komplett in Stücke geschlagen.“ Ich schluckte hart, doch die Tränen blieben aus. „Ich weiß nicht, was du von mir willst. Und ich weiß auch nicht, was ich will. Also sind wir zumindest darin mal einer Meinung.“ Ich lächelte schwach. „Das ist doch schon mal was.“

      Es geschah nichts. Keine Sternschnuppe sauste über den Himmel, kein Stern blinzelte mir zu und kein Wind schloss mich in eine liebevolle Umarmung. Wobei ich mich ohnehin fragte, wie so etwas physikalisch möglich sein sollte, aber meine Mutter besaß eine Menge Bücher, in denen solche Formulierungen durchaus vorkamen. Doch obwohl sich kein mehr oder weniger fragwürdiges, romantisches Naturschauspiel ereignete, war ich sicher, dass meine Worte gehört worden waren.

      Ich stieg die zwei Stufen zum Hauseingang hinauf, schloss auf und schlüpfte hinein. Im Treppenhaus war es dunkel und still. Behutsam, um niemanden zu wecken, nahm ich die Treppe in Angriff. Lautlos schaffte ich es bis nach oben. Langsam wurde ich ein richtiger Profi im Herumschleichen, etwas, das einen auch das WG-Leben lehrte. In meinem Zimmer ging ich direkt zum Fenster. Vor der Scheibe wartete bereits eine kleine pelzige Gestalt mit grünen Augen auf mich.

      „Hey, du“, flüsterte ich und streckte die Hand nach dem Kätzchen aus. „Ich dachte eigentlich, ich hätte mir dich nur eingebildet.“

      Yoda gab ein fragendes Maunzen von sich und rieb den Kopf an meinem Arm. Wärme strömte durch mich hindurch. „Dann komm rein“, sagte ich und trat einladend zur Seite. „Heute ist mir aber eigentlich nicht mehr nach Fernsehen zumute, wenn das für dich okay ist.“ Noch ein Maunzen. Dann sprang die kleine Fata Morgana an mir vorbei ins Zimmer und steuerte mein Bett an.

      8

       Von Feen und Küken

      Yoda kam auch an den folgenden Abenden. Mit seinen kleinen Pfoten tapste er gegen die Scheibe, bis ich ihm aufmachte. Nach dem dritten Mal beschloss ich, mein Fenster einfach einen Spaltbreit offen zu lassen. Tante Fiona erzählte ich sicherheitshalber nichts von meinem Mitbewohner, denn ich war mir nicht so sicher, wie sie zu Streunern stand. Wobei ich mittlerweile eigentlich annahm, dass Yoda hier im Haus wohnte und ich nur seine Chill-Lounge für den Abend war. Er war wohlgenährt und sein Fell sehr gepflegt. Eine Straßenkatze sah anders aus. Oder?

      Am Sonntagmorgen war ich noch vor dem Wecker wach und schlüpfte nach einer raschen Dusche und mit dem Geruch meines neuen Zitronengras-Shampoos in der Nase in meine Klamotten. Yoda war schon verschwunden und als ich nach unten kam, marschierte Tante Fiona gerade in Yoga-Hose und langem Shirt in der Wohnung auf und ab, ein Headset auf dem Kopf und die Stirn in konzentrierte Falten gelegt, während sie Zutaten für einen ihrer grünen Smoothies zusammensuchte. Dieses Bild kannte ich schon aus den letzten Tagen und ich nannte es ihren „Weltretten-Marsch“. Normalerweise wäre sie jetzt auf dem Weg in ihre Gemeinde gewesen, doch anscheinend hatte sie später eine Schicht im Krankenhaus. Ich winkte ihr fröhlich zu und formte mit den Lippen ein „Guten Morgen“. Sofort verschwand der Großteil der Falten und wurde durch ein Lächeln ersetzt.

      „Gut geschlafen?“, formten ihre Lippen zurück.

      Wir waren ziemlich gut in dieser stummen Kommunikation. Allgemein redeten wir nicht wirklich viel, wuchsen aber trotzdem Millimeter für Millimeter enger zusammen. Es war ein seltsames Gefühl, dass der vermeintliche Albtraum, in dem ich hier gelandet war, gar nicht so albtraumhaft war.

      Tante Fiona wedelte in der Luft herum, um meine Aufmerksamkeit zu erhaschen, und deutete fragend auf den Mixer und einen bereitstehenden Smoothie-Becher. Willst du?

      Hastig schüttelte ich den Kopf und deutete auf eine imaginäre Uhr an meinem Handgelenk. Ein Blick auf die Uhr auf meinem Handy zeigte mir, dass ich tatsächlich spät dran war. Ich winkte Tante Fiona zu, warf meinen Schal um und stürmte die Treppe hinunter.

      Tori wartete bereits an der S-Bahn-Station auf mich. Sie hatte ihre Haare neu gefärbt, dunkler, was ihre Haut noch ein bisschen blasser machte, aber nicht auf kränkliche Art, sondern … schön. Bei ihrem überschwänglichen Winken stieß sie einem älteren Herrn beinahe seinen Hut vom Kopf und entschuldigte sich noch immer, als ich endlich bei ihr ankam. Sie trug eine knielange schwarze Wolljacke, die meiner recht ähnlich sah. Nur trug ich Jeans und sie einen Rock und gemusterte Strumpfhosen. „Wir sind heute im Partnerlook“, meinte Tori und sah an mir hinunter. „Ich liebe deine Jacke. Aber etwas fehlt noch.“ Tori griff mit der freien Hand in ihre überdimensional große Handtasche und zog einen Hut hervor, den sie mir kurzerhand auf den Kopf drückte. Perplex starrte ich sie an, während sie mit fachmännischer Miene einen Schritt nach hinten ging. „Oh ja.“ Sie nickte heftig. „Ich bin so was von gut! Du hast den perfekten Hutkopf.“

      „Ähm …“ Zögerlich griff ich an besagtes Kleidungsstück. „Danke?“

      „Gern“, grinste sie mich an.

      Ich war mir ziemlich sicher, dass ich mal wieder rot wurde, und hatte das Gefühl, dass uns die Aufmerksamkeit der gesamten Straße gehörte. „Tori, die Leute starren mich an.“

      „Sollten sie auch, du siehst fantastisch aus, schau.“ Im nächsten Moment schoss sie mit ihrer Handykamera ein Bild von mir, wechselte in den Selfie-Modus und drückte sich an mich. „Sag: Hut ist gut, Knut.“

      Ich schaffte es gerade noch zu lächeln, da hielt sie mir das Bild schon zur Prüfung unter die Nase. Dieser Mensch war ein fleischgewordener Wirbelwind! Ich fragte mich, wo sie all diese Energie hernahm. Der Hut war ungewohnt, aber nicht … schlecht. Und er versteckte die bösartige Welle, die ich heute Morgen nicht aus meinen widerspenstigen Haaren hatte herauskämmen können.

      „Hör auf damit. Diese Falten bleiben noch für ewig, wenn du weiter so guckst.“ Tori drückte gegen meine Stirn. „Du bist wunderhübsch, kleine Grüblerin. Komm, ich werde dir jetzt einen der schönen Orte Berlins zeigen.“ Sie hakte sich bei mir ein, zog mich in die nächste Bahn und auf den Sitzplatz gegenüber einer älteren Dame mit ihrem Enkel, die den Kopf in ein Buch gesteckt hatten.

      Ich schluckte und heftete den Blick auf meine Füße, die ruhig dastanden, obwohl meine Erinnerungen ihnen gerade den Boden unter den Füßen wegzuziehen drohten. Wie viele Bücher hatte ich mit meiner Oma gelesen? Wie oft war sie mit mir in die Bücherei gegangen und … Hastig riss ich mich von der Erinnerung los, fuhr mir über die Wange und versteckte die Träne, die mir über die Haut gekrochen war. Wann nur würden diese Erinnerungen aufhören zu schmerzen? Wann nur war ich stark genug, um darüber hinwegzukommen?

      Tori hatte meinen kurzen Moment Zerbrochensein nicht bemerkt und weitergeredet. Absichtlich oder nicht? Ich wusste es nicht, aber so oder so, war ich einfach dankbar für sie. Ich zog die Mauern wieder hoch, sperrte die Vergangenheit ein und hob den Kopf. Wir hatten die Bahn inzwischen verlassen und standen wieder im hellen Sonnenschein. Tori machte gerade eine dramatische Geste. „Ich präsentiere: der berühmte Flohmarkt im Mauerpark!“

      Vor uns lag ein riesiger Platz mit unzähligen bunten Flohmarktständen. Überall waren Tische aufgebaut worden, die über und über bedeckt waren mit den unterschiedlichsten Dingen. Von Möbeln über Kunst, Kleidung und Haushaltsgegenstände bis hin zu Büchern und Teppichen. Die Luft war erfüllt von Stimmen und dem Geruch nach Holz und Leder. Irgendwo spielte jemand Gitarre und sang ein Lied, das mir vage bekannt vorkam. Pure Magie schien von diesem Ort auszugehen und sie schlich sich direkt in mein Herz, reflektiert von Toris strahlendem Gesicht.

      „Ist das nicht irre?“ Tori packte mich an den Schultern. Aufregung umhüllte sie wie ein flatterndes Cape. „Ich liebe diesen Ort einfach. Du findest hier die schrägsten Dinge. Und die schönsten. Komm, ich beweis es dir!“

      Und damit stürzten wir uns in das Abenteuer.

      Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, als ich halb verdurstet einen


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