Walk by FAITH. Felicitas Brandt
schon wird sie gierig.“ Jayden hob die Hände. „Bin gleich wieder da.“
„Ihr zwei versteht euch ja prächtig.“ Tori grinste mich über den Tisch hinweg an. Ihre schwarze Bluse war oversized, ihre Jeans so hellblau wie der Himmel am Morgen und wurde von nicht viel mehr als ein paar Fäden, einer Handvoll Sicherheitsnadeln und jeder Menge Luft und Liebe zusammengehalten. Eine wilde Mischung aus Rockerbraut und Chefsekretärin. „Was für einen Pakt habt ihr da gerade beschlossen?“, fragte sie und spielte mit dem Schirmchen in ihrem Glas.
„Er hat mich dazu gebracht, die Müllhalde da oben aufzuräumen.“ Ich seufzte und stützte das Gesicht in meine Hände. „Jetzt, wo ich es ausspreche, klingt es noch schrecklicher.“
„Du warst in der Kammer des Schreckens?“ Sie riss die Augen auf. „Nicht mal Felicity Smoak würde da durchsteigen.“
Ich schob meine Brille hoch, verfehlte das Gestell und verpasste mir selber einen dicken Fleck in meinem Blickfeld. „Felicity wer?“
Wortlos griff Tori in ihre Handtasche und hielt einen Schlüsselbund in die Luft. Die Figur einer Blondine mit dicker schwarzer Brille baumelte daran. Ich zuckte mit den Schultern. „Tut mir leid. Bildungslücke?“
„So was von! Na ja, zum Glück hast du ja mich.“ Im nächsten Moment wurde Tori ganz ernst, die Verwandlung war beinahe unheimlich. „Hör zu, Valerie: Ich freu mich, wenn du jetzt öfter hier bist. Diese Bar braucht etwas Frauenpower und ich deinen Beistand. Aber sei gewarnt. Wenn du ihm wehtust, werde ich richtig böse. Nichts und niemand wird dich vor mir retten können. Und das wäre schade, weil ich dich eigentlich echt mag.“
Ich verstand nur Bahnhof. „Wovon genau redest du da eigentlich?“
Tori sah mich mit einem Ausdruck an, der wohl „Mach mir nichts vor“ bedeuten sollte. „Jayden und du. Er mag dich.“
Amüsiert über die Absurdität dieses Gedanken schüttelte ich den Kopf. „Unsinn. Er ist ein Barbesitzer, er ist zu jedem nett. Das ist sein Job, so verkauft er seine Cocktails.“ Trotz meiner „Ach was“-Haltung konnte ich nicht verhindern, dass mein Blick zu Jayden hinüberhuschte, dessen hohe Gestalt an der Bar erstaunlich leicht auszumachen war. Er unterhielt sich mit Ty, der mit konzentrierter Miene Flüssigkeiten ineinanderkippte. Gerade wollte ich den Blick abwenden, da drehte Jayden den Kopf und sah mich an. Er lächelte. Sofort schoss mir das Blut in den Kopf und ich heftete meinen Blick auf die Tischplatte.
„Oh nein, Liebes.“ Tori packte ihren Schlüssel wieder weg. „So schaut er längst nicht jeden an. Nicht mal annähernd. Jayden bringt viele Streuner mit, ja. Und ja, er ist höflich. Aufmerksam und charmant bei Frauen, aber nicht so wie bei dir. Nein, ganz und gar nicht so.“
Ich versuchte, meine Gesichtszüge unter Kontrolle zu bringen, doch meine Kinnlade sackte unaufhaltsam Richtung Tischplatte. „Du … ich … nein, du irrst dich. Da ist nichts.“
„Einmal Cranberry für die Dame“, sagte Jayden plötzlich neben mir und reichte mir ein Glas.
„Danke“, gab ich möglichst cool zurück.
Tori warf mir einen spitzbübischen Blick unter gesenkten Lidern zu und hob ihr eigenes Getränk. „Auf Valerie, das Mädchen, das aus dem Nichts kam. Hoffen wir, dass sie uns nicht alle ins Unheil stürzt.“
Mit einem verzweifelten Kopfschütteln wandte Jayden sich zu mir. „Valerie? Wie in dem Song? Wollte ich schon längst mal fragen.“
Mist! War ja klar, dass er das nicht überhören würde. Ich seufzte und schüttelte den Kopf. „Mein Vater ist zwar ein großer Fan von Amy Winehouse, aber nein, er hat seine erstgeborene Tochter nicht nach diesem blöden Lied benannt. Das ist erst vor wenigen Jahren rausgekommen und wenn ich nicht superfrühreif bin … dann ist das wohl einfach nur ein riesiger Zufall.“ Ich sah zu Jayden. „Dein Name ist aber auch ziemlich ungewöhnlich.“
„Meine Mutter mochte ihn wohl.“ Sein Blick verfinsterte sich kaum merklich. „Tut mir leid, es steckt keine Geschichte dahinter. Sie hat zumindest niemals eine erzählt.“ Jayden rammte seine Colaflasche etwas zu heftig gegen mein Glas. „Themenwechsel! Auf Snoopy und die Rettung aus der Schuldenfalle.“
„Schulden?“, ächzte ich. „Ich dachte –“
„Nur ein Spaß.“ Jayden tätschelte meinen Arm und setzte sich, sodass wir ein Dreieck bildeten. „Weiteratmen.“
Leichter gesagt als getan. Toris Worte surrten in meinem Kopf herum. Jayden konnte doch nicht … Und wenn doch, hatte er mir dann deshalb die Steuersache angedreht? Aber war das nicht etwas … langfristig? Ein Abendessen wäre doch sehr viel praktischer gewesen. Ach, als ob. Ich schüttelte innerlich den Kopf. Das ist völlig abwegig. Jemand wie Tori passte viel besser zu Jayden.
„Also, Valerie.“ Tori beugte sich über den Tisch. „Warum bist du überhaupt hier in Berlin? Und wie lange? Ich wette, das hat dein ‚Chef‘ nicht gefragt. In all seiner Weisheit.“
Jayden schnalzte mahnend mit der Zunge. „Vorsichtig Tori, sonst suchst du dir für dein nächstes Projekt lieber einen anderen hilfreichen Deppen.“
„Ähm.“ Ich starrte angestrengt auf mein Glas. So lange, bis ich meinen Verstand wiedergefunden habe und aus dem Exil zurückkehren darf. „Ich bin hier für eine Auszeit“, hörte ich plötzlich eine Stimme sagen, die sich ziemlich genau nach meiner eigenen anhörte. „Also für eine … Weile? Vermutlich.“
„Eine Weile finde ich gut.“ Tori strahlte mich an. In ihrem Gesicht lag so viel ehrliche Freude, dass mir ganz seltsam warm ums Herz wurde. „Eine Weile finde ich sogar ziemlich großartig. Kannst du dir nächsten Sonntag für mich freihalten? Ich werde dich entführen, aber keine Angst, ich besorge uns Frühstück. Schokocroissants. Die besten auf der ganzen Welt.“
„Na, ich weiß nicht“, entgegnete ich ohne groß nachzudenken. „Hinter der Uni gab es so einen winzigen Stand, der total verkommen aussah. Aber die Croissants waren der Hammer. Manchmal hatte er sogar welche mit Cafécreme gefüllt. Das wird schwer zu toppen sein.“
„Hinter der Uni?“ Toris Augen blitzten interessiert auf. „Du studierst?“
Ach, Mist. Am liebsten hätte ich die Worte aus der Luft gefischt und in meinen vorlauten Mund zurückgestopft. Jayden musterte mich über seine Cola hinweg. Neugierde lag in seinem Blick. Und ein Hauch von … Mitgefühl? Bedauern? Irgendetwas zumindest, von dem mir ganz flau im Bauch wurde. Ich schüttelte das Gefühl ab und strich mit den Fingern über den Rand meines Glases. „Ich … ja. Ja, das … tue ich wohl.“ Das noch hing über unseren Köpfen wie die Regenwolke über Tigger, ebenso wie die ziemlich offensichtliche Tatsache, dass ich nicht darüber reden wollte. Meine Uni-Freunde hätten sich jetzt regelrecht auf die Wissenslücke gestürzt.
„Welches Fach?“
„Jura.“ Ich schürzte die Lippen, wartete auf die übliche Reaktion. Ach ja, das macht bei der Familie ja auch Sinn. Ach, ganz nach den Eltern, nicht wahr? Doch dann fiel mir ein, dass hier ja niemand meinen Nachnamen kannte und mich gar nicht mit meinen Eltern in Verbindung bringen konnte. Eine kleine Welle der Erleichterung wischte über mich hinweg.
„Na komm, Tori. Hör auf, sie zu verhören. Sie wird schon keine Bombenlegerin sein. Oder von der Steuerfahndung.“ Jayden, der bis hierhin erstaunlich still gewesen war, ergriff für mich Partei. Seine Stimme klang müde und die Buchstaben stießen unbeholfen gegeneinander. Stirnrunzelnd sah ich ihn an und fand, dass er noch etwas blasser geworden war. „Aber vielleicht von der Liga der Assassinen.“ Tori zwinkerte mir zu. „Wenn in nächster Zeit jemand mit Cape und Maske durch die Straßen huscht, werde ich misstrauisch.“
Später, viel später, nach einem wirklich schönen Abend, begleitete Tori mich nach Hause. An der Station vor Tante Fionas Wohnung trennten wir uns mit einer stürmischen Umarmung. Ich ertappte mich, wie ich auf dem letzten Rest des Weges leise vor mich hin summte und wie mein Herz, das verletzte kleine Ding in meiner Brust, einfach ruhig vor sich hin schlug. Ganz ohne Sorgen. Ich legte den Kopf in den